Referentenentwurf zur digitalen Barrierefreiheit

Kleines Wort mit großen Folgen für Verlage

17. März 2021
Sabine Cronau

Unbedingt im Blick behalten: Ab Juni 2025 müssen E-Books und Webseiten europaweit barrierefrei gestaltet sein – so dass auch behinderte Menschen sie nutzen können. Der Referentenentwurf für die deutsche Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie liegt inzwischen vor und könnte weitreichende Folgen für die Backlist haben.

Der Gesetzgeber drückt aufs Tempo: Offenbar soll die EU-Richtlinie zur digitalen Barrierefreiheit, von der auch E-Books und Webseiten betroffen sind, noch in dieser Legislaturperiode in deutsches Recht umgesetzt werden. Ein Referentenentwurf liegt seit kurzem vor. Das Dilemma: Problematische Formulierungen in der EU-Richtlinie räumt der Referentenentwurf nicht aus dem Weg – sondern verschärft sie. Das macht Susanne Barwick, stellvertretende Justiziarin des Börsenvereins, in einer Stellungnahme zum Entwurf deutlich.

In der Verlagsbranche sind viele klein- und mittelständische Unternehmen tätig, die eine barrierefreie Umstellung ihrer kompletten Backlist personell und finanziell nur schwer leisten könnten.

Susanne Barwick, stellvertretende Justiziarin des Börsenvereins

Grundsätzlich begrüße es der Börsenverein sehr, dass die EU-Richtlinie zur digitalen Barrierefreiheit zeitnah und möglichst wortgetreu umgesetzt werden solle, heißt es in der Stellungnahme, die der Verband sehr kurzfristig vorlegen musste. Verlage und Buchhandlungen würden das Anliegen unterstützen - was sich auch in der konkreten Verbandsarbeit widerspiegelt:

  • So beschäftigt sich der Börsenverein seit Jahren mit den technischen Voraussetzungen, etwa in Leitfäden der Interessengruppe Digital (mehr dazu hier):
  • Zudem wurde eine Taskforce gebildet, die sich der Barrierefreiheit von E-Books und Webseiten widmet und der auch das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen als Börsenvereinsmitglied und Kooperationspartner angehört (mehr dazu hier).

Aber, schreibt Barwick in der Stellungnahme: "So sehr wir die Richtlinie und das Barrierefreiheitsgesetz beziehungsweise die dahinterstehenden Ziele begrüßen, so sehr erkennen wir auch, dass die Anforderungen an die Buchbranche teilweise zu hoch sein könnten."

Eine Kernfrage: Bezieht sich die Neuregelung lediglich auf E-Books, die erst nach dem Stichtag 28. Juni 2025 erscheinen – oder müssen Verlage ab diesem Zeitpunkt die gesamte Backlist barrierefrei vorhalten?

  • Die EU-Richtlinie spricht nur von Dienstleistungen, die nach dem Stichtag "erbracht" werden. Das ist zwar etwas unpräzise, kann nach Einschätzung von Susanne Barwick aber durchaus so ausgelegt werden kann, dass die Regelung lediglich für Novitäten gilt.
  • Im Referentenentwurf zur deutschen Umsetzung ist dagegen von Dienstleistungen die Rede, die nach dem 28. Juni 2025 "angeboten und erbracht" werden. Mit dieser Formulierung würden bereits verfügbare E-Books unter Umständen einbezogen, fürchtet Barwick.

Das könnte für Verlage schwerwiegende Folgen haben: Das Zeitfenster bis 2025 sei zu kurz, um alle ca. 600.000 E-Books, die allein laut VLB derzeit lieferbar sind, barrierefrei herzustellen – "zumal zum jetzigen Zeitpunkt die technischen Spezifikationen beziehungsweise Normen noch gar nicht feststehen," so Barwick.

Gerade bei wissenschaftlichen Titeln und bei Fachbüchern, die Grafiken und Tabellen enthalten, müsste jedes einzelne E-Book händisch noch einmal neu gesetzt und hergestellt werden. "In der Verlagsbranche sind viele klein- und mittelständische Unternehmen tätig, die dies personell und finanziell nur schwer leisten könnten," so Barwick.

Der Börsenverein plädiert deshalb in seiner Stellungnahme dafür, das Wort "angeboten" aus dem Entwurf zu streichen - und um die Klarstellung, dass die Regelung zur Barrierefreiheit nur für E-Books gelten soll, die ab Juni 2025 neu beziehungsweise aktualisiert erscheinen.

Verlage haben eine moralische Verpflichtung, allen Menschen den Zugang zur magischen Welt der Bücher zu ermöglichen.

Hugo Setzer, IPA-Beauftragter für Barrierefreiheit

Dass die Verlagsbranche in Europa bei allem Aufwand, der damit verbunden ist, hinter der EU-Richtlinie und ihrer nationalen Umsetzung steht, zeigt sich am Engagement des Europäischen Verlegerverbands FEP. Und auch Hugo Setzer, Beauftragter für Barrierefreiheit beim internationalen Verlegerverband IPA, hat vor kurzem noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig Verlage das Thema nehmen müssen (mehr dazu hier).

Weltweit gebe es schätzungsweise 285 Millionen sehbehinderte Menschen, die weniger als zehn Prozent aller veröffentlichten Bücher nutzen könnten. Verlage, so Setzer in seinem Statement, hätten eine moralische Verpflichtung, allen Menschen den Zugang zur magischen Welt der Bücher zu ermöglichen. Den richtigen Rahmen dafür zu setzen – das wiederum ist Sache der Politik.

Warum das geplante Gesetz so wichtig ist und was die Branche jetzt tun kann - dazu lesen Sie mehr in den folgenden Börsenblatt-Beiträgen und auf dieser Website des Börsenvereins: