"Wir nehmen das Beste aus zwei Welten mit"
Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis über die Buchbranche in der Corona-Krise, Erfolge der politischen Arbeit und Digitalisierungseffekte im Verband. Ein Auszug aus dem Jahresbericht des Börsenvereins.
Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis über die Buchbranche in der Corona-Krise, Erfolge der politischen Arbeit und Digitalisierungseffekte im Verband. Ein Auszug aus dem Jahresbericht des Börsenvereins.
Seit März bestimmt Corona den Alltag. Wie erleben Sie den Umgang der Buchbranche mit den Folgen der Pandemie?
Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie fest das Buch in der Gesellschaft verankert ist, auch und gerade in Krisenzeiten. Das beste Beispiel dafür war der 17. März, also der Tag vor dem Lockdown, an dem es ein großes Umsatzplus gab, weil sich viele Menschen noch mal mit Büchern eingedeckt haben. Unsere Branche hat unglaublich viel Engagement und Kreativität gezeigt, um trotz Ladenschließungen und Ausgangsbeschränkungen Bücher zu den Menschen zu bringen. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die Buchbranche ein zuverlässiger Partner für die Versorgung der Menschen mit Büchern, ja für eine lebendige und freie Gesellschaft insgesamt ist. Anders als Onlinehändler Amazon, der Bücher ganz schnell auf der Prioritätenliste aus Profitabilitätsgründen heruntergestuft hat.
Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus der Krise für die Verbandsarbeit mit?
Globalisierung, soziale Gerechtigkeit, nachhaltiges Wirtschaften: Die Fragen, die diese Krise aufgeworfen hat, werden die Gesellschaft wohl noch lange beschäftigen. Und es ist Aufgabe der Buchbranche, dafür Plattformen zu bieten, Informationen bereitzustellen und Debatten auszulösen. Für uns als Verband heißt das, dass wir uns noch intensiver mit dem Thema Debattenkultur auseinandersetzen möchten. Außerdem entwickeln wir zurzeit in einem offenen Prozess neue Formen der Verbandsarbeit. Das digitale und agile Arbeiten hat einen enormen Schub bekommen, der dazu führt, dass wir noch flexibler auf die individuellen Bedürfnisse unserer Mitglieder eingehen können.
Es gab einen hohen Informations- und Unterstützungsbedarf, den wir versucht haben, durch schnelle und umfassende Beratung und Information zu bedienen. Die Tatsache, dass während der Krise einige Unternehmen dem Verband neu beigetreten sind, zeigt, dass eine enge und starke Gemeinschaft von großer Bedeutung ist. Ich wünsche mir, dass wir weiterhin so erfolgreich und solidarisch an einem Strang ziehen.
Wir sind eine besondere Branche, deren Beitrag zur Gesellschaft hohe Anerkennung in der Politik findet. Es hat mich gefreut, dass sich diese Anerkennung nicht in Reden und schönen Worten erschöpft.
Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins
Corona-bedingt konnten viele Veranstaltungen nicht stattfinden oder wurden ins Digitale verlagert. Kehrt der Verband 2021 zu gewohnten Formaten zurück, oder bleibt alles anders?
Digitale Formate wie Buchtage@home oder unsere Webinare zu den Soforthilfen und zur Mehrwertsteuerreduzierung haben den Mitgliedern einen direkten Draht zum Verband ermöglicht, und diese Nähe werden wir auch in Zukunft beibehalten. Wir werden das Beste aus zwei Welten mitnehmen, denn natürlich fehlt uns der persönliche Kontakt zu unseren Mitgliedern. Die Authentizität von Präsenzveranstaltungen ist digital nur schwer abzubilden. Hier können digitale Angebote die Veranstaltungen erweitern, aber ersetzen werden sie den persönlichen Austausch nicht.
Die politische Arbeit war neben den Dienstleistungen für die Branche die zentrale Aufgabe des Börsenvereins in der Corona-Krise. Wie wurde die politische Agenda mitgestaltet?
Wir sind eine besondere Branche, deren Beitrag zur Gesellschaft hohe Anerkennung in der Politik findet. Es hat mich gefreut, dass sich diese Anerkennung nicht in Reden und schönen Worten erschöpft, sondern sich auch in finanzieller Unterstützung niederschlägt. Der intensive Kontakt zur Politik und insbesondere zu Kulturstaatsministerin Monika Grütters hat es ermöglicht, dass speziell auf die Buchbranche zugeschnittene Hilfsmaßnahmen sehr schnell umgesetzt wurden. Buchhandlungen gehörten außerdem zu den ersten Geschäften, die bundesweit auch unabhängig von ihrer Größe wieder öffnen durften. Diese Flexibilität und Geschwindigkeit vonseiten der Politik müssen wir versuchen zu erhalten, damit auch andere Themen wie die Verlegerbeteiligung sobald wie möglich umgesetzt werden. Obwohl fast alle Beteiligten aus der Politik der Meinung sind, dass Verlage wieder an den Ausschüttungen der VG Wort beteiligt werden müssen, warten wir schon Jahre auf die gesetzliche Klarstellung in Deutschland.
Welche rechtlichen Themen haben den Verband neben der Verlegerbeteiligung noch beschäftigt?
Seit Dezember 2019 unterliegen endlich auch elektronische Verlagserzeugnisse dem reduzierten Mehrwertsteuersatz. Das war ein wichtiger Schritt zur steuerlichen Gleichbehandlung von digitalen und physischen Verlagsangeboten. Außerdem konnten wir im November 2019 ein eindeutiges Zeichen für die Buchpreisbindung setzen. Zwei unabhängige Gutachten von Wissenschaftler*innen der Universitäten Gießen und Osnabrück haben gezeigt, wie essenziell die Preisbindung für einen qualitätsvollen, vielfältigen Buchmarkt ist. Ein weiteres Thema war die Preispolitik der Deutschen Post. Die geplanten Verschlechterungen der Konditionen für Büchersendungen gefährden die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen und mittelgroßen Buchhandlungen und Verlage und damit die Vielfalt des Buchmarkts. Wir werden uns auch im kommenden Jahr fortlaufend dafür einsetzen, dass Bücher als Kulturgut weiterhin privilegiert behandelt werden.
Wir sind seit Längerem in Gesprächen mit der Politik über eine strukturelle Förderung von Buchhandlungen und Verlagen.
Alexander Skipis
Wie lässt sich die Bibliodiversität auf dem Buchmarkt langfristig erhalten?
Im Vergleich zu anderen Branchen sind die Umsatzrenditen in der Buchbranche extrem gering. Das heißt, Buchhandlungen und Verlage können kaum finanzielle Rücklagen bilden, sodass die kleinste Störung im Geschäft gerade kleine Unternehmen gleich vor die Existenzfrage stellt. Um die Vielfalt auf dem Buchmarkt zu erhalten, brauchen wir stabile Rahmenbedingungen wie ein wirksames Urheberrecht und die Buchpreisbindung. Darüber hinaus sind wir seit Längerem in Gesprächen mit der Politik über eine strukturelle Förderung von Buchhandlungen und Verlagen. Der Deutsche Buchhandlungspreis und der Deutsche Verlagspreis sind erste Instrumente, mit denen die Politik herausragende Leistung würdigt.
Angesichts einer breiten Corona-Berichterstattung gerät das Thema Meinungs- und Publikationsfreiheit etwas in den Hintergrund. Wie hat sich der Verband in den vergangenen Monaten für dieses Thema eingesetzt? Von Appellen und Solidaritätsaktionen für inhaftierte Kulturschaffende bis hin zu einer Mahnwache auf der Frankfurter Buchmesse für den schwedisch-chinesischen Verleger Gui Minhai haben wir auch in schweren Zeiten Haltung gezeigt. 2021 planen wir die Woche der Meinungsfreiheit, die in diesem Jahr Corona-bedingt leider noch nicht in vollem Umfang stattfinden konnte. Vom Tag der Pressefreiheit am 3. Mai bis zum Tag der Bücherverbrennung am 10. Mai werden wir mit Partnern Aktionen durchführen, um zu zeigen, dass Meinungsfreiheit ein unverhandelbares Grundrecht ist.
Ein anderes zentrales Thema des Verbands ist die Leseförderung. 2019 haben Sie im Jahresbericht des Börsenvereins eine bundesweite Strategie zur Leseförderung gefordert. Was ist daraus geworden?
Leider wenig, denn vonseiten der Politik kam wenig bis gar keine Reaktion. Das werden wir aber nicht so stehen lassen. Gemeinsam mit der Stiftung Lesen erarbeiten wir gerade ein umfassendes Konzept für einen nationalen Lesepakt, der bestehende Maßnahmen bündelt und gezielt ergänzt. In den kommenden Monaten werden wir mit der Initiative an die Öffentlichkeit gehen. Geplant sind ein öffentlichkeitswirksamer Auftakt, eine zentrale Expert*innentagung und schließlich der Aufbau langfristiger Leseförderungskonzepte.