"Wer bin ich?"
Letzte Woche hat sich unser Kolumnist Markus Klose davor gefürchtet, auf der Buchmesse Menschen zu begegnen, die er kennt, aber nicht zuordnen kann. Da ist aber noch eine andere Angst, die ihn und viele andere umtreibt.
Letzte Woche hat sich unser Kolumnist Markus Klose davor gefürchtet, auf der Buchmesse Menschen zu begegnen, die er kennt, aber nicht zuordnen kann. Da ist aber noch eine andere Angst, die ihn und viele andere umtreibt.
Damit meine ich nicht die Angst, dass man wieder mal nicht den Siegerroman des Deutschen Buchpreises gelesen hat. Auch nicht die vor der Suche nach Verlagen, wenn sie ihren Standort verändert haben. Auch nicht die vor tropischer Hitze in der Halle oder eiskaltem Wind draußen auf der Agora.
Nein, ich meine die Angst, erkannt zu werden, ohne dass das jemand zugeben würde. Da triffst du also zufällig auf die Person, mit der du schon so einiges erlebt hast, freust dich, spürst aber schnell, dass diese Person irritiert scheint, dich möglicherweise nicht zuordnen kann. Irgendetwas stimmt zumindest nicht.
Aber wie ansprechen? Du kannst nicht sagen: "Ich merke doch, dass du nicht weißt, wer ich bin, darum sage ich es dir gerne." Zum einen sagst du es nicht gerne, im Gegenteil, du hättest erwartet, dass du wiedererkannt wirst, zum anderen könntest du auch falsch liegen und bist sehr wohl einsortiert. Obwohl schon die Begrüßung so ganz anders als sonst verläuft, hattet ihr euch nicht umarmt? Jetzt ist es aber nur so eine leicht unverbindliche Handschüttelvermeidungsbewegung.
Das folgende Gespräch dann verläuft genauso wenig konkret. Gemeinsame Erinnerungen an selige Zeiten sind Mangelware, du spürst, wie dein Gegenüber gerade verzweifelt darum bemüht ist, weder Du noch Sie zu sagen, du nimmst wahr, wie introvertiert die andere Person wirkt und wie sich der Small Talk weit weniger entspannt entwickelt als sonst.
Du versuchst es mit Hilfskonstruktionen: "Weißt du noch?" fragst du oder im Falle einer Siez-Bekanntschaft formulierst du ein als Kompliment getarntes Kontextangebot: "Ach das ist typisch für Sie". Doch statt des erhofften Eingehens auf deine überaus freundlichen Gesten erlebst du nun eine noch reduziertere Bereitschaft zur Kommunikation, es will einfach nicht funktionieren, das Miteinander.
Dann aber kommt eine dritte Person dazu, nun ist alles gut, denkst du, denn diese kennt euch beide, ihr beide kennt sie, nun werden die Schnittstellen offenbar, nun wird wahrscheinlich dein Name fallen, nun werden die Augen geöffnet werden! Und ja, da kommt er auch, dein Name, beinahe freundschaftlich, die Verbindung ist hergestellt, endlich ist es vorbei, nun wird es persönlich!
Aber: Du siehst die flatternden Augenlider, den dünnen Schweiß auf der Stirn auf der anderen Seite, ganz offensichtlich hilft dein Name nicht weiter, im Gegenteil, die Verwirrung des anderen scheint sogar größer geworden zu sein. War ein abweichender Name erwartet worden? Du kennst das selbst, dass du bei kurzfristigen Namensunsicherheiten den Anfangsbuchstaben zu erraten suchst. War auf ein P oder H gehofft worden, dein Buchstabenensemble passt aber so gar nicht?
Beinahe mitleidig wirst du jetzt. Was wird wohl geschehen? Ein Ohnmachtsanfall wird vorgetäuscht? Hörst du jetzt etwas von einem Anschlusstermin, von dem du genau weißt, dass es ihn nicht gibt? Oder wird dir ein "Sorry!" über die Schulter geflötet, während eine vorbeigehende Person nun offenbar bekannt genug ist, fluchtartig persönlich begrüßt zu werden?
Oder… gab es keinen Grund zur Angst, denn du wirst erkannt? Ach, es wird schon werden. Schöne Messe!