Die Sonntagsfrage

Warum braucht die Branche eine Taskforce IT-Standards, Herr Schwab?

19. Juni 2022
Redaktion Börsenblatt

Die Digitalisierung stellt neue Herausforderungen an die Buchhandels- und Verlagsbranche. Viele Unternehmen verfügen jedoch nicht über die nötigen modernen Technologien und IT-Werkzeuge - und drohen dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit einzubüßen. Wie lässt sich das ändern? Carsten Schwab (Edupartner AG) über eine neue Taskforce des Börsenvereins.

Die Vielfalt der Buchhandels- und Verlagsbranche darf nicht durch fehlende State-of-the-Art-Technologien gefährdet werden.

Carsten Schwab

Es ist kein Geheimnis, dass sich unsere Gesellschaft in atemberaubendem Tempo verändert. Die Digitalisierung ist dabei nicht der einzige, aber ein wesentlicher Treiber der Veränderung. Keine Konferenz, an der nicht mindestens von neuen Geschäftsmodellen, Content First und automatisierten Prozessen gesprochen wird, damit aber nicht genug dürfen auch Non-Fungible Tokens (NFT) und künstliche Intelligenz nicht fehlen. Dabei liegen die Herausforderungen der Buchhandels- und Verlagsbranche derzeit noch an ganz anderer Stelle. Viele Unternehmen verfügen noch nicht einmal über eine IT-Infrastruktur, mit der sich die bereits heute bestehenden Geschäftsmodelle effizient bewirtschaften lassen.

Vielfältige Herausforderungen

Spätestens seit 2009 gibt es einen relevanten eBook-Markt in Deutschland, und trotzdem produzieren viele Verlage ihre eBooks noch mit Hilfe von externen Dienstleistern, die nachträglich aus Druckdaten ein EPUB erzeugen. Was aber, wenn immer häufiger elektronische Leseexemplare von Titeln produziert werden sollen, lange bevor die Satzarbeiten überhaupt begonnen haben, oder wenn die eBooks plötzlich barrierefrei sein sollen? Prozesse, die vorher "nur" umständlich waren, funktionieren dann auf einmal gar nicht mehr.

Oder wie sieht es mit einer zielgerichteten Kund:innenansprache aus? Welche Buchhandlung kann schon je Interessengruppe einen spezifischen Newsletter mit je eigenem Inhalt generieren und versenden? Und welchem Verlag bereiten die vielen neuen Verwertungsformen und Erlösmodelle bei der Erstellung einer konsistenten Honorarabrechnung keine Schwierigkeiten mehr? Die Liste ließe sich beliebig erweitern.

Zeitgemäße Technologien

Viele der großen Verlage und Buchhandlungen verfügen inzwischen über genau die Technologie, die moderne Geschäftsprozesse heutzutage erfordern. Aber die Einführung solcher Software kostet sehr viel Geld und erfordert darüber hinaus eine Menge technisches Know-how, sehr gutes Projektmanagement und freie Personalressourcen. Das können viele Unternehmen aus eigener Kraft nicht stemmen.

Und so geht die Schere immer weiter auseinander zwischen denjenigen Unternehmen, die über moderne State-of-the-Art-Technologie verfügen, und denen, die wegen veralteten IT-Werkzeugen schleichend ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Diese Entwicklung gefährdet ganz akut die Vielfalt der Buchhandels- und Verlagsbranche und stellt somit auf Dauer eine Gefahr für den kulturellen Reichtum unserer Gesellschaft dar.

Einheitliche Lösungen

Die Taskforce IT-Standards soll unter dem Dach des Börsenvereins und möglichst auch weiterer Branchenverbände an dieser Stelle Unterstützung bieten. Sie soll für massgebliche Themen einheitliche Geschäftsprozesse modellieren und auf deren Basis Anforderungen an IT-Systeme in Form von "Epics" und "User Stories" formulieren. Damit schafft sie eine Basis, auf der Buchhandlungen und Verlage bei ihren Softwareeinführungsprojekten aufsetzen und somit schneller zum Ziel gelangen können.

Die Taskforce schafft so aber auch für Softwarefirmen die Möglichkeit, neue Out-of-the-Box-Angebote zu schaffen, die sich mit weniger kundenspezifischen Anpassungen und kürzerer Projektlaufzeit einführen lassen. Solche Lösungen lassen sich mit günstigeren Lizenz- und Wartungsgebühren kalkulieren, und Verlage und Buchhandlungen können Synergien bilden, indem sie sich bei der Einführung zusammentun.

Gemeinsame Prozesse

Die Anforderungen an moderne IT-Systeme sind inzwischen so hoch, dass die Unternehmen es nicht mehr alle im Alleingang schaffen, ihnen gerecht zu werden. Und das müssen sie auch nicht. Die Unternehmen unserer Branche stehen in Bezug auf die Inhalte und in der Ausgestaltung ihrer Produkte und Services untereinander im Wettbewerb, nicht aber in Bezug auf die Prozesse.

Eine Kooperation auf diesem Feld unter dem Dach des Börsenvereins ist daher ein massgeblicher Beitrag zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und der Vielfalt unserer Branche. Unsere Gesellschaft braucht innovative, technologisch auf der Höhe der Zeit stehende Verlage und Buchhandlungen als Stützpfeiler einer aufgeklärten und demokratischen Kultur mehr denn je.