Börsenverein: Fachausschüsse diskutieren über Kostenexplosion

"Wir müssen uns auf Lieferlücken einstellen"

5. Mai 2022
Sabine Cronau

Auf die Kostenwelle der Corona-Krise folgt die Schockwelle des Ukraine-Kriegs: Die massiven Preissteigerungen für Papier und Energie waren ein zentrales Thema bei der gemeinsamen Sitzung der Fachausschüsse in dieser Woche. Und die IG PRO soll zur IG Nachhaltigkeit werden.

Schon nach der Sitzungswoche im vergangenen November hatte Stephan Schierke, Vorsitzender im Ausschuss für den Zwischenbuchhandel, von einem „Kosten-Tsunami“ in der Buchbranche gesprochen – damals unter dem Eindruck der Corona-Krise und der damit verbundenen Lieferengpässe (mehr dazu hier). Dass es noch viel schlimmer gekommen ist als damals befürchtet: Das machte Schierke an diesem Donnerstag deutlich - beim traditionellen Pressegespräch, das immer nach der gemeinsamen Sitzung der Fachausschüsse im Börsenverein stattfindet.

Statt der erwarteten Inflationsrate von drei bis vier Prozent liege die Teuerungsrate mittlerweile bei sieben Prozent und mehr, so Schierke bei der kleinen Teams-Konferenz. „Die Schockwellen, die der Ukraine-Krieg nach sich zieht, setzen sich jetzt noch auf die Entwicklung drauf“.

Die Folgen für Verlage, Buchhandel und Zwischenbuchhandel skizzierte die Vorsitzenden der drei Fachausschüsse im Detail im Pressegespräch.

Fast noch schmerzhafter als die Preisentwicklung ist das Verfügbarkeitsproblem.

Nadja Kneissler, Vorsitzende im Ausschuss für Verlage

Verlage müssen anders planen

Als Produzenten seien die Verlage „eklatant“ von den Kostensteigerungen betroffen, betonte Nadja Kneissler (Delius Klasing), Vorsitzende des Ausschusses für Verlage. Die Papierpreise seien von März 2021 bis März 2022 um 40 Prozent in die Höhe geschnellt: „Das ist schmerzhaft.“

Fast noch schmerzhafter sei jedoch das Verfügbarkeitsproblem: Zellstoff fehle ebenso wie bestimmte Chemikalien, die für die Buchproduktion gebraucht würden. Verlage würden dadurch extrem unter Druck stehen: „Wir müssen ganz anders planen – viel langfristiger und auch mit höheren Startauflagen, wenn wir unsere Bücher lieferbar halten wollen.“ Die Branche werde sich dennoch auf Lieferlücken einstellen müssen. Was auch den Buchhandel treffe.

Hinzu kommen die steigenden Energiepreise, die im energieintensiven Druckgewerbe besonders durchschlagen: „Kurzum: Verlegen ist im Moment ein Abenteuer mit vielen Unwägbarkeiten“, so Kneisslers Fazit.

Im Herbst haben wir mit einer Inflationsrate von drei bis vier Prozent gerechnet - heute sind wir bei sieben Prozent und mehr.

Stephan Schierke, Vorsitzender im Ausschuss für den Zwischenbuchhandel

Schmale Margen im Zwischenbuchhandel

Steigende Papierkosten sind auch für die Logistiker ein Thema - etwa bei Verpackungen oder den Begleitpapieren. Mehrkosten von 40 Prozent würden die ohnehin niedrigen Margen weiter schmälern, betonte Zwischenbuchhändler Stephan Schierke (VVA).

Hinzu kommen steigende Ausgaben für Personal und Energie sowie der Fachkräftemangel: „Bei uns bleiben Stellen teilweise sechs Monate unbesetzt.“ Die Kostenspirale treffe den Bücherwagendienst ganz besonders: „Das wird so nicht mehr lange funktionieren“, fürchtet Schierke. Die Mehrkosten seien nicht mehr zu tragen, sondern würden „sich Bahn brechen“, prognostiziert der Logistikfachmann mit Blick auf die Gebühren (ein Hintergrund-Interview zur Kostenbelastung in der Logistik lesen Sie hier).

Auch der Buchhandel spürt die allgemeine Konsumflaute, die mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs begonnen hat.

Christiane Schulz-Rother, Vorsitzende im Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel

Buchhandel fürchtet Lieferprobleme

Der Buchhandel stehe am Ende der Wertschöpfungskette und spüre im Moment die allgemeine Konsumflaute, die mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs eingetreten sei, erläuterte Christiane Schulz-Rother (Tegeler Bücherstube, Berlin), Vorsitzende im Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel. Sorgen bereiten dem Buchhandel aber auch Lieferprobleme der Verlage und die schwierige Suche nach Auszubildenden. „Wenn die Rendite im Buchhandel noch weiter sinkt, wird darüber hinaus die Suche nach Nachfolgelösungen weiter erschwert“, so Christiane Schulz-Rother.

Könnte eine Absenkung der Mehrwertsteuer, die sich laut neuer EU-Regelung sogar auf 0 Prozent reduzieren ließe, ein Ausweg aus der Kostenfalle sein? Darüber haben die Fachausschüsse bei ihren Sitzungen am Mittwoch diskutiert, aber: „Der Teufel steckt auch hier im Detail“, fasst Stephan Schierke zusammen.

Ein Knackpunkt ist der Vorsteuerabzug, der nicht wegfallen dürfe. Auch eine zeitlich befristete Regelung, wie sie in der Corona-Krise bei der Senkung von sieben auf fünf Prozent galt, sei unter dem Strich wenig hilfreich – weil sie mit einem enormen Umstellungsaufwand verbunden sei, so Buchhändlerin Christiane Schulz-Rother.

Zukunftsthema Nachhaltigkeit

Neben der Kostenexplosion haben sich die Fachausschüsse mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst. Das große Zukunftsfeld einer umweltfreundlichen Buchbranche soll nun fest in der Struktur der Interessengruppen verankert werden. Die IG PRO (Prozesse, Rationalisierung, Organisation) wird künftig zur IG Nachhaltigkeit, weil ihre Themenfelder eng damit verbunden sind. Außerdem baut der Börsenverein gerade eine Plattform für den Austausch zu Nachhaltigkeitsthemen auf, mit Leuchtturm-Projekten und Zertifizierungspartnern (mehr dazu hier).

Aus den einzelnen Fachausschuss-Sitzungen

Die Vorsitzenden der Fachausschüsse berichteten außerdem kurz aus den getrennten Sitzungen der Verlage, Zwischenbuchhändler und Sortimente.

Ausschuss für den Zwischenbuchhandel:

  • Verpackungsgesetz: Ab Juli 2022 gilt eine Registrierungspflicht im Verpackungsregister LUCID für alle Verpackungen - „und wir als Logistiker dürfen nur noch für Auftraggeber tätig werden, die sich vorher registriert haben“, so Schierke. Verlage müssten jetzt ihre Hausaufgaben machen.
  • Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Es gilt zwar nur für Großunternehmen – aber weil darunter auch Amazon fällt, werde es ebenso Folgen für Verlage und Auslieferungen haben, betonte Schierke: „Wir müssen uns alle damit befassen“ (mehr zum Stand der Dinge hier).
  • Personalfragen im Ausschuss: Eckhard Südmersen verlässt Libri (mehr dazu hier), seine Nachfolgerin als Sprecherin der Geschäftsführung, Alyna Wnukowsky wird interimsmäßig auch seinen Platz im Ausschuss für den Zwischenbuchhandel übernehmen. Ebenfalls vakant ist der Ausschuss-Platz von Ludger Wicher, der von HGV zu LKG wechselte (mehr dazu hier). Derzeit wird nach Kandidat:innen für die Nachfolge im Ausschuss gesucht.
  • VLB-TIX: Ein Dauerthema, das der Zwischenbuchhandel in der Vergangenheit sehr kritisch betrachtet hat, wie Stephan Schierke einräumte. „Auch jetzt sind wir keine begeisterten Fans des Projekts, aber wir beobachten eine neue Offenheit und sehen, dass Bewegung in die Sache kommt.“ Das stimme den Zwischenbuchhandel „hoffnungsvoll“ für die Zukunft des Titelinformationssystems (mehr zum Stand der Dinge hier).

Ausschuss für den Sortimentsbuchhandel

  • Digitaler Wissenshub: Die Börsenvereinsgruppe entwickelt eine Plattform, mit der sich der Buchhandel in digitalen Fragen weiterbilden kann, etwa mit beispielhaften Projekten, Angeboten und Beratungsmöglichkeiten. „Das ist sicher sehr hilfreich, gerade für kleinere und mittlere Sortimente – obwohl wir alle in den vergangenen zwei Jahren digital viel dazugelernt haben“, so Christiane Schulz-Rother.
  • Online-Handel: Hier würde sich der Buchhandel ein Gesetz zu verpflichtenden Versandgebühren wünschen, ähnlich wie es Frankreich eingeführt hat. Peter Kraus vom Cleff, neuer Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, erläuterte im Ausschuss erste Überlegungen für eine entsprechende Initiative: „Das würde dem stationären Buchhandel sehr helfen“, so Christiane Schulz-Rother.
  • Leseförderung: Für den Buchhandel wichtiger denn je – gerade nach der Corona-Krise und den entstandenen Wissens- und Leselücken.

Ausschuss für Verlage

  • E-Lending: Die Verhinderung einer Schrankenregelung sei weiterhin wichtig für die Verlage, so Nadja Kneissler. Außerdem gab es in der Sitzung ein Update zum Digital Services Act und zum Digital Markets Act auf EU-Ebene.
  • Strukturelle Verlagsförderung: Welche Lösungen könnte es dafür in Deutschland geben? Auch das war ein Thema im Ausschuss für Verlage..