Stadtbibliothek plant europaweite Ausschreibung für Printbestellungen

Hannovers Buchhandel fürchtet um Existenz

1. März 2023
Michael Roesler-Graichen

Weil die Stadtbibliothek Hannover Printbestellungen europaweit ausschreiben will, fürchten die Buchhändler:innen der Landeshauptstadt um ihre Existenz. Doch noch ist der Diskussionsprozess um das weitere Vorgehen nicht abgeschlossen.

Im vergangenen Frühjahr hatte die Ankündigung der Stadtbibliothek Leipzig, die Buchbestellungen europaweit auszuschreiben, für großen Unmut im örtlichen Buchhandel gesorgt. Nach Gesprächen des Kulturdezernats mit den Leipziger Städtischen Bibliotheken wurde das Vergabeverfahren neu aufgerollt und das gesamte Bestellvolumen in zehn Lose aufgeteilt (die ebenfalls europaweit ausgeschrieben wurden), um den Buchhändler:innen der Messestadt eine Chance für den Zuschlag zu geben.

Nun zeichnet sich ein ähnlicher Konflikt in Hannover ab. Die Stadtbibliothek sieht sich gezwungen, ihre Bestellungen für deutschsprachige Bücher europaweit auszuschreiben. Wie Tom Becker, der Direktor der Stadtbibliothek Hannover im Gespräch mit dem Börsenblatt sagt, sei er vom Rechnungsprüfungsamt der Stadt darauf hingewiesen worden, dass die Buchbestellungen in der Vergangenheit nicht vergabekonform ausgeschrieben worden seien. Nun überlege man, wie man rechtskonform ausschreibe. "Das Bestellvolumen für die deutschsprachigen Printpublikationen liegt in Hannover bei ca. 480.000 Euro pro Jahr. Wir haben vor, mindestens drei Lose zu bilden, diskutieren aber auch andere Möglichkeiten, wie zum Beispiel das Leipziger Modell", so Becker.

Dem Bibliotheksdirektor ist zugleich klar, "dass der örtliche Buchhandel mit dem Vorgehen nicht einverstanden ist und sich klar positioniert". Man müsse aber auch die Lage der Stadtbibliothek im Blick behalten. Es sei, so Becker, zudem "schwierig", kleinere Lose klar voneinander abzugrenzen. "Es ist fraglich, inwieweit eine Aufteilung in kleinere Lose dem Buchhandel helfen würde, denn selbst dann dürften wir lokale oder regionale Anbieter nicht bevorzugen."

Lange: "Europaweite Ausschreibung von Büchereinkauf nicht zwingend"

Der SPD-Politiker und Europaabgeordnete Bernd Lange, zugleich Vorsitzender des Ausschusses für internationalen Handel des Europäischen Parlaments, teilt die Position der Stadtbibliothek Hannover nicht. Eine "zwingende Pflicht zur europaweiten Ausschreibung von Büchereinkäufen der Stadtbibliotheken" gebe es nicht. Außerdem müsse man nicht Bibliotheksdienstleistungen wie das Foliieren von Büchern mit den Buchausschreibungen verknüpfen. Hier sollen durch Outsourcing Kosten gespart werden, meint Lange. 

  • "Zum Einen", so Lange, "macht eine Ausschreibung bei reinen Büchereinkäufen wenig Sinn, da es ja die Buchpreisbindung gibt und damit die Einkaufspreise überall gleich sind. Die Buchpreisbindung haben wir ja im Europäischen Parlament genau deshalb verteidigt, um kleine Buchhändler zu stärken und zu schützen. Die Verfügbarkeit von Büchern für Jeden im Buchladen vor Ort, gehört zu unserem kulturellen Schatz." 
  • Zweitens bestehe überhaupt keine Pflicht zu großen Losen, sodass die wettbewerbliche, europaweite Ausschreibungsgrenze von 215.000,00 Euro überschritten wird. Man könne den Beschaffungsetat in "Teil- und Fachlose" splitten und müsse auch nicht langfristige Rahmenpakete schnüren. 
  • Drittens müsse man nicht den Einkauf von preisgebundenen Medien mit kommerziellen Dienstleistungen, wie Foliierungen und anderen bibliotheksspezifischen Serviceleistungen der Bücher, verknüpfen, um so durch Outsourcen Kosten zu sparen. Damit komme man in den Dienstleistungsbereich hinein.

 
"Wir sollten alle Möglichkeiten nutzen, den regionalen Handel zu stärken und nicht nach Möglichkeiten suchen, die das Gegenteil riskieren", meint Lange. "Die Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen ist übrigens auch im Niedersächsischen Tariftreue- und Vergabegesetz (NTVergG, § 9) explizit vorgesehen."

Die Haltung des Börsenvereins

Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang hält es zwar auch für europarechtlich zwingend, dass eine Bibliothek, die preisgebundene Bücher im Wert von mehr als 215.000 Euro zentral beschafft, diesen Auftrag europaweit ausschreiben muss. "Aber die Bibliothek hat verschiedene vollständig legale Gestaltungsmöglichkeiten, um es nicht zum Eintritt eines solchen Szenarios kommen zu lassen." 

  • Sie könne, wenn sie mehrere Standorte hat, den Leitungen dieser einzelnen Standorte die Beschaffungshoheit, d.h. die Entscheidung, was wann und wie bestellt wird, übertragen. Dann darf – bei Unterschreiten des Schwellenwertes - dezentral beschafft werden, auch wenn alle Standorte zu einer Bibliothek gehören.
  • Sie kann, wenn sie mehrere Fachbereiche hat, den Leitungen dieser Fachbereiche die Beschaffungshoheit übertragen. Diese beschaffen dann in eigener Verantwortung und in eigenen Verfahren.
  • Sie kann die beiden vorgenannten Möglichkeiten natürlich auch kombinieren, also die Entscheidung über die Beschaffung den Fachbereichsleitungen jedes Standorts überlassen. Auch das Gebot der mittelstandsfreundlichen Vergabe spreche für eine entsprechende Aufteilung. Diese schließe aber nicht aus, dass die administrative Abwicklung der Geschäfte, also Rechnungsstellung, Zahlungsclearing usw. nicht dennoch über die Zentralverwaltung der Bibliothek erfolgen kann.
  • Sie muss Ausschreibungen preisgebundener Bücher von Ausschreibungen von Nebenleistungen wie Folierung, Etikettierung usw. strikt trennen. Das liegt deshalb in ihrem eigenen Interesse, weil sonst Rechtsstreitigkeiten um die Rechtmäßigkeit der Zuschlagerteilung aufgrund des bei einer Koppelung von Einkauf von Büchern und bibliotheksspezifischen Serviceleistungen erfahrungsgemäß auftretenden Preiswettbewerbs unausweichlich sind.

Sprang vermutet, dass Bibliotheken wie in Hannover und in Leipzig deshalb in ihren europaweiten Ausschreibungen Buchbestellungen mit Dienstleistungen verknüpfen, um in ihren Häusern Einspareffekte zu erzielen. Für den 28. Februar ist in Hannover ein Gespräch zwischen Stadtspitze, Börsenverein und Stadtbibliothek angesetzt, in dem eine Annäherung beider Seiten versucht wird.