Hauptversammlung: Rede der Vorsteherin

"Was wir jetzt brauchen!"

21. Juni 2022
Redaktion Börsenblatt

Die Pandemie hat vieles verändert - in der Branche, im Börsenverein, bei der Buchmesse. Wie geht es jetzt weiter? Einen Blick auf das, was nun zu tun ist, warf Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs bei der Hauptversammlung am heutigen Dienstag im Literaturhaus Frankfurt. Ihre Rede im Wortlaut.

Liebe Kolleg*innen

in der schönsten Branche der Welt,vor drei Jahren und zwei Tagen stand ich vor Ihnen auf der Bühne im Kongress-Saal des Ellington in Berlin.

Ich versprach Ihnen, wenn Sie mich wählten, bekämen Sie eine spartenneutrale Vorsteherin, eine Vermittlerin, eine zukunftszugewandte Optimistin, eine Buchbegeisterung verbreitende Kommunikatorin.

Ich versprach Ihnen Mitgliedernähe und Mitgliedernutzen und leise Führung zum Wohle des Verbandes. Sie sprachen mir mit der Mehrheit der Stimmen Ihr Vertrauen aus.

Ich nutzte die Zeit bis zum Amtsantritt für eine Tour der offenen Ohren und besuchte Mitglieder. Ich beobachtete Heinrich Riethmüller auf dessen letzter Buchmesse als Vorsteher und machte mir Notizen.

Dann kam alles anders.

Vier Monate nach meinem Amtsantritt Ende Oktober 2019 wurde die Leipziger Buchmesse zum ersten Mal wegen Corona abgesagt. Aus Solidarität fuhr ich dennoch zur Beiratssitzung am Freitag, den 13. März 2020 – auf dem Rückweg war die Welt eine andere: Der erste Lockdown war beschlossen und begann wenige Tage später.

Seither war auch der Job der Vorsteherin – und des Vorstands - ein anderer.

Kaum ein Vorstand hat so oft getagt wie der amtierende, der den Verein in kollegialer Verbundenheit, wirtschaftlicher Besonnenheit und mit immensem Engagement durch eine schwere Zeit geführt hat.

Danke, lieber Klaus Gravemann, dass du nach derart harten Jahren bereit bist, als Schatzmeister weiter zu machen.

Karin Schmidt-Friderichs

Und an dieser Stelle möchte ich zwei Kolleg*innen ganz besonders danken:

Klaus Gravemann hat als Schatzmeister innerhalb genehmigter Budgets souverän einen Sparkurs eingeläutet, die Zahlen immer en detail im Blick. Auch in schwierigen Situationen verliert er nicht die Nerven, stimmt sich kollegial und vertrauensvoll mit dem Haushaltsausschuss ab.

Und selbst als nach einer mehr oder weniger ausgefallenen Buchmesse Ende 2020 bei der Wirtschaftstochter die Restrukturierer und sicherheitshalber auch ein Insolvenzrechtsanwalt einzogen, hielt er mit solidem Optimismus die Zügel fest in der Hand.

Ich danke dir, lieber Klaus, für deinen unglaublichen Einsatz für den Verein und seine Finanzen! Danke, dass du nach derart harten Jahren bereit bist, weiter zu machen.

Buchen Sie Stände, buchen Sie Tickets, planen Sie Reisen zur Frankfurter Buchmesse!

Karin Schmidt-Friderichs

Danke an dieser Stelle aber auch an das Team der Frankfurter Buchmesse. Der beste externe Sanierer und der beste Schatzmeister im Aufsichtsrat nutzen ja nichts,
wenn das Team nicht mitzieht. Und das tut es!

An dieser Stelle kann ich nicht anders, als nun Ihnen im Saal zuzurufen: Diese Messe ist die Wirtschaftstochter Ihres Verbandes, sie ist IHRE Messe! Und sie ist einzigartig.

Die Buchmesse ist aber nichts anders, als das, was WIR daraus machen. Und deshalb bitte ich Sie: Buchen Sie Stände, buchen Sie Tickets, planen Sie Reisen zur Messe:
mit Kund*innen, Kolleg*innen, Schulklassen, Lesezirkeln, was auch immer… Begeistern Sie andere, es Ihnen gleichzutun.

Wir stellen mit unserem Verhalten die Weichen für die Zukunft der Buchmesse. Und wenn die erstmal falsch gestellt wären, dann könnte es sein, dass es für eine Schubumkehr zu spät ist.

Ich danke dem gesamten Vorstand für ein vertrauensvolles und gutes, faires und extrem engagiertes Miteinander in schweren Zeiten.

Karin Schmidt-Friderichs

Zurück zum Dank:

Annerose Beurich wurde für mich zu weit mehr als nur stellvertretende Vorsteherin. Sie wurde in Zeiten, in denen die "Gegenstromanlage Corona" uns zwang, das eine oder andere Ziel dem nackten Überleben unterzuordnen, zur echten Sparringspartnerin.

Sie stellt sicher, dass die Verlegerin an der Spitze des Verbandes immer auch die Brille der Buchhändlerin aufsetzt. Sie kämpft, wo es um die Sicherung des Miteinanders in der Branche geht, und vermittelt, wo Kompromisse eben zur Sicherung dieses Miteinanders gefunden werden müssen. Liebe Anne, DANKE.

Ich danke dem gesamten Vorstand und hier auch Helmut Stadeler, der sehr, sehr lange dabei war, für ein vertrauensvolles und gutes, faires und extrem engagiertes Miteinander in schweren Zeiten.

Ich danke aber auch den Mitarbeiter*innen im Haus des Buches: Sie haben Gelder für den Neustart Kultur erwirkt und in komplizierten Verfahren verteilt, Sie haben Mitgliederdialoge organisiert und die Kommunikation aufrechterhalten, als persönliche Begegnungen fehlten.

Danke für die gute Zusammenarbeit – und das gilt ganz besonders auch an Peter Kraus vom Cleff an Tag 172 im Amt des Hauptgeschäftsführers: Trotz immer noch widriger Umstände macht es Freude, mit Ihnen zusammenzuarbeiten!

Ich höre müde Stimmen. Ich höre Sorge. Ich höre Hilferufe.

Karin Schmidt-Friderichs

Liebe Kolleg*innen, auch hinter Ihnen liegen schwere Zeiten.

Danke, dass Sie mit unglaublichem Einsatz der Pandemie die Stirn geboten haben! Dank Ihres Engagements ist die Buchbranche halbwegs gut durch die Krise gekommen.

Aber kaum, dass wir glaubten, nun liege das Schwere hinter uns, kamen Rohstoffkrise, der Mangel an Fertigungskapazitäten, Energiepreis-Explosionen, die Anhebung des Mindestlohns – und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine.

Nun sind die Buchhandlungen offen, aber die Menschen strömen nicht in die Innenstädte, sie holen Urlaube und Events nach, sie sparen für die Gasrechnung und das Tanken, sie sorgen sich um die Zukunft und haben Angst - kein gutes Konsumklima!

Ich höre müde Stimmen.
Ich höre Sorge.
Ich höre Hilferufe.

Und in dieser Situation trete ich noch mal zur Wahl an?

Und ja: Wahrscheinlich brauchen wir für all das staatliche Förderung. Es geht nicht ohne!

Karin Schmidt-Friderichs

Was wir jetzt brauchen!

Sie haben Ihre Vorsteherin wenig gesehen. Ich hoffe, dass dies nun anders wird.

Ich habe mich entschieden, noch mal zu kandidieren, - Sie noch mal um Ihr Vertrauen zu bitten - weil ich glaube, dass wir die Aufgaben, die vor uns liegen, gemeinsam schaffen können, gemeinsam schaffen werden!

  • Wir brauchen ein neues Branchen-Miteinander,
    das wirtschaftliches Auskommen für alle Sparten ermöglicht!
    Wir können nicht ohne die jeweils anderen Sparten.
    Wer da kühne Träume hat – der träumt.
    Wir können aber gut miteinander.
    Das haben wir zweihundert Jahre und länger optimiert.
    Vielleicht muss hier und da nachjustiert werden…
  • Wir brauchen die Frankfurter Buchmesse
    als Dreh- und Angelpunkt der Welt des Buches
    und der Buchmenschen der Welt.
  • Wir brauchen eine funktionierende Plattform für digitale Vorschauen
    und zwar im April 2023 wirklich!
  • Wir brauchen die Preisbindung zum Schutz der Vielfalt
    und wegen unserer kulturellen Verantwortung.
  • Wir brauchen Konzepte für verantwortliches
    nachhaltiges Handeln
    in der Branche
    und zwar bevor Politik und Gesellschaft
    uns vor sich hertreiben.
  • Wir brauchen faire Bezahlmodelle bei der Onleihe
    - danke an dieser Stelle der Initiative "fair lesen",
    allen voran Nadja Kneissler!
  • Wir brauchen guten Nachwuchs und belastbare Fachkräfte.
    An dieser Stelle danke an Monika Kolb und ihr Team,
    die einen perfekt funktionierende hybriden mediacampus
    aus dem Boden gestampft und damit die solide Aus- und Weiterbildung
    für die Branche sichergestellt haben.
  • Wir brauchen Innovation neben der Tradition, auf die wir stolz sind.
    Das bedeutet auch Disruption und Umdenken
    vor allem aber bedeutet es Zukunft.
    An dieser Stelle danke an die IG Digital
    und alle, die ihr Wissen teilen,
    um den Verein und seine Mitglieder
    zukunftszugewandt aufzustellen.
  • Und ja wahrscheinlich brauchen wir für all das staatliche Förderung.
    Zu lange haben wir gedacht,
    das als Branche nicht zu benötigen – es geht nicht ohne!

Liebe Kolleg*innen,

in weniger als drei Jahren wird der Börsenverein zweihundert Jahre alt. Jubiläen sind für mich nie Grund zu Stolz und Anlass zu Rückblick, sie sind für mich immer die Herausforderung, die Zukunft zu gestalten.

Das würde ich gerne tun: Über den Oktober dieses Jahres hinaus
noch drei Jahre. Für Sie und vor allem MIT IHNEN!

Danke.