Bundestagswahl 2021: Branchendialog mit Carsten Brosda  

Was kann die Buchbranche von der SPD erwarten?

15. September 2021
Redaktion Börsenblatt

Carsten Brosda, Senator der Hamburger Behörde für Kultur und Medien, diskutierte mit Vertreter*innen der Buchbranche über E-Lending, Digitalisierung, die Zukunft der Innenstädte und die Zukunftschancen für Auszubildende.

90 Minuten mit dem SPD-Kulturpolitiker Carsten Brosda – für die Teilnehmer*innen aus Börsenvereinsvorstand, Verlagen, Buchhandel und Nachwuchsparlament eine Gelegenheit, wichtige Themen der Buchbranche mit dem Spitzenpolitiker zu diskutieren. Um das Ende vorwegzunehmen: Die digitale Diskussionsrunde war intensiv, konstruktiv, von Verständnis geprägt. „Wir wollen nicht öffentlich, aber in aller Offenheit sprechen“, sagte Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs in der Begrüßung. Das Konzept ist aufgegangen.

Kultur und Kulturwirtschaft braucht eine zentrale Anlaufstelle

Kultur und Kreativwirtschaft lassen sich nicht trennen – darauf fokussierte sich Carsten Brosda in seinem Eingangsstatement. Deshalb brauche es eine zentrale Anlaufstelle, die für die Rahmenbedingungen der privatwirtschaftlichen Kulturbranchen ebenso zuständig ist wie für die geförderten Kultureinrichtungen. Diese beiden „Betreuungsdimensionen“ müssten zusammengeführt werden, so Brosda. „Denn ein Wirtschaftsressort betrachte eher die großen Schwungräder, da geraten die mittelständischen Strukturen der Kulturbranchen bisweilen aus dem Blick.“ Die Schaffung eines Bundesministeriums für Kultur und Medien sei dafür jedoch nicht zwingend erforderlich, wohl aber – wie von der SPD vorgeschlagen – ein Ministerrang im Kanzleramt, der Augenhöhe zwischen den Regierungsmitgliedern garantiere. Er machte darüber hinaus deutlich, dass Rahmenbedingungen wie die Buchpreisbindung oder der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Bücher für ihn und die SPD nicht verhandelbar seien. Komplexer sei die Diskussion dagegen beim Thema Urheberrecht und geistiges Eigentum. 

Fairer Ausgleich im Urheberrecht und digitale Leihe

Brosda legte den Finger in die Wunde und stellte fest, dass man in den Urheberrechtsdebatten leider zu oft über die Formulierung „fairer Ausgleich“ zwischen Urhebern, Verwertern und Nutzern nicht hinauskomme. Was das aber genau bedeute, werde nicht geklärt. Die Verleger*innen in der Runde mahnten Fairness auch beim Thema E-Book-Verleih in Bibliotheken an. Die Einführung einer Zwangslizenz, wie sie offenbar auch die SPD befürworte, sei alles andere als fair und eine wirklich ernsthafte Bedrohung für die Verlage und den E-Book-Markt. Für alle akzeptable Leihmodelle könnten nur gemeinsam am Verhandlungstisch gefunden werden, dafür müsse die Politik den Weg frei machen. Für Brosda ist es eine kulturpolitische Notwendigkeit, Bibliotheken für die digitale Welt weiterzuentwickeln. Für das so genannte E-Lending müssen nach seiner Auffassung praktikable Lösungen gefunden werden, die Bibliotheken Sicherheit und Verlagen den nötigen Spielraum für eigene Geschäftsmodelle geben.

Innenstädte: „Funktionale Durchmischung ist das Ziel“

Wie bekommt man Vitalität und Diversität wieder in die Innenstädte, bevor sie komplett veröden, wollten die Buchhändler*innen wissen und regten Mietpreisbremsen im Gewerbebereich und die Förderung kleiner Läden an, um Buchhandlungen als „Dritte Orte“ zurück in die Innenstädte und Gemeindezentren zu holen.

„Natürlich sind auch Buchhandlungen „Dritte Orte“, so Brosda. Die Frage nach der Belebung der Innenstädte könne man aber „bundespolitisch nicht über einen Leisten schlagen“. Man müsse wegkommen, von der Idee einer funktional differenzierten Stadt, in der in getrennten Vierteln gearbeitet, gewohnt und die Freizeit verbracht werde. Heute gehe es um die „walkable City“, in der alles nahe beieinander sei. „Wir versuchen, die funktionale Durchmischung wieder hinzubekommen“, so Brosda, „und dazu gehören selbstverständlich auch Buchhandlungen“. In Hamburg würde zum Beispiel aktuell versucht, Leerstände, die sich durch die Pandemie entwickelt hätten und noch entwickeln würden, „kreativwirtschaftlich zu füllen“. Dazu steht Förderung aus einem eigenen Fonds zur Verfügung. Buchhandlungen als Einzelhandel und Kulturvermittler zugleich nehmen dabei für Brosda eine wichtige Brückenfunktion ein. Die Diskussionen müssten in jedem Fall stadtspezifisch geführt werden, der Bund könne fördernd unterstützen.

Nachwuchs fördern!

Haben die Ausbildungsberufe im Buchhandel und in Verlagen eine Zukunft und was kann die Politik tun, um das vielfältige Angebot an Ausbildungsplätzen und Studienangeboten nach dem Schulabschluss besser zu vermitteln? Hier schloss sich der Kreis. Denn für Brosda ist klar, dass die in dieser Runde besprochenen Rahmenbedingungen stimmen müssen, damit der Buchmarkt funktioniert, ordentliche Gehälter gezahlt werden können und die Buchbranche für Berufseinsteiger an Attraktivität gewinnt. Die duale Ausbildung, mit ihren enormen fachspezifischen Möglichkeiten sei ein Erfolgsmodell und brauche mehr Anerkennung. Politik könne dabei helfen, den Weg von der Schule in die Ausbildung besser zu steuern. Jugendberufsagenturen, wie es sie in Hamburg gibt, seien dafür ein gutes Beispiel.

Bitten, Wünsche, Forderungen

Das letzte Wort hatte Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis: „Wir wollen eigentlich nichts anderes als einen funktionierenden Buchmarkt“, sagte er, und formulierte am Ende eines lebhaften, intensiven Dialogs drei Kernforderungen an eine nächste Bundesregierung:

  1. Die Art und Weise des Umgangs mit dem Urheberrecht ist die entscheidende Zukunftsfrage für die deutsche Buchbranche. Nach vielen „Teilenteignungen“ durch gesetzliche Regelungen in der Vergangenheit bekommt jetzt der anstehende ordnungspolitische Umgang mit der E-Book-Ausleihe in Bibliotheken existenzielle Bedeutung. In jedem Fall muss eine fair ausgehandelte Vereinbarungslösung Vorrang haben vor jeglichem gesetzlichen Eingriff. 
  2. Für die Revitalisierung der Innenstädte und Gemeindezentren sind Buchhandlungen als “Dritte Orte” unverzichtbar. Das Potenzial von 5000 Buchhandlungen, Kulturereignisorte mit großer Anziehungskraft für das Leben in Städten und Gemeinden zu werden, sollte in Innenstadtkonzepten berücksichtigt werden.
  3. Die Buchpreisbindung ist ein Erfolgsmodell aber keine Selbstverständlichkeit und sollte deshalb auch von einer künftigen Regierungskoalition ausdrücklich fortgeschrieben werden.

Diskussionsteilnehmer*innen

An der Diskussion teilgenommen haben Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs, Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis, Vorstandsmitglied Annerose Beurich (Buchhandlung Stories!, Hamburg), Vorsitzende des Verleger-Ausschusses Nadja Kneißler (Delius Klasing Verlag, Bielefeld), der Geschäftsführer des Carlsen Verlags in Hamburg Joachim Kaufmann, der Inhaber der Buchhandlung am Freiheitsplatz in Hanau Dieter Dausien, die Sprecherin des Nachwuchsparlaments Jennifer Geneit (Schweitzer Fachinformationen, Hamburg), Hannah Bielitzer​, Auszubildende ​in der Buchhandlung Reuffel, Koblenz, sowie die Leiterin des Berliner Büros Birgit Reuß. Moderiert wurde das Gespräch von Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir.

Am 21. September findet ein Dialog mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Vertreter*innen der Branche statt!