Kolumne von Martina Bergmann

Borgholzhausen wird digital

29. April 2021
Redaktion Börsenblatt

Vor Corona hielt Martina Bergmann Internet und Borgholzhausen für einigermaßen getrennte Sphären. Das hat sich geändert. "Ein Jahr Corona hat mir also gar nicht weniger Kundenkontakt beschert; im Gegenteil. Sie sind überall, sie reden mit; ich liebe es", sagt die Autorin und Buchhändlerin aus Ostwestfalen.

Ich finde meine Kunden prima. Landfrauen, Heimatvereine, Kirchenchor und das handwerkliche Milieu. Es ist so weit weg von einer großen Stadt, dass sie Würstchen grillen und Salat anbauen aus Intuition. Lange vor dem Hochbeet und den Weber Grills. Man könnte sagen, sie waren schon immer da, wo alle gern wären: Beim guten Leben. Dass das auch mit Platz zu tun hat, mit großen Gärten und reichlich Räumen, die früher mal Kinderzimmer oder der Schankraum waren, lassen wir an dieser Stelle nicht ganz außen vor. Es ist die Kompensation jetzt für all das Geläster, weil nichts davon ironisch ist. 

Liebe Kunden, bleibt bitte schön analog.

Und das Internet kann fies sein, weit über den sanften Spott hinaus. Ich dachte also öfter, liebe Kunden, bleibt bitte schön analog. Ihr seid so nett, und ich will gar nicht, dass sich das digital abschleift.

Ich lege nicht den meisten Wert darauf, euch mit der Anlage eines Online-Shops darauf hinzuweisen, dass es davon bessere gibt. Kennt Ihr einen, kennt Ihr die anderen schnell auch. Der Versandkatalog für Saatgut nach Mondlauf enthält weiter Bestellpostkarten und eine Faxnummer; ich überprüfe so etwas bei meinen Eltern und bin gar nicht dafür, dass Geschwister es gern übernehmen, dies und das schnell online irgendwo zu ordern.

Ich bin also, Sie merken das beim Lesen, womöglich konservativer als unterstellt. Denn Sie kennen mich ja digital, weil ich Ihnen schon einige Jahre diese Kolumne schreibe, von der das meiste nicht im Börsenblatt Print auftaucht. Ich unterhalte auch alle möglichen Social-Media-Kanäle, wo ich mir die Zeit vertreibe. Aber ich hielt Internet und Borgholzhausen tatsächlich für einigermaßen getrennte Sphären und fand das auch in Ordnung. 

Ein Jahr Corona hat mir also gar nicht weniger Kundenkontakt beschert; im Gegenteil. Sie sind überall, sie reden mit; ich liebe es.

Das Nähebedürfnis sucht sich seine Wege.

Nur: Jetzt ist ja schon eine Weile sonst nichts los. Ich lernte, den Kunden geht es wie mir: Sie benutzen das Internet, um sich zu unterhalten. Das Nähebedürfnis ist ein Rinnsal, das sich seine Wege sucht. Wenn nicht beim Vereinsabend, dann am Smartphone oder Tablet. Vieles davon ist auch übrigens für Heimwerker wie gemacht. Was für Funktionen Zoom alleine hat, die ganzen Meldungsmöglichkeiten, Chats und anderen: Ich hätte mir denken können, dass das gefällt. Herausfordert. Verbindet. Ein Jahr Corona hat mir also gar nicht weniger Kundenkontakt beschert; im Gegenteil. Sie sind überall, sie reden mit; ich liebe es.

Und am allermeisten letzten Samstag, als verschiedene Personen, eindeutig erkennbar als Auswärtige, sich empörten, weil ich vergessen hatte, neue Schaufensterbeschriftungen einzukaufen. Man sieht im Moment durchs Fenster die Bücher und mich; keine weitere Anleitung. Personen jedenfalls nutzten die Gelegenheit, sich echt mal aufzuregen, und ich überlegte noch, wie dem entgegentreten, als ein Rollator in den linken unteren Bildrand fuhr. Recht schnell, ein Rallye-Fähnchen fehlte gerade noch, ich dachte: Oh, bitte. Neunzig plus heilt nicht mehr so gut. In dem Moment die wirklich alte Kundin, strahlend: "Sie heißt Frau Bergmann. Sie können Sie googeln!"

Ich rückte noch am Nachmittag meine Handynummer heraus.

Dieser herrlichen Person gelang, was 137 Digital-Berater und Spezialexperten nicht hinbekommen haben, all die Jahre nicht: Ich rückte noch am Nachmittag meine Handynummer heraus für eine WhatsApp-Gruppe. Jetzt sind's schon drei, und heute ist erst Mittwoch. Die Reaktionen entsprechen ungefähr dem, was mir geschah, als ich irgendwann meinen Widerstand gegen den Schützenverein aufgegeben habe und beigetreten bin. Nämlich: Freude. Eine von uns, die Buchhändlerin! Auch digital, und natürlich so, wie wir das wollen.

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