Zum 85. von Jan Assmann

"Indiana Jones der Erinnerungskultur"

7. Juli 2023
Martin Schult

Friedenspreisträger Jan Assmann wird 85 Jahre alt. Er und seine Frau Aleida mischen sich ein in die aktuellen gesellschaftlichen Diskurse – immer mit großem Interesse am Menschen. Martin Schult gratuliert mit einer Anekdote.

Jan Assmann bei der Pressekonferenz zum Friedenspreis 2018.

2018 wird zum zweiten Mal ein Ehepaar mit dem Friedenspreis ausgezeichnet. Doch anders als Alva und Gunnar Myrdal 1970, die ihre Reden nacheinander hielten, treten Aleida und Jan Assmann gemeinsam ans Pult und stellen in ihrer abwechselnd vorgetragenen Rede unter anderem die "Res publica litteraria" in den Fokus – jenes mit Geist und Verstand gefüllte imaginäre Reich, mit dem sich 1958 auch Friedenspreisträger Karl Jaspers und seine Laudatorin Hannah Arendt beschäftigt hatten. Vor allem Jaspers stellte sich dieses "Reich der Humanitas" als Sphäre "grenzenloser Kommunikation" vor – woraus sich neue Gedanken zu einem Friedensprogramm entwickeln lassen würden.

Die beiden Assmanns greifen diese Idee in ihrer Dankesrede auf und setzen sie mit dem gleich, was sie als "kulturelles Gedächtnis" bezeichnen – ein Arbeitsansatz, den sie seit Langem verfolgen und der sie den Menschen, ihrer kulturellen Entwicklung und den aktuellen und vergangenen Geschehnissen näher bringt, als es Jaspers vermochte. Und doch ist sein "Geister­reich", wie Hannah Arendt es genannt hat, einer der beiden Echoräume, in denen sich die Anglistin und der Archäologe gefunden haben.
 

Familiärer Mikrokosmos

Der andere ist die Familie. Nach der Friedenspreisverleihung steht das Paar mit Brüdern und Schwestern, den fünf Kindern und Kindeskindern noch lange vor der Paulskirche und macht Familienfotos als Erinnerung an diesen besonderen Tag – ein Sicherheit gebender familiärer Mikrokosmos, der den beiden den zweiten Echoraum gibt, um sich mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen den gesellschaftlichen Debatten zu stellen.

Denn nicht erst seit der Preisverleihung ist das Ehepaar Assmann aus vielen gesellschaftlichen Diskursen nicht mehr wegzudenken. Sei es die Erinnerungskultur, die BDS-Debatte, die Diskussionen über Nationalismus oder den Ukraine-Krieg – Aleida und Jan Assmann beteiligen sich mit Enthusiasmus, mit Neugierde, manchmal auch mit Sorge, doch vor allem mit einem großen Interesse am Menschen.

Einer der beiden feiert in diesen Tagen seinen 85. Geburtstag. Das ist der Anlass dieses Textes, und eigentlich müsste ich mich hier mit der Vita Jan Assmanns beschäftigen, über seine grundlegenden Erkenntnisse bei der Erschließung, Edition und Interpretation von Quellen zur ägyptischen Religion schreiben oder über seine Arbeiten über das Alte Ägypten, das keine versklavte Gesellschaft unter pharaonischer Willkür gewesen ist, sondern eine Zivilisation, die von Ordnungs- und Gerechtigkeitsvorstellungen geprägt wurde.

Ich könnte hier seine Arbeiten zur Entstehung des Monotheismus erwähnen, dessen Anfänge er in dem Auszug der Israeliten aus Ägypten sieht, oder seine Auseinandersetzung mit der "Totalen Religion", bei der er den Bogen zur aktuellen Diskussion über das Gewaltpotenzial monotheistisch geprägter Gesellschaften schlägt. Aber vor allem hätte ich die Gelegenheit nutzen sollen, um über seine Liebe zu Thomas Mann, seine Leidenschaft für Musik zu schreiben.

Familienfoto nach dem Festakt: die Preisträger:innen Jan und Aleida Assmann (vorne mit Enkelchen) – und Geschwister, Kinder, Kindeskinder.

Wie "Indiana Jones"

Doch viel lieber möchte ich eine kleine Anekdote aus dem Jahr 2019 erwähnen, als Jan Assmann in Aachen mit 200 Schüler:innen über den Holocaust und die kulturelle Erinnerung diskutierte. Im Zug zurück nach Köln erzählte ich ihm von meinem Buchprojekt über eine verschollene Oase in der Libyschen Wüste und verstieg mich in großartige Spekulationen.

Jan, der Ägyptologe, begegnete meinen Ausführungen anfangs mit wissenschaftlicher Skepsis, bis er sich meinen fantastischen Streifzügen anschloss und sich in einen "Indiana Jones der Erinnerungskultur" verwandelte, der mit mir gemeinsam das Gilf-el-Kebir-Gebirge durchwanderte. Und genau in dem Moment entdeckte ich in dem Ehemann, Vater und Großvater den am 7. Juli 1938 im Harzer Langelsheim geborenen Jungen, der sich noch nicht entscheiden kann, ob er eine musikalische Laufbahn einschlagen oder Archäologe werden soll. Er ist beides geworden, sogar mehr noch als das. Herzlichen Glückwunsch, lieber Jan, und alles Gute für die nächsten 85 Jahre!