"Unternehmen bleibt in Familienhand"

RavensBuch und Osiander fusionieren

12. Mai 2021
Torsten Casimir

Die Riethmüllers in Tübingen und die in Ravensburg haben über ihre Ideen vom Buchhandel oft gestritten; zerstritten haben sie sich nie. Jetzt fusionieren sie ihre Unternehmen. 

Familienfusion im Südwesten – die bloßen Fakten sind schnell berichtet: Die Buchhandelsunternehmen RavensBuch und Osiander machen gemeinsame Sache. Martin und Michael Riethmüller, die Inhaber von RavensBuch, werden Anteilseigner der Osianderschen. Geld fließt nicht. Über die vertraglichen Details der Fusion haben die Beteiligten Stillschweigen vereinbart.

Im September sollen die vier Filialen der Oberschwaben – neben dem Stammhaus in Ravensburg die Standorte Friedrichshafen, Markdorf und Tettnang – einschließlich des Webshops auf das Osiander-System umgestellt werden. Ebenso werden dann die vier RavensBuch-Buchhandlungen in die mit Thalia Mayersche betriebene Osiander Vertriebsgesellschaft (OVG) eingebracht. Die Zustimmung des Kartellamts hierfür steht noch aus. Den Onlinehandel will man gemeinsam unter osiander.de fortführen. Die vier RavensBuch-Filialen behalten ihren Namen.

Die strategischen Ziele des Zusammenschlusses listet eine Mitteilung »der Buchhändlerfamilie Riethmüller« an die Presse kurz und bündig auf:

  • wettbewerbsfähig bleiben insbesondere gegenüber Amazon,
  • Kompetenzen bündeln,
  • die Position Osianders im süd­deutschen Raum stärken,
  • ein Bekenntnis zur Zukunft des ­Familienunternehmens abgeben.

Jenseits der Oberflächendaten dieser Transaktion allerdings ist die Geschichte eines familiären Zusammenrückens in krisenhafter Zeit zu erzählen, eine Geschichte, die es emotional in sich hat.

Als Margarete und Michael Riethmüller vor bald drei Jahrzehnten ihre Ravensburger Buchhandlung direkt am Marienplatz gründeten, steckte das Internet noch in den Kinderschuhen. Der Amazonas war nichts als ein sehr breiter Fluss in Südamerika. Eine digitale Revolution sah kaum jemand kommen. Wer damals als Buchhändler entschlossen in seine Betriebstechnik investierte, hatte für die nächsten Jahre erst einmal Ruhe. Eine andere, eine inzwischen historisch gewordene Welt war das. 

Ich habe Margarete und Michael immer bewundert für ihren unternehmerischen Sinn.

Christian Riethmüller

Michael, mittlerer Bruder der beiden Tübinger Osiander-Buchhändler Hermann-Arndt und Heinrich Riethmüller, legte damals großen Wert auf den eigenständigen Auftritt, auf lokale Vielfalt und Individualität. Wirtschaftlich sprach auch gar nichts dagegen, so zu denken. Die dritte Generation der Buchhändlerfamilie einte zwar ihre Leidenschaft für Bücher, aber ihre Auffassungen darüber, wie ein Buchhandel vor Ort zu organisieren und zu inszenieren sei, gingen auseinander. Die Brüder schenkten sich wenig im Wettbewerb der Ideen, blieben jedoch über all die Jahre, wie der Schwabe sagt, on speaking terms. Zwischen Tübingen und Ravensburg lagen immer nur 120 Kilometer, keine Welten.

In der Konstellation fiel den Kindern, Christian Riethmüller als Sohn von Hermann-Arndt und Martin als Sohn von Michael, mehr und mehr die Rolle zu, neben der strategischen Weiterentwicklung ihrer Unternehmen auch den familiären Brückenbau ins Werk zu setzen. Das scheint ihnen nun gut gelungen zu sein. Beide, der heute 46-jährige Christian wie der 34-jährige Martin, betonen, dass ihre Überlegungen zum Zusammengehen der Tübinger und der Ravensburger Fami­lienzweige »nicht durch die Corona-Krise ausgelöst, sondern durch diese nur beschleunigt wurden«. Dass auf lange Sicht der vorherrschende harte Wettbewerb am Buchmarkt durch Synergien in den so bedeutenden Bereichen IT, E-Com und Beschaffung mit vereinten Kräften einfacher zu bewältigen sei als alleine, stand den Verantwortlichen in Tübingen und Ravensburg gleichermaßen klar vor Augen.

Christian Riethmüller, schon seit 2004 Gesellschafter von Osiander, spricht äußerst wertschätzend über seinen Onkel und dessen Frau: »Ich habe Margarete und Michael immer bewundert für ihren unternehmerischen Sinn.« In Zukunft nun mit familiär gebündelter Kraft voranzukommen, sei für ihn daher »auch emotional eine sehr befriedigende Vorstellung«.

Die beiden Vertreter der jetzt übernehmenden Riethmüller-Generation haben eine ähnliche Sicht auf die Herausforderungen der Zeit. Sie sind sich einig in der Analyse, durch die neue IT bestmöglich für die Zukunft gerüstet zu sein. Kooperationen, Bündelung von Kompetenzen, höhere Arbeitsteiligkeit und Spezialisierung erkennen beide als den richtigen Weg zur Sicherung ihrer unternehmerischen Eigenständigkeit und zur Verfolgung neuer Wachstumsziele. 

Wir gewinnen Kompetenz hinzu, wo wir bisher vielleicht noch ein paar Lücken hatten.

Martin Riethmüller

Dass die Eigenständigkeit nicht zur ­Debatte stehe, versichern sie mehrfach: »Mit unserem Zusammenschluss setzen wir gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein klares Zeichen, dass wir ein Familienunternehmen bleiben wollen, und wir geben ein Bekenntnis zu unseren Standorten ab«, sagt Christian. Ohne die Perspektive zur Fortsetzung der Unternehmenstradition in Selbstständigkeit »hätten Martin und Michael niemals einer Fusion mit Osiander zugestimmt«. Da kommt kein Widerspruch von den Ravensburgern.

Martin Riethmüller wird Mitglied der Geschäftsführung von Osiander und dort künftig insbesondere die Bereiche Unternehmenskommunikation, Markenführung und Social Media verantworten. Der Gesellschafterkreis wird in der Form erweitert, dass zum bisherigen Alleingesellschafter Osiander Stiftung (mit Heinrich Riethmüller als Vorsitzendem, Christian als zweitem Stiftungsvorstand sowie Des­tinatären aus dem Kreis der Tübinger Familienseite) nun Michael und Martin Riethmüller als weitere Anteilseigner hinzukommen. Ein alternatives Modell, die Integration der beiden in die Stiftung, sei vor allem aus Gründen stiftungsrechtlicher Komplexität nicht infrage gekommen. Margarete Riethmüller hatte ihre RavensBuch-Anteile bereits vor Jahresfrist an ihren Sohn übergeben.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von RavensBuch behalten – von einer Aushilfe im zentralen Wareneingang abgesehen – ihre Arbeitsplätze. Martin Riethmüller deutet aber an, »dass wir selbstverständlich Synergien nutzen wollen« und es im Zuge natürlicher Fluktuation zu einer leichten Verschlankung kommen könne. Beim Thema OVG sieht der Ravensburger viel mehr Chancen als mögliche Verluste: »Es stimmt, dass künftig anders eingekauft wird, aber die Tiefe unseres Sortiments bleibt erhalten. Wir bekommen ein Basissortiment und können mit unseren individuellen Stärken problemlos draufsatteln. Vor allem gewinnen wir Kompetenz hinzu, wo wir bisher vielleicht noch ein paar Lücken hatten.«

In der Pressemitteilung kommen schließlich auch die Väter zu Wort. Die drei Brüder Hermann-Arndt, Heinrich und Michael lassen sich gemeinsam so zitieren: »Wir haben in den letzten Jahrzehnten einen extremen Wandel unserer Branche erlebt. Umso besser ist es, wenn unsere nachfolgende Generation jetzt gemeinsam an einem Strang zieht und die komplexen Herausforderungen des Markts zusammen angeht. Für uns hat es eine hohe Bedeutung, dass unser Familienunternehmen auch in Familienhand bleibt.« Daraus spricht sowohl die unternehmerische wie auch die familiäre Erleichterung. 

Ich mache jetzt im Unternehmen noch bei den Dingen mit, die mir Spaß machen.

Michael Riethmüller

Nicht zuletzt geben die Schwaben ein Statement gegen die in der Branche kursierende Befürchtung, dass der Einstieg von Osiander in die OVG nur der Vorbote eines am Ende vollständigen Umzugs des Tübinger Traditionsbuchhändlers unter das Thalia-Dach gewesen sei. Allerdings habe sich die strategische Entscheidung für die Plattform auf das Zusammengehen und für die gemeinsame Zukunftssicherung positiv ausgewirkt – da sind sich beide Familienstämme einig.

Michael Riethmüller mag die Fusion nach drei Jahrzehnten brüderlicher Unabhängigkeit am Ende auch etwas contre cœur gehen, aber in seiner Bilanz klingt nichts nach Verbitterung: »Ich bin Jahrgang 1954, man muss irgendwann auch abgeben können. Vieles bei uns trägt ohnehin längst Martins Handschrift. Ich mache jetzt im Unternehmen noch bei den Dingen mit, die mir Spaß machen.« Und darauf freuen sich immer noch viele in Ravensburg.