Kurt-Wolff-Preis

Langer Atem, großes Herz

18. März 2022
Nils Kahlefendt

20 Minuten Time-Slot für ein Lebenswerk: Die Verlegerin Antje Kunstmann hat in Leipzig den Kurt-Wolff-Preis erhalten. Laudator Heinrich von Berenberg erklärte, mit welchen Erfolgsgeheimnissen sie dieses Lebenswerk dem „fröhlichen Inferno namens Literaturbetrieb“ abtrotzte.

Wem’s zu wohl ist / der geht nach Gohlis, weiß der Leipziger Volksmund. Und irgendwie ist etwas dran: Wäre der Kurt-Wolff-Preis, wie es sich normalerweise gehört, am Stand „Die Unabhängigen“ in Halle 5 der Leipziger Buchmesse verliehen worden, wäre man vom Messe-Grundrauschen, zu dem gern auch mal ein Trompeten-Solo oder die mikrofonverstärkte Anmoderation eines Kabarettisten gehören, nicht verschont geblieben. Antje Kunstmann und Poetenladen-Verleger Andreas Heidtmann bekamen ihre Schecks über 35.000 und 15.000 Euro im barocken Gohliser Schlösschen, in dessen Saal man bei der Laudatio von Verleger Heinrich von Berenberg die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können. Die einfallende Frühlingssonne färbte das Parkett goldgelb.

Berenberg, der in den 90ern selbst ein paar Jahre im Kunstmann Verlag „aushalf“ (und dabei von der Verlegerin gelernt haben soll, wie das mit der Umsatzsteuer funktioniert), schaffte das Kunststück, der Freundin mit dem langen Atem und dem großen Herzen im vorgegebenen 20-Minuten-Time-Slot einen wunderbaren Kranz zu winden. Und dabei auch ein paar von ihren Erfolgsgeheimnissen zu verraten: Angefangen von der großen personellen Kontinuität des Hauses (während sich das Personalkarussell in der Branche immer schneller dreht, hat Kunstmann davon nie etwas gehalten) über die in Kurt-Wolff-Kreisen bestens bekannte „Querfinanzierung“ (aka „rechte Tasche, linke Tasche“) bis hin zur Küche der Verlegerin, in der Autoren, Übersetzer, ja „komplette Redaktionen von Münchner Tageszeitungen“ und die gesamte Neue Frankfurter Schule sowieso beköstigt und ins Freundschafts-Universum eingesponnen wurden. Berenberg pries sehr zurecht, dass hier eine Verlegerin ausgezeichnet wurde, die der Freundschaft und Solidarität einen zentralen Platz in ihrem Leben eingeräumt hat – so zentral, wie es heute kaum mehr üblich ist. Und er machte, auch das kann man nicht oft genug wiederholen, darauf aufmerksam, dass „alles, was wir in diesem fröhlichen Inferno namens Literaturbetrieb veranstalten, ohne die Mitwirkung der Frauen längst zusammengebrochen und verschwunden wäre“.

Berenberg pries sehr zurecht, dass hier eine Verlegerin ausgezeichnet wurde, die der Freundschaft und Solidarität einen zentralen Platz in ihrem Leben eingeräumt hat – so zentral, wie es heute kaum mehr üblich ist.

 Dass Antje Kunstmann mit dem ein abgeschlossenes Sammelgebebiet assoziierenden Wort „Lebenswerk“ fremdeln muss, ist klar; steuertechnisch passt es dann wieder. Dass in Kunstmanns Bücherregal Kurt Wolffs „Autoren – Bücher – Abenteuer“ neben André Schiffrins „Verlage ohne Verleger“ steht – das Ideal neben der ernüchternden Gegenwart sozusagen, beide bei Wagenbach erhältlich – ist kein Zufall. In Kurt Wolffs Betrachtungen und Erinnerungen findet sich der berühmte Satz: "Man verlegt entweder Bücher, von denen man meint, die Leute sollen sie lesen, oder Bücher, von denen man meint, die Leute wollen sie lesen. Verleger der zweiten Kategorie zählen für uns nicht - nicht wahr?" Kunstmann hält es lieber mit Anton Tschechow. Der dekretierte: „Ich teile alle Bücher in zwei Sorten ein: Solche, die mir gefallen, und solche, die mir nicht gefallen. Ein anderes Kriterium habe ich nicht.“
Wenn Antje Kunstmann mit ihrem Mix aus Ernst und Witz, Politik und Literatur nicht so erfolgreich wäre, hätte sie den Preis womöglich schon viel eher bekommen.

Über den Kurt-Wolff-Preis

Die Verlegerin Antje Kunstmann hat in Leipzig den mit 35.000 Euro dotierten Hauptpreis des Kurt-Wolff-Preises erhalten, der mit 15.000 Euro dotierte  Förderpreis ging an den Leipziger Poetenladen Verlag: Der Verlag demonstriere mit seinem belletristischen Programm „seit fast fünfzehn Jahren […] wie sich die Druckmedien im Zeitalter der Digitalisierung verjüngen lassen“.

Die Auszeichnung wird seit 2001 von der Kurt Wolff Stiftung zur Förderung einer vielfältigen Verlags- und Literaturszene vergeben und würdigt ein Lebenswerk, das Gesamtschaffen oder das vorbildhafte Verlagsprogramm eines deutschen oder in Deutschland ansässigen unabhängigen Verlags.