Nicht in nationalen Grenzen denken
"Make the world a better place" statt "Make America great again": Beim virtuellen Pressegespräch am Messe-Donnerstag gab Friedenspreisträger Amartya Sen das Motto der Stunde aus. Und lobte Angela Merkel.
"Make the world a better place" statt "Make America great again": Beim virtuellen Pressegespräch am Messe-Donnerstag gab Friedenspreisträger Amartya Sen das Motto der Stunde aus. Und lobte Angela Merkel.
Wenn am Sonntag um 10.45 Uhr der Festakt in der Frankfurter Paulskirche beginnt, wird der diesjährige Friedenspreisträger Amartya Sen live aus den USA zugeschaltet, um seine Dankesrede zu halten. Früh aufstehen oder lange wachbleiben: Vor dieser Wahl steht Sen durch die Zeitverschiebung. Alle Bücher, die er bislang geschrieben habe, seien nachts entstanden, verriet der indisch-amerikanische Ökonom und Philosoph in einem virtuellen Pressegespräch am Messe-Donnerstag: "Ich schreibe immer nachts und gehe dann erst gegen vier Uhr ins Bett", so der 86-Jährige an seinem heimischen Schreibtisch.
Diesmal müsste er wohl noch etwas länger aufbleiben, um die Preisverleihung bis zum Ende zu begleiten. Das gewohnte Publikum, das große Treffen der Buchhändler*innen, Autor*innen und Verleger*innen zum Abschluss der Buchmesse fällt im Corona-Hotspot Frankfurt zwar aus. Doch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier soll seine Laudatio persönlich in der Paulskirche halten, Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs ihr Grußwort. Die ARD überträgt die Preisverleihung wieder live – wenigstens eine Konstante im Jahr der Corona-Ausnahmen.
Natürlich habe der Stiftungsrat des Friedenspreises überlegt, ob die neuen Bedingungen der Pandemie auch bei der Auswahl des neuen Friedenspreisträgers, der neuen Friedenspreisträgerin eine Rolle spielen sollten, so Karin Schmidt-Friderichs in der kleinen Fragestunde mit den Medien. Dann aber habe man beschlossen, die gewohnten Kriterien anzulegen. Und siehe da: "Mit Amartya Sen hat sich geradezu der ideale Preisträger gefunden." Seine Bücher seien Gebrauchsanweisungen zum Aufbau einer besseren Welt, so die Vorsteherin – und würden den eurozentrischen Blick mit östlicher Weisheit weiten.
Unser eigenes Leben hängt mit dem der anderen zusammen, auch mit dem der Tiere und Pflanzen
Amartya Sen, Friedenspreisträger 2020
Corona spielte die Hauptrolle im Pressegespräch. Hat Amartya Sen eine Idee, wie sich die Pandemie in den USA und der Welt bändigen lässt? Viel mehr Tests, intensive Kontaktverfolgung, so seine Antwort auf eine Frage, die sonst wohl eher Virologen als Wirtschaftswissenschaftler gestellt bekommen.
Krankheiten, die Grenzen überschreiten, seien nicht neu, betonte Sen und erinnerte an Ebola oder Cholera – aber Corona habe eine andere Dimension: "Lösen können wir solche globalen Probleme nur, indem wir nicht in nationalen Grenzen denken, sondern uns in einen größeren Zusammenhang stellen", so der Friedenspreisträger, der sich in seinen Büchern vor allem mit Verteilungsgerechtigkeit auseinandersetzt.
"Unser eigenes Leben hängt mit dem der anderen zusammen, auch mit dem der Tiere und Pflanzen", sagte Sen und schlug damit den Bogen zum Klimawandel. Nicht Trumps Motto "Make America great again" sei der Schlüssel für die Zukunft, sondern die Devise "Make the world a better place". Deutschland, befand Sen, mache das unter Bundeskanzlerin Angela Merkel schon sehr gut – es sehe sich selbst als Teil der Welt und frage sich: Was kann ich tun? Diesem Gedanken zu folgen, davon könnten alle auf dem Planeten profitieren.
Auch zur Lage in seiner Heimat Indien äußerte sich Sen: Das Land durchlebe harte Zeiten. Es sei eben kein Hindu-Staat, sondern ein Land der vielen Völker und Religionen – mit einer säkulären und derzeit hochgefährdeten Demokratie.
Auf der Frankfurter Buchmesse ist Sen übrigens vor ein paar Jahren schon einmal persönlich gewesen - um ein Buch vorzustellen und mehrere Tage lang in das literarische Messeleben einzutauchen. Auch der Friedenspreis war ihm bekannt. Dass er ihn nun erhalte, sei eine Ehre, so Sen. Sein Preisgeld von 25.000 Euro soll in Stiftungen fließen, die er nach der Auszeichnung mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften 1998 gegründet hat – etwa in den Londoner "Eva Colorni Trust", der mittellose Studentinnen und Studenten unterstützt und nach seiner verstorbenen Frau benannt ist.
Mit Sen, so heißt es in der Begründung der Friedenspreis-Jury, werde ein Philosoph geehrt, "der sich als Vordenker seit Jahrzehnten mit Fragen der globalen Gerechtigkeit auseinandersetzt und dessen Arbeiten zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit in Bezug auf Bildung und Gesundheit heute so relevant sind wie nie zuvor."
Weitere Informationen zum Preisträger und seinen Werken gibt es hier, ein Porträt lesen Sie hier. Eine Dokumentation aller Reden aus der Paulskirche liegt in der nächsten Woche dem Börsenblatt bei.