Anja Urbschat über KI im unabhängigen Buchhandel

"Chat GPT ist mein Sparringspartner"

7. Februar 2024
Sabine Cronau

KI-Tools im unabhängigen Buchhandel? Im localbook.shop in Düsseldorf ist Chat GPT täglich im Einsatz – bei Kundenanfragen, Pressemeldungen, Buchtipps. Klappt das gut? Und spart es Zeit? Ein Interview mit Inhaberin Anja Urbschat.

Anja Urbschat in ihrem Laden - mit Roboterin

Ende 2021, also mitten in der Pandemie, hat die gelernte Buchhändlerin Anja Urbschat ihren localbook.shop in der Düsseldorfer Carlstadt eröffnet. Auf 110 Quadratmetern gibt es hier Kinderbücher, Romane, Sachbücher und schöne Dinge. Bücher und Buchhandel sind Urbschats Leidenschaft, aber auch die digitale Transformation.

Zu ihrem Team gehört beispielsweise eine humanoide Roboterin. „Für kleine Kinder, die in der Pandemie zu uns gekommen sind, war die Hand der Roboterin manchmal die erste, die sie überhaupt in ihrem Leben geschüttelt haben“, erzählt Anja Urbschat (mehr dazu hier).

Wir nutzen Künstliche Intelligenz gerne im Arbeitsalltag. Nicht weil wir eine hochtechnisierte KI-Butze sind, sondern als Anwenderinnen und aus Neugier.

Anja Urbschat

Frau Urbschat, für Sie als Buchhändlerin ist die kreative Leistung von Autor:innen eigentlich ein Lebenselixier. Was fasziniert Sie am Thema Künstliche Intelligenz?

Es ist einfach wichtig! Das war vor Chat GPT schon so, durch die rasante Entwicklung des vergangenen Jahres ist KI aber noch mal relevanter geworden.

Wir führen deshalb viele Sachbücher zu Digitalisierung und KI im Laden, organisieren Veranstaltungen zum Thema, informieren uns selbst auf Digitalkonferenzen – aber darüber hinaus nutzen wir KI auch gerne im Arbeitsalltag. Nicht weil wir eine hochtechnisierte KI-Butze sind, sondern als Anwenderinnen und aus Neugier.

Wie sieht das konkret aus?

Wir nutzen die Chat GPPT 4 Plus Bezahlvariante (auch als App), die schon auf dem Datenstand von April 2023 ist und zusätzlich tagesaktuelle Informationen aus dem Internet abfragt.. Die Anwendung ist parallel zu unseren bibliografischen Datenbanken geöffnet. Seitdem merke ich, wie sich mein Verhalten ändert – weg von der Google- hin zur Chat GPT-Recherche. Einfach, weil es nützlich ist und durch die Sprachsteuerung noch schneller geht. Man muss sich nicht durch lange Trefferlisten quälen.

Wir setzen Chat GPT gerne bei der Titelrecherche für Kundenanfragen ein – aber vor allem, wenn es um das Entwickeln von Texten und Ideen geht. Denn gerade hier sorgt es für enorme Zeitersparnis. Etwa, wenn es darum geht, unsere Anschreiben für die Bücherabos zu formulieren, die wir monatlich verschicken.

Ich gebe einen Buchtitel ein und das Tool erstellt auf Knopfdruck hervorragende Inhaltsangaben von Büchern.

Anja Urbschat

Das heißt, Sie werfen Chat GPT ein paar Informationen hin – und fertig ist der Text?

Die Entwicklung verläuft wirklich rasant. Am Anfang haben wir noch einen grob vorformulierten Text zum aktuellen Titel des Bücherabos eingegeben – und Chat GPT dann die Ausformulierung in der jeweiligen Zielgruppen-Ansprache überlassen, etwa für unser Kinderbuch-Abo. Seit kurzem gibt es eine spezialisierte Anwendung „Books“, die auf noch detailliertere Daten über Bücher zugreifen kann.

Das heißt: Ich gebe einen Buchtitel ein und das Tool erstellt auf Knopfdruck hervorragende Inhaltsangaben von Büchern. Die Zusammenfassungen ordnen das Buch ein, verweisen zum Beispiel auch auf aktuelle Theaterinszenierungen und unterscheiden sich deutlich von Vorschautexten.

Nur eine Frage kann Chat GPT nicht per Knopfdruck beantworten – nämlich, warum wir gerade dieses Buch für unser Bücherabo ausgewählt haben. Diese Expertise obliegt unserer menschlichen Intelligenz.

Die Frage, auf welcher rechtlichen Basis die Texte zu den Büchern beruhen, müssen wir hier mal außen vorlassen. Das werden künftig Gesetze und Regeln zu Transparenz klären müssen.

Vertrauen Sie dem Algorithmus?

Natürlich halluziniert Chat GPT manchmal auch. Neulich hat uns die KI zum Beispiel einen tollen Text zu einem Buch geliefert - der allerdings überhaupt nicht zum ausgewählten Titel passte. Dann ist die Wortwahrscheinlichkeitsrechenmaschine zwischendurch irgendwo falsch abgebogen. Kontrolle ist unabdingbar.

In der Regel haben wir die Bücher, die via Abo verschickt werden, jedoch selbst gelesen. Von daher merken wir, wenn etwas schiefläuft.

Wo setzen Sie die KI außerdem ein?

Unsere persönlichen Buchtipps haben wir sonst immer selbst verfasst. Jetzt gebe ich Titel und Textlänge ein – und Chat GPT bereitet das Ganze wunderbar als Buchtipp auf, den ich nur ausdrucken oder online stellen muss. Auch Pressemeldungen zu Veranstaltungen lassen wir vom KI-Tool schreiben.

Gerade nach einem langen Arbeitstag fällt es mir oft schwer, plötzlich kreativ zu sein und mich auf das Ausformulieren solcher Texte zu konzentrieren. Da ist Chat GPT einfach ein guter Sparringspartner. Anders gesagt: Wenn ich merke, dass ich mal so gar keinen Esprit habe, um etwas zu Papier zu bringen, im Blog oder auf LinkedIn zu posten – dann hilft mir Chat GPT.

Nach und nach werden wir sicher noch mehr Einsatzmöglichkeiten entdecken – einfach, weil wir mehr experimentieren und uns mehr trauen.

Anja Urbschat

Sind Entscheidungen beim Einkauf auch eine Sache für Chat GPT? Oder besser nicht?

Für mich ist das kein Entweder-Oder. Neulich habe ich die KI zum Beispiel gefragt, welche neuen Bücher im Januar und Februar wichtig sind. Und siehe da: Neben Novitäten, die ich eingekauft hatte, stand auf der Trefferliste auch ein Titel, der mir in der Tat durchgerutscht war: „Putins Krieg gegen die Frauen“ von Sofi Oksanen, das ich dann gleich vorgemerkt habe.

Auch hier kann Chat GPT also bei Bedarf Hilfestellung geben oder Inspirationsquelle sein. Nach und nach werden wir sicher noch mehr Einsatzmöglichkeiten entdecken – einfach, weil wir mehr experimentieren und uns mehr trauen.

Ich merke jedenfalls, dass wir nicht mehr so intensiv mit den buchhändlerischen Suchmaschinen arbeiten, weil die Suche bei Chat GPT nicht so klar eingegrenzt werden muss. Vor kurzem rief ein Kunde an, der eine Rezension in einer Zeitung gelesen hatte und nur noch wusste, dass das Buch blau war und wovon es in groben Zügen handelte. Was soll ich sagen: Chat GPT hat den Titel gefunden.

Es gibt schon KI-Tools auf dem Buchmarkt, die persönliche Titelempfehlungen aufgrund von Lesevorlieben geben. Könnten Sie sich vorstellen, auch so etwas einzusetzen?

Wir haben ja seit der Eröffnung im Dezember 2021 auch eine Roboterin bei uns im Bookshop – und ich denke, dass wir sie spätestens im Frühjahr so umrüsten werden, dass sie Chat GPT-tauglich ist.

Dann kann sie im Kundenkontakt topaktuelle Fragen zu Büchern beantworten und auch Empfehlungen aufgrund von Lesevorlieben geben. Das wäre eine coole Sache.

Im März sind Miriam Meckel & Léa Steinacker bei Ihnen zu Gast – mit ihrem neuen Buch "Alles überall auf einmal", das sich um Künstliche Intelligenz dreht. Die Veranstaltung ist längst ausverkauft. Haben Sie sich einen Namen als KI-Buchhandlung gemacht?

In Düsseldorf auf jeden Fall. Wir haben keine große Fachabteilung, aber spielen das Thema immer wieder im Sortiment und kennen uns damit aus. Wenn sich also der Evangelische Kirchenkreis im Viertel mit KI-Fragen beschäftigt, dann sind wir die erste Anlaufstelle für Informationen.

Für die Lesung mit den Expertinnen Miriam Meckel und Léa Steinacker war die Nachfrage riesig, das Interesse an KI ist groß. Wir hätten locker die zehnfache Anzahl an Tickets verkaufen können, verglichen mit den verfügbaren 60 Plätzen im Bookshop.

Aktuelle Themen und Trends zu vermitteln und sich damit auszukennen – das war schon immer eine Kernkompetenz des Buchhandels. Warum sollte das bei KI nun anders sein?

Anja Urbschat

Was können Sie Kolleg:innen beim Einsatz von KI-Tools raten?

Die großen Filialisten arbeiten sicher längst an entsprechenden Tools und Schnittstellen für ihre IT. Meinen Kolleg:innen im unabhängigen Buchhandel kann ich nur empfehlen, einfach mal mit der kostenlosen Variante Chat GPT 3.5 zu experimentieren, die auf dem Datenstand von 2022 ist.

Chat GPT ist immer gut, um sich Anregungen und Ideen zu holen. Und es spricht nichts dagegen, sich einen Buchtipp automatisiert aufbereiten zu lassen - wenn man das Buch kennt und gut einschätzen kann.

Das Thema Künstliche Intelligenz gehört für mich ganz klar in den Buchhandel. Als ich 1993 meine Ausbildung angefangen habe, da zogen nach und nach Computerbücher in die Regale ein und Buchhändlerinnen mussten plötzlich auch beispielsweise zu Programmiersprachen, Softwareanwendungen & Co beraten.

Aktuelle Themen und Trends zu vermitteln und sich damit auszukennen – das war schon immer eine Kernkompetenz des Buchhandels. Warum sollte das bei KI nun anders sein?