Kolumne von Martina Bergmann

Die Kusine vom Blauen Umweltengel

28. März 2022
Redaktion Börsenblatt

Die Buchhändlerin und Autorin Martina Bergmann entfaltet mit ihren Ideen zur Nachhaltigkeit in der ostwestfälischen Provinz störende Wirkung. Ihre Borgholzhausener Kundschaft hätte statt Nachhaltigkeitssiegel lieber einen Münzkopierer.  

Letzte Woche ging ich ein Kabel kaufen. Ich war genervt, weil schon um elf drei Personen beleidigt davon gezogen waren, die in meiner Buchhandlung keine Fotokopie bekommen konnten. Dass ich die technische Möglichkeit gar nicht vorhalte, dass es nicht einmal einen Privatkopierer gibt, mit dem ich heimlich, unter uns, den Personalausweis ablichten könnte: Kommt nicht an. Dass ich mich weigere, einen Münzkopierer aufzustellen, gilt als Merkmal von Hochmut. Sie hat es schon wieder nicht nötig. Sie liest oder schreibt ein Buch, und ich arme Person steh hier im Hemd.

Ich ging ein paar Häuser weiter. Der freundliche Mensch, bei dem es Kühlschränke und Backöfen gibt, erkundigte sich nach meiner Laune. Auf Ostwestfälisch: "Und sonst so?" "Fehlender Fotokopierer", sagte ich, "schlechtester Mensch von Borgholzhausen." Er widersprach. Diesen Titel trüge er, und bei ihm seien noch ganz andere Leute unterwegs als in so einer Bücherei. Außerdem wüssten Passanten, dass er Fotokopien machen kann. Man sieht den Apparat durchs Fenster, und vielleicht räumt er ihn bald unter den Tisch.

Der blaue Engel wohnt nicht in Borgholzhausen

"Kerzen- und Geschenkeladen", meinte ich. "Wenn Du es präzise wissen willst. Der nette kleine Laden, wo die Mitarbeiterin gerade ein weiteres Set von Kleinigkeiten auf einer Pappunterlage arrangiert. Wäre ich nicht so eine Ökotante, hätte sie dafür Folie. Es wäre viel schöner als mit diesem Seidenpapier, das ich teuer eingekauft habe, obwohl es echt niemand will. Der blaue Engel vielleicht." Der Kabelmann grinste. "Der wohnt aber nicht in Borgholzhausen." Punkt für ihn.

Ich ging zurück und schloss mit dem Kabel meinen kleinen Kühlschrank an, der die Getränke und das Mittagessen aufbewahrt. Der blaue Engel findet mittags eine vegane Bowl. Er wohnt im Gründerzeitaltbau auf sanierter Etage, besitzt ein Lastenfahrrad, kauft im Bioladen und scannt seine Dokumente. Hiesige Leute wohnen im Einfamilienhaus und fahren Auto. Technisch gesehen, benötigen sie ihr Fax, den Münzkopierer und einen Stadtplan auf Papier. Letzteren erhalten sie von der Stadtverwaltung. Immerhin. Dort können sie auch ein Elektroauto mieten und Prospekte über Nachhaltigkeit mitnehmen.

Orte für Menschen, die ihre Bundesrepublik vermissen

Es mangelt also nicht an Möglichkeiten. Es mangelt manchmal an Einsicht. Die großen Themen, den Klimawandel und den Krieg der Russen, gibt es in den Nachrichten. Aber bitte nicht in unserer Freistraße. Energiesparen wird bis zur Gangway des Kreuzfahrtschiffes akzeptiert. Der Urlaub um jeden Preis ist dann aber aus dem kollektiven Gedächtnis so schwierig zu entfernen wie die Sehnsucht nach dem Münzkopierer im Facheinzelhandel. Letzteren könnte man im Rathaus oder der Bibliothek aufstellen, finde ich. Problem gelöst. Aber darum geht es nicht. Es geht um Orte für Menschen, die ihre Bundesrepublik vermissen.

Es war in Provinzwestdeutschland so übersichtlich, dass ich nach der Schule direkt abgehauen bin. Wie all die anderen blauen Engel, als deren geistige Kusine ich störende Wirkung entfalte. Ich sagte zu dem vierten klagenden Kunden dieses Vormittags: "Sie halten es mit mir aus, nun seit so vielen Jahren. Alles weitere schaffen Sie auch." Er zog eine Schnute. Da ich heimlich nett bin, machte ich ein Foto von seinem Ausweis und druckte das aus. Wir nähern uns der Gegenwart, wenn auch in kleinen Schritten.

Unsere Kolumnistin

Martina Bergmann (42) lernte Verlagsbuchhändlerin bei Rowohlt und studierte Geisteswissenschaften in Berlin. 2009 machte sie sich selbständig und eröffnete eine Buchhandlung in Borgholzhausen; 2019 erschien ihr erster Roman („Mein Leben mit Martha“, Eisele).  Im Börsenblatt erzählt Martina Bergmann Geschichten aus der Provinz - und manchmal regt sie sich ein bisschen auf.