Michael Ross zu Hermann-Arndt Riethmüller

"Ein paar Blendraketen abgefeuert"

18. Mai 2021
Redaktion Börsenblatt

Aus Sortimentersicht kommentiert Michael Ross, Inhaber von Baskerville Bücher in Köln, in teils harschen Worten den Beitrag von Hermann-Arndt Riethmüller zum Thema Marktmacht: Es sei "eine irreführende und unfassbar schlecht argumentierende Rechtfertigung für die Aushöhlung der Buchpreisbindung".

Auch nach den sehr hilfreichen Erwiderungen von Matthias Ulmer und Jens Bartsch scheint es mir doch notwendig, den Beitrag von Herrn Riethmüller aus Sortimentersicht in aller Ausführlichkeit als das zu entlarven, was er ist: eine irreführende und unfassbar schlecht argumentierende Rechtfertigung für die Aushöhlung der Buchpreisbindung.

Aus gutem Grund will ich den Text von hinten aufrollen und zitiere aus dem 3. Unterpunkt:

Das "unabhängige Sortiment" kann sich in branchenübergreifenden Lobeshymnen baden, wonach die inhabergeführten kleinen Buchhandlungen in Coronazeiten mit kreativen Ideen ihre Umsätze halten oder sogar verbessern konnten, während die großen Filialketten Umsätze verloren haben. Dieser Befund hält einer Überprüfung nicht stand.

Anschließend führt Herr Riethmüller einige Osiander-Filialen an, die im November 2020 tatsächlich Umsatzzuwächse von bis zu 27% erzielt haben – was er auf deren Lage außerhalb von Einkaufs- und Tourismuszentren zurückführt. Wenn ich jetzt preisgebe, dass meine kleine Kölner Vorortbuchhandlung im selben Monat 44% Barumsatzzuwachs hatte, relativiert das die Osiander-Zahlen schon mal etwas.

Wenn man bedenkt, dass der November vermutlich auch deshalb sehr stark war, da viele Kundinnen und Kunden in weiser Voraussicht des zweiten Lockdowns ihre Weihnachtseinkäufe vorgezogen haben, wäre doch interessanter gewesen, November und Dezember in der Zusammenschau zu betrachten. Bei uns gab es dann immer noch ein sattes Plus von 33%.

Und wieso überhaupt November? Die Lobeshymnen setzten ja nicht erst zum Jahresende ein. Was ist mit den Monaten März und April? Da haben wir in der Zusammenschau 2020 über 80% mehr Umsatz gehabt (davon vier Wochen nur mit Auslieferung) – und konnten das irrwitzig hohe Umsatzniveau 2021 sogar nochmal leicht übertreffen. Ist das alles sonderlich aussagekräftig? Natürlich nicht! Genauso wie die Osiander-Zahlen herausgepickt wurden, um uns zu beeindrucken, so kann ich mit meinen Zahlen prahlen, ohne dass damit ernsthaft etwas über die Lage des unabhängigen Buchhandels im Allgemeinen gesagt wäre.

Ich halte es aber weiter für denkbar, dass jenseits des Lage-Aspekts durchaus auch Faktoren wie Flexibilität, Kreativität und Aufopferungsbereitschaft im Team der jeweiligen Buchhandlung eine Rolle dabei gespielt haben, wohin die Kunden (ab-)gewandert sind – widerlegt wird das durch Herrn Riethmüllers "Überprüfung" jedenfalls in keinster Weise.

"Schade, dass er nicht bei uns nachgefragt hat"

Um zu belegen, dass insbesondere die Ketten die buchhändlerische Vielfalt garantieren, führt Herr Riethmüller Stichproben durch, wie viele Titel bestimmte Buchhandlungen aus bestimmten (offenbar abseits des Mainstreams verorteten) Verlagen vorrätig halten. Schade, dass er nicht bei uns nachgefragt hat! 28 verschiedene Titel aus dem Hause Kein & Aber haben wir gerade vorrätig, 21 vom Unionsverlag und 63 von KiWi. Was sagen uns diese tollen Zahlen? Natürlich überhaupt nichts. Hätte Herr Riethmüller (mit gleichem Recht) nach Matthes & Seitz, Dörlemann und Luchterhand gefragt, hätte ich weitestgehend passen müssen, da wir aus der Not (wenig Platz, noch weniger Zeit) eine Tugend gemacht haben und uns auf fünf Vertreter und deren Verlage konzentrieren, sodass viele wunderbare Verlage durchs Raster fallen.

Auch die Sichtbarmachung eines Sortiments durch Weglassen macht buchhändlerische Vielfalt aus!

Michael Ross, Baskerville Bücher

Vielleicht passt es nicht in Herrn Riethmüllers Buchhandels-Weltbild, aber auch die Sichtbarmachung eines Sortiments durch Weglassen macht buchhändlerische Vielfalt aus! Ist es nicht denkbar, dass die KollegInnen in Bad Säckingen anderen literarischen Verlagen den Vorzug geben oder – horribile dictu – die "fehlenden" Titel der genannten Verlage möglicherweise in ihrem Sortiment für verzichtbar hielten? Denn das kommt ja noch hinzu: Wir kennen das Gros "unserer" Bücher ja nicht nur aus den Bestsellerlisten und Verkaufsstatistiken, sondern durch eigene Lektüre, und verhelfen unseren Kundinnen und Kunden so zu passgenauen und überraschenden Büchern. Zu glauben, dass man mit der reinen Verfügbarkeit der zehn oder zwanzig "relevantesten" Titel irgendeines ambitionierten Verlags das erreicht, was die Buchpreisbindung ermöglichen soll, scheint mir doch arg naiv.

"Die Barsortimente leisten genau das, wofür sie da sind"

Die Lücken, die unsere Konzentration auf das (für uns) Wesentliche notgedrungen reißt, füllen dann die von Herrn Riethmüller gescholtenen Barsortimente. Dass die meisten Buchhandlungen von mehreren defizitär arbeitenden Bücherwagendiensten angefahren werden, ist tatsächlich in jeder Hinsicht ärgerlich, hat aber ansonsten nichts mit dem Thema zu tun. Dass die Barsortimente auch ohne sensationelle Innovationen genau das leisten, wofür sie da sind, nämlich den vielen Buchhandlungen im Lande in beeindruckender Geschwindigkeit zu akzeptablen Bedingungen mit sehr hoher Zuverlässigkeit all das bereitzustellen, was gerade nicht vorrätig ist, kann man ihnen allerdings schwerlich vorwerfen. Dass sie durch Bereitstellung bibliografischer Daten samt Lieferbarkeitsinformationen in Echtzeit, durch Whitelabelshops und Dropshipping jeder kleinen Vorortbuchhandlung einen Multichannel-Vertrieb ermöglichen, scheint keine Kleinigkeit, wenn man liest, wie sehr Herr Riethmüller die diesbezüglichen Leistungen von Thalia abfeiert.

Möglicherweise ist bei uns in puncto Softwareintegration noch Luft nach oben, aber was soll ich sagen? Es funktioniert auch so ganz prima! Aber da Herrn Riethmüller das mit der Innovation wirklich sehr wichtig zu sein scheint, wollen wir konzedieren, dass der Tolino eine feine Sache ist und wir uns freuen, dass uns das Barsortiment (huch, die schon wieder!) auch hier ermöglicht, am schönen Erfolg teilzuhaben – ihn womöglich sogar zu verstetigen. Auf der anderen Seite könnte ich mir vorstellen, dass sowohl Zeitfracht mit der Erfurter Logistik als auch Libri mit den ehrgeizigen BoD-Plänen für sich in Anspruch nähmen, innovativ zu sein – aber das ist jetzt nur so eine Vermutung …

"Er feuert ein paar Blendraketen ab"

Kommen wir zuletzt zum Thema Marktmacht, das Herr Riethmüller ganz geschickt relativ zu Beginn zwischen zwei historischen Diskursen abhandelt, wobei er ein paar Blendraketen abfeuert und auf die eigentlichen Vorwürfe von Herrn Beckmann, auf die sich Herr Riethmüllers Einlassungen ja unmittelbar beziehen, überhaupt nicht eingeht. Da wird zunächst en passant erwähnt, dass die Marktmacht von Amazon ja noch größer sei, als mache das irgendetwas besser. (Beckmann hatte lediglich darauf hingewiesen, dass Amazon im deutschen Buchhandel weniger dominant ist als in anderen Ländern, in denen der stationäre Buchhandel schwächer ist, sodass Amazon bei uns nicht ohne Weiteres als Rechtfertigung für eigene Konzentrationsprozesse taugt.)

Mit Blendrakete Nummer zwei will Herr Riethmüller von den von Thalia & Co. geforderten Rabatten ablenken, indem er unterstellt, dass die ohne eine solche Marktmacht erzielten Rabatte des unabhängigen Sortiments nicht ausreichen. Das mag vielleicht stimmen, rechtfertigt aber dennoch keine Rabattforderungen jenseits des gesetzlich Zulässigen. Für dumm verkaufen will uns Herr Riethmüller eindeutig mit Blendrakete Nummer drei, wenn er behauptet, dass allein die Verlage über andere wichtige Parameter wie Titelanzahl und Ladenpreis allein entschieden – als nähmen die Filialisten nicht schon längst auch auf diese Parameter direkt und indirekt Einfluss!

Mit keiner Silbe geht Herr Riethmüller auf den zentralen Vorwurf von Herrn Beckmann ein, durch überzogene Rabattforderungen das System der Buchpreisbindung auszuhöhlen und diese dadurch mittelfristig zur Disposition zu stellen. Das hätte vermutlich ein flächendeckendes Sterben der unabhängigen Buchhandlungen zur Folge, an dessen Ende – so dürfte hie und da gehofft werden – sich nur noch zwei große Player den Kuchen teilen. Der eine im Internet, der andere mit seinem Filialnetz. Ich ahne, warum Herr Riethmüller nicht darauf zu sprechen kommt.

Michael Ross
Baskerville Bücher, Köln