Amazon plant Logistikzentren in Shopping-Malls

"Das könnte den Handel auf den Kopf stellen"

10. August 2020
Christina Schulte

Der weltweit größte Onlinehändler verhandelt derzeit mit der Simon Property Group, größte Besitzerin von Einkaufszentren, über Ladenflächen, nicht etwa für weitere Amazon-Go-Filialen, sondern als Logistikzentren. Ein cleverer Schachzug des Unternehmens, der weitreichende Konsequenzen nach sich ziehen kann. Eine Analyse von Christina Schulte.

Amazon wird mit Lagermöglichkeiten in innerstädtischen Centern oder in Shopping-Malls auf der grünen Wiese seine Lieferzeiten wesentlich verkürzen und auch eine attraktive Lösung für die vielbeschworene letzte Meile schaffen können, die kaum ein Online-Händler bisher befriedigend bedienen kann: Same day delivery wäre dann ein leichter einzulösendes Versprechen – und andere Händler hätten es noch schwerer gegenzuhalten.

Anhand seiner ausgefeilten Algorithmen könnte Amazon zudem sehr schnell herausfinden, welche Produkte gerade auf diesen innerstädtischen oder stadtnahen Flächen gelagert werden müssten, um sie effizient zu verteilen und damit einen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Mit der Vorstellung, dass das Amazon-Logistiklager sich Tür an Tür neben den Läden befindet, die die gleichen Produkte verkaufen wie der Onlineriese, aber nicht sofort liefern können, muss man sich dann abfinden. Den stationären Einzelhandel würde das weiter unter Zugzwang setzen.

Den Immobilienbesitzern allerdings dürfte es entgegenkommen, wenn das Unternehmen leerstehende Fläche innerhalb oder außerhalb der Einkaufsmeilen anmietet – Leerstand ist ein Problem nicht nur in Nordamerika. Und bislang hat die Marktbereinigung im Handel, die coronabedingt weltweit spätestens für das kommenden Jahr prognostiziert wird, noch nicht in vollem Umfang stattgefunden.

Innerstädtische Logistikzentren in Deutschland?

Interessant ist die Frage, ob und wo solche Logistikzentren auch in Deutschland möglich wären und welche Veränderungen das im Stadtbild mit sich bringen würde. Spielen wir diesen Gedanken einmal durch: Leere, auch größere Ladenflächen sind vorhanden oder sie kündigen sich vielerorts gerade an, etwa durch die geplanten Schließungen von Karstadt-Kaufhof-Filialen; in vielen Centern gibt es ebenfalls unvermietete Läden.

Wenn hier ein Händler in die Bresche springt, nicht, um seine Waren zu präsentieren, sondern um sie zu lagern und von dort auszuliefern, ist das für die Vermieter eine ganz neue Option. Und sicherlich hätte nicht nur Amazon ein Interesse an solch einer Nutzung. Die Otto-Group beispielsweise, hinter Amazon der zweitgrößte Online-Händler in Europa, könnte sich gleich selbst als Mieter in den von ihr betriebenen ECE-Centern niederlassen. Ein solches Szenario regt die Fantasie an.

Innenstädte oder Center, die bisher hauptsächlich von einem attraktiven Einkaufsangebot oder Gastronomiekonzepten leben, erhielten mit dem Aufkommen von Logistiklagern in Teilen ein neues Gesicht. Stadtentwicklern, die sich ohnehin für einen neuen Mix aussprechen, der über Handel und Gastronomie hinausgeht, zählen dazu auch die Ansiedelung von Handwerk und Gewerbe. Treffer.

Auswirkungen hätte eine solche Umwidmung der Flächen sicher auch auf die Mieten, die in Top-Einkaufslagen und gut laufenden Centern überdurchschnittlich hoch sind. Ob sie für ein Logistikzentrum tragbar wären? Möglicherweise, wenn man kürzere Touren, Kundenbindung, Wettbewerbsvorteile etc. gegenrechnet. Falls nicht, dürften von den sinkenden Mieten auch die anderen Händler profitieren.

Aber zurück zu Amazon: Im Abschluss außergewöhnlicher Deals zu besonderen Konditionen war das Unternehmen schon immer sehr gut. Man wird also ein Auge darauf haben müssen, wie sich die Verhandlungen weiterentwickeln. Und dann stellen sich strategisch hoch relevante Folgefragen.

Neu konfigurierte Welten

Was würde der Einzug von Handwerk und (Logistik-)Gewerbe in innerstädtische Lagen für diese Stadträume bedeuten, die bisher als reine Konsumwelten geplant und genutzt wurden? Welche Funktionsverschiebungen ergeben sich für denjenigen Einzelhandel, der in diesen ggf. neu konfigurierten Welten sein Vor-Ort-Angebot aufrecht erhält? Wird der Entzug von Shopping-Gelegenheiten das reale Einkaufserlebnis dort, wo es möglich bleibt, aufwerten?

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