Börsenverein, LV Berlin-Brandenburg

Martina Tittel: "Ich treffe jetzt erst all die Menschen, die mich gewählt haben"

26. August 2021
Holger Heimann

Mitgliederfest in der Freilichtbühne: Der Landesverband Berlin-Brandenburg feiert am Samstag seinen 75. Geburtstag - ein guter Anlass, um die neue Vorsitzende Martina Tittel zur To-Do-Liste für die Zukunft und zur Lage im Buchhandel zu befragen.

Der Landesverband hat zum Branchentreffen eingeladen, das 75jährige Bestehen soll gefeiert werden. Was erwartet die Mitglieder?

Durch die Pandemie bedingt feiern wir im Freien. Wir haben in die (überdachte) Freilichtbühne in Britz eingeladen. Da werden auf einem großen Bildschirm Bilder aus den vergangenen Jahrzehnten zu sehen sein. Detlef Bluhm und Ruth Klinkenberg haben in den Archiven gekramt, und ich bin sehr gespannt, was sie zu Tage gefördert haben. Wir werden den Berliner Kultursenator Klaus Lederer und den Justiziar des Börsenvereins Christian Sprang hören. Vor allem aber: Alle können endlich einmal wieder zusammenkommen und miteinander reden.

Wenn wir für die Rabattspreizung keine Lösung finden, können wir unseren Buchhandlungen beim Sterben zusehen.

Martina Tittel, Vorsitzende des Landesverbands Berlin-Brandenburg im Börsenverein

Sie sind seit Juni neue Vorsitzende des Landesverbands, gewählt auf einer digitalen Hauptversammlung (mehr dazu hier). Ist das jetzt bevorstehende Fest für Sie gewissermaßen erst der richtige Anfang?

Ja, ein bisschen fühlt es sich so an. Ich treffe jetzt erst all die Menschen, die mich gewählt haben, das ist wie ein zweiter Startschuss.

Was ist dringend zu tun beim Landesverband? Was haben Sie sich vorgenommen für Ihre Amtszeit?

Ich sehe große Probleme in den Städten. Durch die Digitalisierung und den zunehmenden Online-Handel verändert sich das Bild der Städte. Durch die Corona-Pandemie wird die Ausdünnung der Innenstädte jetzt noch verstärkt. Das wird über kurz oder lang auch die Buchhandlungen betreffen. Das heißt: Wir müssen doppelt so viel Wind machen mit einem ganz kurzen Hemd, damit die Leute die Städte weiter begehen, und das tun sie nur, wenn die Städte attraktiv genug sind. Wir müssen uns als Kommunikationsorte in der Stadt weiter profilieren oder auch neu erfinden.

Das andere große Thema ist die Aufweichung der Buchpreisbindung durch die Filialisten und deren Rabattsysteme. Das wird ein Thema auf Landesebene sein, aber vor allem auf Bundesebene. Wenn wir da keine Lösungen finden, können wir uns selbst beim Sterben zusehen.

Sie haben sich selbst einmal einen „sturen Willen“ bescheinigt. Hilft der und ist er notwendig?

Wenn man sagt, da will ich hin, und das will ich schaffen, das hilft schon, ja. Klar.

Ihr Vorgänger, Kilian Kissling, ist Verleger. Sie sind Buchhändlerin. Sind mit unterschiedlichen Perspektiven auch unterschiedliche Akzente in der Verbandsarbeit verbunden?

Ich denke, dass die Verleger zuerst ihre drängenden Probleme im Kopf haben und umgekehrt die Buchhändler ihre. Daher ist es eine wunderbare Einrichtung, dass der beziehungsweise die erste und zweite Vorsitzende aus unterschiedlichen „Lagern“ kommen. Ich habe die Verlegerin Britta Jürgs an meiner Seite, und ich bin mir sicher, dass wir uns wunderbar ergänzen werden. Wir haben jedenfalls schon vorab vereinbart, jeweils bei der anderen die Dinge in Erinnerung zu rufen, die auch wichtig sind. 

„Der gegenseitige Austausch fördert das gegenseitige Verständnis“, haben Sie auf die Frage, warum Sie Mitglied im Börsenverein sind, zu Protokoll gegeben. Fehlt es da manchmal?

Ich glaube, dass es manchmal an Verständnis mangelt, wenn man nicht die gesamte Situation kennt und nicht genügend Informationen hat. Daher ist es wichtig, öfter in den Dialog zu treten. Ich hatte bereits in meinem Bewerbungsschreiben angekündigt, dass ich verstärkt auf Regionaltreffen setzen will. Denn so ist es möglich, die Bedürfnisse anderer kennenzulernen. Eine Region in Brandenburg hat mich nun bereits zu einem Treffen eingeladen. Das ist großartig, denn die Initiative dazu kommt von dort, nicht von mir.

Den Kiez-Läden geht es gut. Buchhandlungen in den Stadtrandlagen sind dagegen eher so lala durch die Corona-Krise gekommen.

Martina Tittel, Inhaberin der Nicolaischen Buchhandlung, Berlin

Wie kommt der Buchhandel in Berlin und Brandenburg bislang durch die Pandemie?

Der Buchhandel in Berlin ist gut durch diese Zeit gekommen. All den Läden, die in Kiezen und guten Einkaufslagen beheimatet sind, geht es ausgesprochen gut. Die Buchläden waren die ganze Zeit geöffnet, die Leute haben mehr gelesen.

Buchhandlungen in Stadtrandlagen sind hingegen eher so lala durch die Krise gekommen. In Brandenburg war es im ersten Lockdown schrecklich für die Buchhändler, weil sie schließen mussten. In einigen Geschäften gingen die Umsätze um 80 Prozent zurück. Zum Teil konnte das noch aufgefangen werden durch agile Buchhändler, die ihre Waren selbst ausgeliefert haben. Aber sie mussten hart kämpfen. Während des zweiten Lockdowns konnten auch die Brandenburger ihre Läden zum Glück öffnen.

Was nehmen Sie als Buchhändlerin aus der Corona-Zeit und den diversen Lockdowns mit für die weitere Arbeit?

Ich kann allen nur raten: Wer noch nicht durchdigitalisiert ist, der sollte das schleunigst ändern. Digital gut aufgestellt zu sein, das hat geholfen. Und geholfen hat auch der gute Kontakt zu Nachbarn. Es wurden gemeinsam Abholstationen geschaffen und sich gegenseitig unter die Arme gegriffen. Daher: Pflegt den Kontakt zu euren Nachbarn! Macht Aktionen zusammen!

Jubiläumsfest und Jubiläumsaktion

  • Anmeldungen zum Mitgliederfest sind noch möglich, allerdings gilt aus Infektionsschutzgründen die 3-G-Regel. Eine formlose Mail an Fabian.Thomas@berlinerbuchhandel.de genügt. Wer spontan kommt, sollte einen negativen Coronatest mitbringen, geimpft oder genesen sein. Einlass ist ab 14 Uhr, das Fest beginnt um 15 Uhr. Die Freilichtbühne ist überdacht.
  • Außerdem zeigen zum Jubiläumsjahr Mitglieder des Landes­verbands Gesicht: Unter dem Hashtag #bücherHEROES und auf der Website buecherheroes.de erzählen Menschen aus der Branche von Zukunftsprojekten, ihrem "Lieblingsbuch, das keiner kennt" und Kolleg*innen, deren Arbeit sie besonders schätzen.