Börsenverein: Jahrestagung des Landesverbands SaSaThü

Warnung vor dem großen Nichts

1. Juni 2024
Nils Kahlefendt

Unternehmensübergaben managen, Kooperationen schließen: Die 34. Hauptversammlung des Landesverbands SaSaThü präsentierte Instrumente, mit denen sich die Markt-Herausforderungen meistern lassen. Birgit Reuß vom Berliner Büro und Leipzigs neue Buchmesse-Direktorin Astrid Böhmisch hatten Gastauftritte.

Barbara Ellendt (E.A. Seemann Henschel, links) und Ines Klisch (Bücherwurm Grimma) präsentieren die Mitteldeutsche Lesekiste.
Hinten: Klaus Kowalke, Peter Gerlach (Schatzmeister), Helmut Stadeler (Vorsitzender des Landesverbandes SaSaThü), Heike Haupt (Geschäftsführerin des Landesverbandes SaSaThü)

Die schwierige Suche nach Käufern

Ein wenig erinnert der Zustand der Branche in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen an die alte Fußballerweisheit „Erst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu.“

Im Einzugsgebiet des Dreiländerverbands SaSaThü unterzogen die Nachwehen der Pandemie und neu entstandene Krisen die Mitgliedsfirmen im vergangenen Jahr einem Stresstest, der noch andauert: Ukraine-Krieg, Inflation, Kaufzurückhaltung auf Kundenseite, dazu steigende Kosten für Energie, Dienstleistungen oder Personal – das alles kennt man auch in Herne oder Saarlouis. Im Osten verfügen die Firmen jedoch über weitaus geringere Rücklagen und Reserven.

Was dazu führt, dass ein weiteres Problem hier besonders durchschlägt: Der in den letzten beiden Jahren grassierend ansteigende Fachkräftemangel. Im Buchhandel finden Unternehmen, die aus Altergründen übergeben werden sollen, kaum noch Käufer – besonders im ländlichen Raum gelten viele als schwer vermittelbar.

„Die geburtenstarken Jahrgänge gehen in Rente“, sagt Susann Krahl (Buchhandlung Molsberger, Halle/Saale), „viele Buchhandlungen wurden Anfang der 1990er Jahre von ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Volksbuchhandel übernommen.“ Und weiter: „Dass die Unternehmen oft mit viel Selbstausbeutung betrieben werden, wissen wir. Die nachfolgende Generation sieht ihr Arbeitsleben oft etwas anders.“

Helmut Stadeler

Bilden Sie aus, schaffen Sie sich so vielleicht die eigene Nachfolge! Ein Ausbildungsschein ist kein Hexenwerk.

Helmut Stadeler, Vorsitzender des Landesverbands SaSaThü

Kulturelle Leuchtturm-Funktion

Helmut Stadeler (Bussert & Stadeler), Vorsitzender des Dreiländerverbands, erkennt ein Dilemma: „Nicht nur, weil manchmal ein ganzes Lebenswerk verwindet – sondern weil ein Großes Nichts entsteht.“ Buchhandlungen sind auf dem platten Land oft „Ankermieter“ mit kultureller Leuchtturm-Funktion. Verschwinden nach Bäcker, Metzger und Schuhladen auch sie, bleiben oft genug dahinsiechende Innenstädte.

Den Appell, den Stadeler Jahr um Jahr auf jeder Hauptversammlung gebetsmühlenartig wiederholt, bekommt so noch einmal eine andere Dringlichkeit: „Bilden Sie aus, schaffen Sie sich so vielleicht die eigene Nachfolge! Ein Ausbildungsschein ist kein Hexenwerk.“

Der Landesverband, das weiß Susann Krahl, unterstützt Übergaben. Sie rät, frühzeitig auf die Geschäftsstelle zuzugehen, wenn man sich mit dem Gedanken ans Aufhören trägt.

Gudula Buzmann

Die Zahlen aus dem Jahresbetriebsvergleich im Sortiment können Ihnen Argumente an die Hand geben, wenn Sie einem Käufer gegenübersitzen.

Gudula Buzmann, Unternehmensberaterin

Jens Korch (Edition Wannebuch, links) und Mark Lehmstedt (Lehmstedt Verlag)

Buchhandlung ist keine Altersvorsorge mehr

Während sich die Fachgruppenversammlung des Herstellenden Buchhandels heuer mit Kooperationsmöglichkeiten von Verlagen untereinander beschäftigte – Jens Korch vom Schöne Bücher Netzwerk sprach über Synergien und Vernetzungen – hatte sich die Fachgruppe Verbreitender Buchhandel die Unternehmensberaterin Gudula Buzmann eingeladen, um das eingangs beschriebene heiße Eisen „Nachfolge im Buchhandel“ unter die Lupe zu nehmen – konkret, Antworten auf die Gretchenfrage zu bekommen: Wie kann Unternehmensübergabe gelingen?

Die Beraterin skizzierte zunächst die sich verändernde Handelslandschaft, um anschließend weitverbreitete Hoffnungen abzuschießen: Der Verkauf der eigenen Buchhandlung als Altersvorsorge? „Vergessen Sie’s!“ Buzmann sparte jedoch nicht mit konkreten Tipps – das reichte von der Ermittlung des Substanz-, Ertrags oder Liquidationswerts bis zur psychologischen Zurüstung. So helfe „emotionale Neutralität“ in Vorbereitung des Verkaufs. Es sei wichtig, vorher zu wissen, wie es nach dem Einschnitt im Leben weitergehen solle („Üben Sie Loslassen!“).

Vermutlich noch wichtiger: der rechtzeitige Gang zum Steuerbüro. Bereits drei bis fünf Jahre vor einem anvisierten Verkauf müsse – gerade bei einem aus steuerlichen Gründen eher niedrig angesetzten Gewinn – die BWA optimiert werden, riet Buzmann und warb für die Teilnahme am Betriebsvergleich („Die Zahlen können Ihnen Argumente an die Hand geben, wenn Sie einem Käufer gegenübersitzen“) wie auch für einen BWA-Check am Börsenvereinsstand während der kommenden Frankfurter Buchmesse.

Die eigene Website kritisch checken

Spannend auch Buzmanns Perspektivwechsel. Sie zeigte auf, wie Käufer recherchieren: Vom Wegweiser Kommune der Bertelsmann Stiftung über den Gang zur IHK oder Wirtschaftsförderung bis zu detektivischen Recherchen vor Ort im Kiez: Wo stehen Luxus-Bobby-Cars vorm Haus?

Wer weiß, wie die Prognose über die Einschulungszahlen der nächsten Jahre lautet, weiß auch, wann die nächste Erstleser-Welle anrollt. Dass man hin und wieder die eigene Website kritisch checken sollte, ist eine Binse – für potenziell Verkaufswillige gilt sie jedoch erst recht: Profiltexte, die nicht aus dem Pleistozän stammen und eine individualisierte Shop-Seite sind ungemein hilfreich.

Birgit Reuß referiert über die Aktivitäten des Verbands auf europäischer Ebene

Die Mühen der politischen Arbeit

Der Tagesordnungspunkt „Aussprache zu aktuellen Themen“, in manchen Jahren eine reine Formalie, beanspruchte diesmal mehr Aufmerksamkeit – was an den Gästen lag. Neben Vertretern der Barsortimente und den Ehrenvorsitzenden Martin Holtermann (Magdeburg) und Wilfried Bengsch (Halberstadt) war Birgit Reuß, Leiterin des Berliner Büros, nach Leipzig gekommen. Und Astrid Böhmisch, neue Direktorin der Leipziger Buchmesse, hatte ihren ersten Auftritt auf einer SaSaThü-Hauptversammlung.

Birgit Reuß berichtete von den Mühen der Lobbyarbeits-Ebene: Erstaunlich, wie viel Kraft es kostet, gut Gemeintes aus Brüssel wieder einzuhegen – vom reduzierten Zahlungsziel im B2B-Geschäft bis zur „Entwaldungsverordnung“. Wer gelegentlich darüber im Zweifel ist, wozu es in Zeiten wie diesen einen starken Verband braucht, dem konnte Reuß’ spontan gehaltene tour d’horizon ein Licht aufstecken.

Eine strukturelle Verlagsförderung wird man aber auch in Berlin nicht herbeihexen können – wo Finanzminister Lindner auch für den Haushalt 2025 bereits wieder Kürzungsansagen in Höhe von 125 Millionen gemacht hat.

Wünsche an die Leipziger Buchmesse

Astrid Böhmisch wagte einen – noch allgemein gehaltenen – Ausblick nach 2025 und stellte sich dem Dialog mit Buchhändlerinnen und Verlegern: Hier reichte das Spektrum vom Wunsch nach der Rückkehr des gedruckten Programmhefts, einem Fachbesuchertag oder mehr Sitzgelegenheiten für die Mühseligen und Beladenen des Massen-Events bis zur Frage kleinerer, unabhängiger Verlage nach Kosten und Limitierung von Veranstaltungen, letztgültig formuliert vom Satiriker Gerhard Polt: „Und wer zahlt’s?“

Astrid Boehmisch

Die derzeit gültigen Preise für angemeldete „Leipzig liest“-Veranstaltungen will Böhmisch nicht weiter erhöhen („Wenn Sie jetzt beginnen, sind Sie mit 3,70 Euro pro Monat im Sparplan dabei“), einen signifikanten Rückgang von „Leipzig liest“-Veranstaltungen durch die Anmelde-Koppelung an die jeweils gebuchte Standgröße vermag die Messe-Chefin nicht zu erkennen. „Wir sind eine GmbH, ich muss unseren Verwaltungsaufwand irgendwie abbilden“, sagte Böhmisch, die darauf verwies, dass die „Leipzig liest“-Orga nur noch „minimal“ von der Kommune bezuschusst werde.   

Nachahmenswert: die mitteldeutsche Lesekiste

Patricia F. Blume, deren ziegelsteindicke „Geschichte der Leipziger Buchmesse in der DDR“ (de Gruyter/Saur) eben erschienen ist, blieb es zum Ende vorbehalten, das Prequel zur aktuellen Messe-Debatte zu erzählen. Dabei kann sich der gebeutelte Ossi zu Gute halten, dass die moderne Publikumsbuchmesse an der Pleiße erfunden wurde – auch wenn es gelegentlich Rück- und Tiefschläge gab.

So mokierte sich die Kulturpolitik Mitte der 60er Jahre über die „Fassadenmethode Blindband“ – von 8000 ausgestellten Novitäten wiesen mehr als 800 nur leere Seiten auf, die Westpresse spottete über Leipzig als „Leistungsschau der Blindbände“.

Garantiert keine Blindbände stecken in der Mitteldeutschen Lesekiste – einem nachahmenswerten Projekt von derzeit acht SaSaThü-Verlagen und fünf mitteldeutschen Buchhandlungen, dessen eigene Website am Tag der Hauptversammlung freigeschaltet wurde. Mehr dazu hier. So geht Leseförderung!

Mitteldeutsche Lesekiste

  • Die Mitteldeutsche Lesekiste ist ein gemeinsames Projekt von Verlagen und Buchhandlungen aus Mitteldeutschland.
  • Die Box enthält zwölf Bücher, die für Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren geeignet sind.
  • Buchhandlungen können die Titel per Bestellformular bestellen.
  • Die zwölf Titel des Lesekisten-Grundpakets können durch weitere Bücher ergänzt werden.
  • Pädagogisches Begleitmaterial zu den jeweiligen Titeln stellen die Verlage bereit.
  • Mithilfe lokaler Sponsoren wird die Kiste den Kindergärten kostenfrei zur Verfügung gestellt.