Frankfurter Buchmesse: PK des Friedenspreisträgers

"Nicht der Moment für politisch korrekte Worte"

21. Oktober 2022
Michael Roesler-Graichen

Der Friedenspreisträger im Pressegespräch: Serhij Zhadan über einen Messebesuch in Kriegszeiten, über Russlands Krieg, über sein Engagement für die Menschen und über Literatur, die nicht schweigen darf.

Serhij Zhadan sitzt in einem schwarzen, kragenlosen Hemd hinter dem Pressetisch im Raum Fantasie des Messe-Kongresscenters und wird gefragt, wie er die Nachricht vom Friedenspreis aufgenommen habe. Er wirkt gefasst, konzentriert, trotz des Drucks, der auf ihm lastet. Seine Diktion ist gestochen scharf, seine Antworten sind sachlich, ohne übersprudelnde Emotionen. Er bedankt sich für die Einladung, sagt, er wisse um die Ehre, diesen Preis zu erhalten. Gleichwohl vermische sich die Preisnachricht mit den anderen Nachrichten aus der Ukraine, von Raketenbeschuss, getöteten Zivilisten und zerstörten Häusern. Geschehnisse, die man nicht ignorieren könne. „Da kann man sich nicht abstrakt über den Preis freuen und darüber, nach Frankfurt fahren zu können. Vor einem Jahr“, so Zhadan, „hätte ich anders reagiert. Dennoch ist jede Art von Unterstützung sehr wichtig, dafür danke ich herzlich.“

Weshalb die Jury sich für Serhij Zhadan entschieden habe, wollte die Moderatorin wissen. Karin Schmidt-Friderichs, die ebenfalls am Pressegespräch teilnahm, brachte auf den Punkt, wie die Auswahl geschieht: Es gehe immer darum, den ganzen Menschen mit seinem Werk und Wirken zu würdigen. Bei Zhadan sei dies die faszinierende Mischung von Sprache, Intensität, Musik und sozialem Engagement. Seine Literatur könne helfen, die Welt zu verstehen, aus der er kommt. „Aber sie setzt uns nicht in die Lage zu beurteilen, was in der Ukraine geschieht.

„Die Wahrheit auf unserer Seite“

Aus dem Kreis der Journalisten, die am Pressegespräch teilnahmen, kam eine Fülle an Fragen, etwa die, was den Menschen im ukrainischen Kriegsgebiet den Mut gibt zu bleiben. „Es ist das Gefühl, dass die Wahrheit auf unserer Seite ist“, erwidert Zhadan. „Wir haben niemanden überfallen.“ Für die Menschen in Charkiw, wo Zhadan lebt, sei es wichtig, anderen Menschen Mut zu machen und zu helfen. Das sei die größte Motivation.

Ob es Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt? „Man muss weitermachen, das normale Leben wird irgendwann zurückkehren“, sagt Zhadan. „Doch wenn wir über die Menschen in den besetzten Gebieten sprechen, dann bekommen wir nur wenige Informationsfetzen. Die Nachrichten, die uns erreichen, sind sehr traurig.“ Er nennt ein erschütterndes Beispiel.

Der Krieg Russlands

Eine Journalistin erwähnt, dass Oleksandr Afonin, der Präsident des Ukrainischen Verlegerverbands, gestern schwere Vorwürfe gegen seine russischen Verlagskollegen erhoben habe. Sie seien der verlängerte Arm der russischen Propaganda. Ist es Putins Krieg oder ist es Russlands Krieg, fragt sie Zhadan. „Es ist der Krieg Russlands. Putin war nicht persönlich in Butscha, es waren junge russische Männer, die die Schule besucht und die russische Literatur gelesen haben.“ Sie hätten alle Verbrechen verübt.

Zu den russischen Verlagen habe man kaum noch Kontakt, seit dem Beginn des Krieges 2014. Bis dahin gab es noch gemeinsame Übersetzungsprojekte. Von russischen Autoren hörte er nach dem 24. Februar nur zweimal: Ein Mann, den er für einen Freund hielt, sagte, die Ukraine solle sich ergeben. Eine Frau erklärte, sie entschuldige sich für den Krieg und liebe die Ukraine.

Ein Fernsehjournalist wollte von Zhadan wissen, wie sein mehrfach bekundeter „Hass auf die Russen“ – etwa in seinem Kriegsbuch „Himmel über Charkiw“ – mit dem Friedenspreis zusammenginge. „Ich glaube nicht, dass Wut und Hass in dem Buch die zentrale Rolle spielen. Es geht um die Liebe zu den Menschen in Charkiw“, so Zhadan. „Vielleicht kann man das verstehen, wenn man sieht, wie vor einem auf der Straße ein Mensch von einer Rakete getötet wird. Das ist nicht der Moment für politisch korrekte Worte.“

Überwindung der Angst

Ob es denn anginge, den Krieg als literarisches Material zu verwenden, wollte ein anderer Journalist wissen. Das sei nicht der Punkt, meinte Zhadan. „Für uns Ukrainer ist es entscheidend, den Krieg zu überleben und zu gewinnen. Wenn es morgen keine Ukrainer mehr gibt, gibt es keinen mehr, für den wir schreiben können. Auch während des Krieges muss die Kultur eine Stimme haben. Wenn Dichter schweigen, hat die Angst gewonnen. Die Sprache dient der Überwindung der Angst.“