Ideen gegen das Ausbluten der Innenstädte: Interview mit Volker Petri

"Für den Buchhandel geht es auch um Monetarisierung"

22. Februar 2024
Sabine Cronau

Die Plattform "Stadtimpulse" sammelt Best-Practice-Beispiele zur Innenstadtbelebung, der Börsenverein unterstützt die HDE-Initiative als Partner. Volker Petri über das Projekt - und die hohe Insolvenzgefahr im Handel.

Volker Petri ist beim Börsenverein Geschäftsführer des Landesverbands Nord. Er kümmert sich im Verband um das Thema Stadtentwicklung – und damit auch um die neue Partnerschaft mit der Initiative »Stadtimpulse«.

Volker Petri

Der Börsenverein hat sich der Initiative Stadtimpulse angeschlossen – die unter anderem auf einer Online-Plattform Best-Practice-Beispiele für die Innenstadtentwicklung sammelt. Wie kann die Branche davon profitieren?

Zum einen ist das Portal www.unsere-stadtimpulse.de ein wunderbares Tool, um sich inspirieren zu lassen und neue Aktionsideen in die Stadtgesellschaft hineinzutragen – zumal bei jedem Projekt die Ansprechpartner vor Ort und die angefallenen Kosten angegeben sind. Zum anderen können Buchhandlungen sich auch Anregungen dafür holen, wie sich das Knowhow, das sie selbst bereits bei der Konzeption und Organisation von Lesungen gesammelt haben, vielleicht monetarisieren lässt.

Wer Kompetenz für Programmgestaltung sucht, ist beim Buchhandel einfach gut aufgehoben.

Volker Petri

Indem sie im Auftrag der Stadt, des Gewerbevereins oder des Stadtmarketings Events auf die Beine stellen?

Genau. Immer mehr Städte und Einzelhändler versuchen ja, die Einkaufsmeilen mit Kultur aufzuladen, um die Menschen in die City zu locken. Der Buchhandel ist bereits jetzt ein Kristallisationspunkt für Kultur – und sollte selbstbewusst sagen: Ihr müsst den Auftrag für solche Aktionen nicht an eine externe Agentur vergeben, sondern ich als lokaler Einzelhändler kann Planung und Umsetzung für Euch übernehmen, wenn Ihr mich dafür bezahlt.

Wer Kompetenz für Programmgestaltung sucht, ist beim Buchhandel einfach gut aufgehoben. Nehmen Sie zum Beispiel die schöne Idee der kulinarischen Radtour in Norderstedt: Das könnte auch eine Buchhandlung erfunden haben.

Kurz erklärt: Die Initiative Stadtimpulse

  • Eine Initiative des Handelsverbands Deutschland, des Deutschen ­Städtetags, des Deutschen Städte- und Gemeindebunds und der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland (Launch: 2021).
  • Das Ziel: den Austausch zu fördern und zertifizierte Best-Practice-Beispiele für alle in einem Projektpool online zugänglich zu machen – mit Kosten und Ansprechpartnern.
  • Zu den vielen Partnern gehört seit Herbst 2023 auch der Börsenverein, der gute Projekte in die Buchbranche hineintragen will – und im Gegenzug Ideen aus dem Buchhandel in das Portal einspeisen möchte.

Sie haben es schon gesagt: Der Buchhandel ist bei vielen Dingen im Vergleich zum restlichen Einzelhandel schon sehr weit vorn. Was lässt sich trotzdem noch von anderen Projekten zur Innenstadtbelebung lernen?

Wir können zum Beispiel lernen, dass überall nur mit Wasser gekocht wird – und wir uns nicht verstecken müssen, sondern mit stolzgeschwellter Brust einbringen können. Der Börsenverein hat sich ja schon 2023 in einer Veranstaltungsreihe intensiv mit dem Thema Innenstadtentwicklung beschäftigt und Beispiele aus dem Buchhandel vorgestellt. Mit „Stadtimpulse“ weiten wir den Blick auf Aktionen und Projekte anderer, die viele Partner miteinander vernetzen und sich durch einen hohen Kooperationsgrad auszeichnen.

Alle möchten ihr Geschäftsmodell gerne mit Kultur aufladen. Buchhandlungen, aber auch Verlage sind seit jeher eine Bühne für Geschichten - und passen deshalb bestens zur Stadtlandschaft von morgen.

Volker Petri

Werden Sie auch Aktionen rund ums Buch in den Ideenpool einspeisen?

Einige sind dort bereits zu finden, etwa „Mainz liest ein Buch“. Aber wir möchten natürlich weitere Ideen platzieren. Zu den Initiatoren von „Stadtimpulse“ gehören der Handelsverband Deutschland, die Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing, der Deutsche Städte- und Gemeindebund: Auf dieser Bühne wollen wir uns zeigen und deutlich machen, welche Impulse der Buchhandel geben kann – und was er heute schon leistet. Alle möchten ihr Geschäftsmodell gerne mit Kultur aufladen. Wir dagegen sind seit jeher eine Bühne für Geschichten. Buchhandlungen, aber auch Verlage passen deshalb bestens zur Stadtlandschaft von morgen.

Welches Projekt aus dem „Stadtimpulse“-Pool finden Sie besonders spannend?

Den „Tapetenwechsel“ in Bochum. Hier werden Leerstände von Kreativen, von Vereinen oder Start-ups bespielt. Sie nutzen die Räume etwa für Ausstellungen, für Proben, Konzerte oder als Gründerbüro. Da sind wir wieder beim Thema Monetarisierung: Die Idee, leere Ladenlokale mit Events und Kultur zu beleben, könnte auch bei einer Buchhandlung andocken – die zusammen mit Verlagen und Autor:innen ein Sommerfestival mit Lesungen anbieten könnte.  Das geht auch in kleinen Städten mit weniger Budget und Aufwand als in Bochum.

Das Topthema 2024 im Einzelhandel ist aus meiner Sicht ganz klar die Insolvenzgefahr. Da sehen wir im Moment nur die Spitze des Eisbergs.

Volker Petri

Mit der erneuten Insolvenz von Galeria Karstadt Kaufhof dürfte sich die Situation in vielen Innenstädten weiter verschärfen. Wenn Sie auf 2024 blicken: Wo liegen die größten Herausforderungen für den Handel? Und was ist vielleicht anders als 2023?

Das Topthema 2024 ist aus meiner Sicht ganz klar die Insolvenzgefahr. Die Pleitewelle wird sich laut einer HDE-Prognose beschleunigen, im Moment sehen wir da nur die Spitze des Eisbergs. Der Handel ächzt unter der Kostenlawine, unter hohen Energie-, Logistik- und Personalkosten – und sinkenden Umsätzen. Die Probleme der großen Kaufhäuser verschärfen die Situation: Dass sie nach der Schließung wie eine große Wunde in der Stadt wirken, konnte man schon jahrelang bei den Hertie-Immobilien beobachten.

Mehr erfahren - in Veranstaltungen und Videos des Börsenvereins

Kaufhof in der Hanauer Innenstadt

  • Der Börsenverein setzt seine 2023 begonnene Veranstaltungsreihe zur Zukunft der Innenstädte auch 2024 fort – mit einem Blick über die Buchbranche hinaus.
  • 28. Februar, 19 – 20 Uhr, digital: »Innenstädte – Zwischen den Mühlsteinen der Tradition und Moderne« mit Jan Schlesinger
  • 13. März, 19 – 20 Uhr, digital: »Stadtimpulse – Was ist das und was tun sie?«
  • Zum Einwahl-Link geht es hier: boersenverein.de/frequenzbelebung
  • Die Aufzeichnungen zu den Veranstaltungen 2023, die sich mit aktuellen Ideen im Buchhandel beschäftigt haben, sind alle online abrufbar.

Steht der Buchhandel besser da?

Nein, das trifft auch und gerade viele Buchhandlungen, die ja an der Preisgestaltung nichts ändern können, um Mehrkosten und Umsatzrückgänge abzufedern. Vor kurzem habe ich mit einer Buchhändlerin gesprochen, die im vergangenen Jahr 30.000 Euro weniger in der Kasse hatte als 2022.  Eine andere hat eine saftige Mieterhöhung von 40 Prozent bekommen – und schließt jetzt ihren Laden.

Wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, kommt man nicht mehr ins Handeln. Wir suchen deshalb nach Lösungen, wie sich das Sortiment aus eigener Kraft aus dem Sumpf ziehen kann. Denn klar ist: Buchhandlungen spielen eine wichtige Rolle im Stadtleben – zusammen mit Apotheken, Drogerien, Bäckereien und Cafés. Das sind alles Orte, an denen man sich trifft.

In Melle im Osnabrücker Land ist überall plakatiert, wie viele inhabergeführte Geschäfte es in der Kleinstadt gibt. Das ist eine tolle Idee.

Volker Petri

Wo liegt derzeit der Ball: Beim Einzelhandel, der innovativ sein muss – oder bei Kommunen und Bundesregierung, die neue Ideen für die Innenstadt von morgen fördern müssen?

Eine Kernforderung des HDE ist es, den Gedanken „Kauf lokal“ zu stärken. Der Handel muss zeigen, was er zu bieten hat – und die Kommune muss ihn dabei unterstützen. Neulich war ich in Melle im Osnabrücker Land. Dort war überall plakatiert, wie viele inhabergeführte Geschäfte es in der Kleinstadt gibt. Das fand ich toll.

Alle gemeinsam können zudem überlegen, welche Angebote fehlen, um den Einkauf attraktiver zu machen – und wer diese Lücke füllen könnte. Der Buchhandel macht das vor, indem er Schreibwaren, Zeitungen oder einen Paketservice aufnimmt.

Alle Anstrengungen stoßen allerdings dann an Grenzen, wenn Immobiliengesellschaften auf den Cayman-Inseln mit einer leeren Gewerbeimmobilie in Deutschland mehr Geld verdienen als mit einer vermieteten. Gegen solche globalen Irrwege richten die originellsten Ideen nichts aus.