Die Veranstaltung fand statt, um "Haltung zu zeigen", wie es der Kultursenator der Hauptstadt Joe Chialo in einem Grußwort formulierte, und um Denkräume zu öffnen. Eingeladen zu Lesungen und Gespräch hatten der Jüdische Verlag, der Börsenverein und der Landesverband Berlin-Brandenburg.
Gelesen wurde aus eigenen und aus fremden Texten. Marcel Beyer trug eine Passage aus Kafkas Erzählung "Ein Landarzt" vor, Tanja Dückers hatte Joseph Roths Roman "Hiob" dabei, Marion Poschmann Gedichte von Shimon Adaf. Dimitrij Kapitelman las seine Reportage "Jubel für die Hamas. Hass und Honig", die er nach den Terroranschlägen der Hamas für die "Zeit" geschrieben hat. Sein Text erzählt von einem "neuen Wahnsinn", davon, wie der Angriff auf Israel in Berlin mit süßem Gebäck gefeiert wurde. Er beginnt so: "Selbst mit Süßigkeiten kann man Grausamkeiten begehen. Und zwar feierlich. Am 7. 10. 2023 wurde auf der Neuköllner Sonnenallee, dem wohl arabischsten Straßenzug Deutschlands, freudig Baklava verschenkt: Blätterteiggebäck in Honig, wahlweise mit gehackten Walnüssen, Mandeln oder Pistazien. Um dem Terror der Hamas zu huldigen. Und den Massenmord an israelischen Zivilisten als Sternstunde der palästinensischen Freiheitsbewegung zu zelebrieren."
Der Musiker und Autor Ofer Waldman war aus Israel zugeschaltet, befragt nach dem Zustand des Landes sagte er: "Wir atmen nicht, seit zwei Monaten leben wir mit angehaltenem Atem und versuchen eine Scheinnormaliät herzustellen." Es habe sich ein Abgrund aufgetan, so Waldman. Die Frage sei nun: "Wie schaffen wir es, dass unsere Wünsche nicht in den Abgrund fallen? Und wir gleich hinterher?"
In der Blogreihe "Gleichzeit" schreibt Ofer Waldman im Wechsel mit Sasha Marianna Salzmann über persönliche Eindrücke, Erfahrungen und Beobachtungen seit dem Terroranschlag. Sasha Marianna Salzmann las aus einem ihrer Einträge vor: "Warum fühlt ihr euch so allein?, höre ich jetzt oft. Es gibt doch all diese Solidaritätsbekundungen, der Bundespräsident, der Kanzler, alle haben gesagt, was zu sagen war. Reiche das nicht? Reicht euch das nicht? Wie erklärt man dieses Erbe? Vermutlich gar nicht. Es ist nicht vermittelbar. Erfahrungen sind nicht teilbar. Man hat sie, oder man hat sie nicht. Für manche sind Hakenkreuze, nach den Massakern am 7. Oktober eingeritzt in die Betonstelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin, einfach nur eine Meldung."
"Der 7. Oktober dauert an", so Ofer Waldman – und das nicht nur in Israel, sondern auch für Juden in Deutschland. Antisemitismus gibt es hierzulande nicht erst seit dem Tag der Hamas-Anschläge. Angriffe auf Synagogen, Übergriffe, Schmierereien – all das gehört leider schon länger zum deutschen Alltag. Noam Petri, Vizepräsident der jüdischen Studierendenunion, kann wenig überraschen, wie er im Gespräch mit der Journalistin Katharina Teutsch sagte, und doch sei er schockiert gewesen, "dass Menschen nun ihren Hass sehr offen auslebten".
Dem deutschen Kulturbetrieb wurde vorgehalten zum Hamasterror zu schweigen und nicht klar genug, gegen Antisemitismus Position zu beziehen. Diese Zurückhaltung gehört der Vergangenheit an. Der Abend in der Staatsbibliothek war ein weiteres vernehmliches Statement.