"Gegen alle Vernunft bin ich Optimist"
Der einzige öffentliche Auftritt vor der Presse: Friedenspreisträger Salman Rushdie stellte sich auf der Frankfurter Buchmesse den Fragen der rund 180 Journalist:innen.
Der einzige öffentliche Auftritt vor der Presse: Friedenspreisträger Salman Rushdie stellte sich auf der Frankfurter Buchmesse den Fragen der rund 180 Journalist:innen.
Die Spannung unter den Fotografen stieg, kurz bevor Salman Rushdie den gut gesicherten Raum Illusion 3 im Congress Center der Frankfurter Buchmesse betrat. Dann, nach einigen Minuten Blitzlichtgewitter - bei sechs Metern Sicherheitsabstand zum Podium - nahm ein entspannt wirkender Friedenspreisträger Platz, eingerahmt von Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs und Börsenvereins-Pressesprecher Thomas Koch.
Was der Friedenspreis für ihn bedeute, fragte Thomas Koch den Autor. "Es ist ein enorm wichtiger Preis, und viele Menschen, die ich bewundere, haben ihn vor mir bekommen." Wie es sich für ihn anfühle, nach der Messerattacke des vergangenen Sommers wieder in der Öffentlichkeit zu sein? Ja, es sei schon mit Ängsten verbunden, ein schwieriges Jahr liege hinter ihm. Die Schockerfahrung wird Rushdie in dem Buch "Knife" ("Messer") verarbeiten, das im April 2024 erscheinen wird. "Es schien mir ein wichtiges Thema zu sein" sagte er mit einem Schmunzeln, "zumal es mich ja direkt betrifft. Etwas anderes könnte ich derzeit nicht schreiben."
An Karin Schmidt-Friderichs, die Vorsitzende des Friedenspreis-Stiftungsrats richtete Koch die Frage, weshalb sich das Gremium für Rushdie entschieden habe. "Er ist nicht nur ein großer Geschichtenerzähler, sondern auch eine politische Persönlichkeit. Er kämpft für die Meinungsfreiheit und kämpft dafür auf friedliche Weise mit Worten. Rushdie beschreibt in seinen Büchern, wie Diktaturen Gesellschaften zerstören und einzelne Menschen Widerstand leisten können. Wir ehren Salman Rushdie für sein 'Ja zum Leben'."
In der anschließenden Fragerunde gab es kaum ein Thema, das die versammelte Weltpresse (rund 180 Journalistinnen und Journalisten) ausließ. Auf die Frage von Katty Salié (ZDF, aspekte), ob es nach den Attacken der Hamas auf Israel noch Hoffnung für die Welt gebe, antwortete er, es sei im Moment leicht, in eine tragische Stimmung zu verfallen, die Welt sei nun einmal nicht gut in Form. Aber unvernünftigerweise bleibe er optimistisch, der dunkeln Wirklichkeit zum Trotz. Woher sein "Ja zum Leben" käme angesichts des Horrors, so ein andere Frage aus dem Publikum? Da gebe es eine "geheime Quelle", auf die er nicht näher eingehen wollte.
Ein schwedischer Journalist sprach Rushdie auf die Koran-Verbrennungen in Schweden und Dänemark an, die offenbar das IS-Attentat in Brüssel auf schwedische Fußballfans provoziert haben: "Sind Bücherverbrennungen durch das Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt?" Nein, gerade im Blick auf die deutsche Geschichte verabscheue er Bücherverbrennungen. Rushdie zitierte den berühmten Satz aus Heinrich Heines Tragödie "Almansor": "Wer Bücher verbrennt, verbrennt eines Tages auch Menschen." "In dem Stück", so Rushdie, "geht es auch um den Koran." Bücherverbrennungen gesetzlich zu verbieten, sei allerdings kein Weg - dies käme einer Art Blasphemiegesetz gleich.
Ob Literatur dazu beitragen könne, muslimischen Hass und Extremismus zu überwinden, lautete eine weitere Frage. "Ich weiß es nicht. Literatur kann nur die Komplexität der Welt, ihre Offenheit und ihre Vielfalt zeigen. Ich kann Literatur nicht für etwas in Anspruch nehmen, das sie nicht leisten kann."
Auch auf die traumatische Erfahrung im August 2022 wurde Rushdie noch einmal angesprochen. Er sei sich immer der Möglichkeit bewusst gewesen, dass ein Angriff auf ihn möglich sei. "Ich bin glücklich, nach wie vor hier zu sein. Es war sehr knapp." Man habe ihn damals achteinhalb Stunden in einem Krankenhaus in Pennsylvania operiert.
Eine Journalistin fragte Rushdie, weshalb so viele junge Schriftsteller:innen Schwierigkeiten mit dem Schreiben, der Wahl ihres Stoffes hätten. "Ja, ich beobachte eine gewisse Unsicherheit und Nervosität unter jungen Autoren, aus sozialen und kulturellen Gründen" so Rushdie. "Meiner Meinung nach kann man über alles schreiben. Man muss kein Inder sein, um über indische Menschen zu schreiben. Entscheidend ist, ob man gut oder schlecht schreibt." Schreiben bedeute auch, Menschen zu erfinden, die nicht so seien wie man selbst.
Als wäre Rushdie ein lebendes Orakel, wurde er auch nach dem Einfluss von ChatGPT auf die Literatur gefragt. "Ich habe ChatGPT gebeten, im Stil von Rushdie zu schreiben. Was dabei herauskam, war reiner Müll." Was das geschriebene Wort angehe, sei ihm nicht bange. Für viel gefährlicher halte er Stimm-Software, mit der man Deep-Fake-Videos herstellen könne.
Ein polnischer und ein italienischer Journalist sprachen Rushdie auf seine literarischen Einflüsse in beiden Ländern an. Autoren wie Riszard Kapuczynski oder Italo Calvino hätten ihn sehr geprägt.
Ein ZDF-Journalist fragte ihn schließlich, wie er seine Tage in Frankfurt am Main verbringe. Ob er frei durch Frankfurt laufen und Menschen treffen könne. Rushdie, der auch sonst nicht um einen humorvollen Kommentar verlegen war, meinte: "Ich habe eine gute Zeit - ich bin exklusiv von Journalisten umgeben." Worauf er das Lachen der Pressevertreter auf seiner Seite hatte.