Wie muss sich die Frankfurter Buchmesse verändern, um in den kommenden Jahren ihre Position als weltgrößte Branchenmesse behaupten zu können?
Ich sprach eben von meinen beiden wichtigsten Punkten Mitgliedernähe und Mitgliedernutzen. Übertragen auf die weltgrößte Buchmesse heißen diese Punkte Kund*innennähe und Kund*innennutzen. Der Kund*innenkreis der Messe ist sehr groß und sehr divergent. Als Vorsteherin des Börsenvereins sehe ich vor allem unsere Mitglieder und deren Nutzen: Es wird also zu klären sein, wie es gelingt, den großen und den kleinen Ausstellern ein optimales, sinnvollerweise hybrides Sichtbarkeitsangebot zu schneidern, das nach den Einbußen des Corona-Jahres wirtschaftlich vertretbar ist.
Wird „Fläche gegen Geld“ als Geschäftsmodell weiter an Bedeutung verlieren?
Damit ist zu rechnen. Da die Aussteller nicht Quadratmeter kaufen, sondern Kontaktfrequenz, Kontaktqualität, Umfeld und Erfolgspotenzial, muss das im Fokus des Messeteams stehen. Die digitale Buchmesse, die dieses Jahr vielleicht eher als Prototyp gelten darf, muss meines Erachtens fester Bestandteil der Messe werden. Dennoch brauchen wir die analoge Messe in neuer Strahlkraft für 2021, um das Buch im Bewusstsein der Menschen zu verankern. Was die internationalen Aussteller angeht, erfährt die Messe von den Ländern derzeit viel Solidarität. Ich hoffe, die Erfahrungen von 2020 werden trotz Corona so gut sein, dass dieser Trend ausgebaut werden kann. Und dann sind da noch Presse und Öffentlichkeit. Nur wenn es gelingt, dass die Frankfurter Buchmesse im Corona-Jahr so gut es eben geht und 2021 wieder in voller Strahlkraft leuchtet und Leser*innen, Blogger*innen, Journalist*innen und Buchhändler*innen zuhauf anlockt, wird sie ihre Führungsposition behaupten. Ich bin fest davon überzeugt, dass das geht. Und ich glaube nicht, dass wir dazu eine Musikmesse brauchen.
Wie überhaupt werden Buchmessen in drei Jahren aussehen? Was wünscht sich in dieser Frage eine Verlegerin?
Buchmessen sind Marktplätze und Begegnungsstätten. Sie sollten das Anbahnen von Geschäften aller Art fördern, Verlagen und Autor*innen Sichtbarkeit geben und alle Messebesucher*innen und -teilnehmer*innen so inspirieren, dass ein Leben ohne Buchmesse zwar möglich, aber nicht wünschenswert ist. Dazu braucht es vielleicht auf Dauer eher Agoren als Gänge und digitale Verlängerungen ins Jahr hinein. Aber was wir bisher hatten (im letzten Jahr immerhin einen Besucherrekord), darauf kann man gut bauen.
Verlage und Buchhandlungen erfreuen sich gerade hoher politischer Wertschätzung und konkreter Hilfen. Welches Konzept der Kulturförderung braucht die Buchbranche langfristig, um die Vielfalt des Handels und des Angebots sichern zu können?
Das müssen wir miteinander erarbeiten. Im Moment stehen Unabhängigkeitswunsch und wirtschaftliche Realitäten einander etwas unversöhnlich gegenüber. Ein ganz einfacher und überfälliger Schritt ist die Rückeinführung der Verlegerbeteiligung. Das darf nicht noch länger dauern. Aber ein Konzept der Kulturförderung muss mit viel Sorgfalt bedacht werden. Es muss die Unabhängigkeit der Verlage von der Politik sicherstellen, die Vielfalt auf Handels- und Verlagsseite fördern, und es muss von der gesamten, so facettenreichen Branche als fair erlebt werden. Als Geschäftsführerin eines kleinen Unternehmens plädiere ich übrigens explizit dafür, dass auch große Branchenplayer Unterstützung bekommen dürfen. Ein Klein-Groß-Konflikt tut unserer Branche nicht gut. Wir brauchen die Vielfalt, und dazu gehören auch unterschiedliche Unternehmensgrößen und -strukturen.
Der Lesermarkt bleibt unter Druck, im vergangenen Jahr hat die Branche abermals etwa eine Million Leserinnen und Leser verloren. Lässt sich der Trend umkehren, und wenn ja: wie?
Wir dürfen beim Betrachten dieser Zahl nicht vergessen, dass die Zeit der Menschen nicht vermehrbar ist. Jedes neue Medienangebot ist Konkurrenz um die knappe Ressource Zeit und Aufmerksamkeit. Wer gamt, liest nicht, wer Netflix schaut, auch nicht. Wenn man sich den Podcast-Boom und andere Medientrends vor Augen führt, pendelt die Zahl der Buchkäufer*innen noch im ganz guten Bereich. Dennoch ist jede und jeder, der oder die keine Bücher kauft und liest, eine zu gewinnende Kundin bzw. ein Kunde. Deshalb brauchen wir auf Verlags- und Handelsseite konsequente Leser*innenorientierung.
Was heißt das denn konkret?
Wir müssen alles daransetzen, dass Leser*innen unkompliziert zum Buch ihrer Träume oder ihres Wissensdurstes kommen. Und wir müssen gemeinsam mit den Medien Büchern und Geschichten eine Bühne bieten. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse der Studie zu den Orientierungssystemen, die der vorhergehende Vorstand auf den Weg gebracht hat. Ich freue mich über jede Interviewanfrage – und nehme jede an. Und ich bitte die Entscheider*innen in den Medien, Formate zu Büchern nicht nur nicht einzustellen und nicht einzudampfen, sondern auszubauen.
Brauchen wir mehr Kampagne fürs Buch und fürs Lesen?
Gemeinsam mit der Stiftung Lesen erarbeitet ein Team des Börsenvereins ein Konzept für einen Lesegipfel, und vom Vorlesewettbewerb bis zum Deutschen Buchpreis und Deutschen Sachbuchpreistragen wir dazu bei, die Aufmerksamkeit der Menschen aufs Buch zu lenken. Alles, was in dieser Richtung an Ideen sprudelt, hilft den Trend umzukehren bzw. die Welle, die 2018 ja in Richtung mehr Käufer*innen wogte, wieder in diese Richtung zu lenken.