Die Handlung spielt im ersten Corona-Lockdown – was macht das mit den Figuren?
Meine Romanfiguren sind wie wir selbst. Auch für sie ist es eine nie dagewesene Situation und sie leben und ermitteln unter ungewöhnlichen Umständen. Mir war sofort klar, dass die Pandemie einen Einschnitt in unsere Gesellschaft und in die Seele eines jeden Einzelnen darstellt. Darum lasse ich meinen Roman in der ersten Woche der Pandemie spielen, als wir alle noch nicht wussten, wie Pandemie "geht". Doch es ist mir wichtig zu sagen, dass "Ostfriesensturm" kein "Corona-Roman" ist, sondern lediglich in der Zeit spielt, was sich auf die Figuren auswirkt. Ihr eigentliches Problem ist aber ein Profikiller.
Über die Figur Niklas Wewes schildern Sie ihre schlimmen Kindheitserfahrungen – warum waren Sie jetzt bereit dazu?
Als meine Eltern noch lebten hätte ich das nicht tun können. Das Schweigegebot und die Angst verraten zu werden haben mich viele Jahre lang belastet. Jetzt war das Schreiben wie ein Befreiungsversuch – und in der Tat – atme ich jetzt freier…
Ist es schwierig sich ein Alter Ego zu erschreiben?
Nein, im Gegenteil. Ich kannte ja seine Gefühle sehr gut. Beim Schreiben haben sie mich trotzdem erschreckt. Als Autor habe ich zum Glück Einfluss auf die Handlung. Ich spiele dann ja Gott. Ich kann die Figuren retten oder vernichten. Damit fertig zu werden ist ein ganz eigener Prozess…
Zurück zu Corona: Hat der Lockdown ihren persönlichen Arbeits-Rhythmus verändert?
Ich war zusammen mit meiner Frau Bettina Göschl auf einer Tournee. Mein Roman "Ostfriesenhölle" war auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste, wir hatten 64 ausverkaufte Veranstaltungen vor uns. Wir waren gut drauf und freuten uns auf die literarisch-musikalischen Krimiabende. Und dann war mit einem Schlag Schluss. Wir haben eine Weile gebraucht, den Schock zu verdauen. Mein Lieblingscafé war geschlossen, da konnte ich also auch nicht mehr schreiben, aber zum Glück habe ich eine schöne Terrasse mit einem Strandkorb. Dort habe ich meinen neuen Roman geschrieben.
Haben Ihnen während des Lockdowns die Touristen als Inspirationsquelle gefehlt?
Im Gegenteil. Ihr Fehlen hat mir ein ganz neues, anderes Ostfriesland gezeigt. Dort, wo vorher Eis schleckende Touristen spazierengingen, eroberten sich Schafe, Wildgänse und Möwen ihr Terrain zurück. Auf langen Radtouren ist mir über Stunden am Deich kein Mensch mehr begegnet. Selbst Ferienwohnungsbesitzer wurden plötzlich illegal. Stützen der Gesellschaft, die für ihre Zweitwohnung Steuern zahlen und sie mit versteuertem Geld erworben haben, mussten plötzlich abreisen oder sich verstecken. Einige wollten nicht in ihre Hotspots zurück, sondern lieber an der Küste bleiben. Man parkte dann sein Auto in der Garage eines Bekannten, Nummernschilder konnten plötzlich verräterisch sein. Freunde gingen für sie einkaufen. Sofort brach das Beste in den Menschen hervor und auch das Schlechteste. Eine gewisse Blockwartmentalität war auch gleich zu spüren. Das alles ist doch eine Steilvorlage für einen Kriminalschriftsteller.
Was können wir als nächstes von Ihnen erwarten – ein neuer Rupert? Wird Corona auch dort ein Bestandteil sein?
Der nächste Roman wird der Abschluss der "Rupert Undercover"-Trilogie (Ostfriesisches Finale). Darin spielt Corona keine Rolle mehr. Meine Romane sind immer klar in Zeit und Raum verortet. Welche politischen Ereignisse uns in Zukunft treiben werden, kann ich ja nicht wissen.
Käme für Sie einmal ein Roman außerhalb des Genres Krimi/Thriller infrage?
Als ich meine Reihe begann, wollte ich ein großes Gesellschaftspanorama schreiben, über unsere Wünsche, Träume, Leidenschaften, Irrtümer und die Grausamkeiten, die wir uns gegenseitig antun. Ich glaube, dass der Kriminalroman der große Gesellschaftsroman von heute ist. Er ermöglicht einen Röntgenblick auf die Gesellschaft und wir blicken in die Abgründe der menschlichen Seele. Das fasziniert mich.