Technologie

Künstliche Intelligenz – sind wir bereit?

7. März 2024
Kai-Uwe Vogt

Die rasanten Fortschritte der KI-Tools lassen den Atem stocken. Die Zukunft ganzer Branchen wird gerade neu geschrieben. Zwei Fragen drängen sich auf: Wie können wir KI sinnvoll regulieren? Und: Kann die menschliche Intelligenz mit KI Schritt halten?

Mein Freund, die KI? Das disruptive Potenzial von KI-Tools ist gewaltig 

Wir alle erinnern uns noch an das gewaltige Medienecho, als ChatGPT vor einem guten Jahr auf den Markt drängte und einen bis dahin unvorstellbaren Hype auslöste. Künstliche Intelligenzen gab es vorher schon und der Mensch hat sie in Filmen und Literatur sogar verewigt, bevor sie machbar waren. Pygmalion, Star Trek und Terminator lassen grüßen. Für die große Masse wurde mit ChatGT KI nun plötzlich über Nacht real und vor allem: verfügbar – die KI kam ins Wohnzimmer. Es war ein iPhone-Moment. Hier steht die Zukunft.

Neu ist nicht die KI, sondern der Hype

In den Bereichen Podcast und Videobearbeitung, in denen ich mich auch im Nebenberuf bewege, sind KI-Tools seit vielen Jahren etabliert und unverzichtbare Helfer. Empfehlungsalgorithmen, ChatBots, auch sie arbeiten oft auf Grundlage von KI. Übersetzungstools leisten seit Jahren Erstaunliches, oft im positiven Sinne, manchmal auch nicht: Meinem Sohn ist ein schwedisches Buch aus der „Petersson und Findus“-Reihe in die Hände gefallen. Wir haben die Seiten fotografiert und live mit dem Handy über dem Buch übersetzt (mittels Texterkennung, also OCR  - optical character recognition), das Ergebnis haben wir uns direkt vorlesen lassen (Text to speech). Leider hat die KI sich dazu entschieden, Findus ein Wort für Geschlechtsverkehr ausrufen zu lassen, von dem ich mir ziemlich sicher bin, dass ein Kindergartenkind es besser nicht kennen sollte.

Blackbox KI

KI ist also nicht über Nacht erfunden worden. Warum also der Hype? Ich denke, weil ChatGPT etwas Besonderes kann: Unterhaltungen führen. Simulierte Intelligenz. Wer eine kohärente Antwort liefert, muss doch zweifelsohne intelligent sein? Ob die Antwort scheinbar oder nur dem Anschein nach kohärent ist, lässt sich ad hoc nicht immer prüfen. Im Angesicht der Künstlichen Intelligenz werden wir Menschen zu unserem eigenen limitierenden Faktor: Wir halten Papageien für intelligenter als Kraken oder Wale, weil sie uns nachplappern können. Das sagt leider eine ganze Menge über uns aus. Anders gesagt: Wir sind dabei, KI-Tools zu entwickeln, die selbst die Entwickler nicht mehr verstehen können – das nenne ich einen Gamechanger. Ich muss an Google-Entwickler denken, die plötzlich feststellten, dass das Google-Tool „Palm“ sich selbst Bengalisch beigebracht hat – und niemand wusste, warum.

Wunder gibt es jede Woche

Michael Schickerling hat ganz Recht, wenn er vom großen Nutzen von KI-Tools schreibt. ChatGPT und Co. sind Helfer, die schier Unglaubliches leisten können. KI reimt sich auf Magie. Leider hat sich herausgestellt, dass Zaubern härter ist als gedacht. Prompten ist ein hartes Brot und wenn unsere KI-Werkzeuge ihre Magie entfesseln sollen, müssen wir Zauberlehrlinge sie meistern lernen. Wenig hilfreich ist dabei, dass keine Woche vergeht, ohne dass wir mit neuen Wundern konfrontiert werden: Voice cloning, Sprachverbesserung, Lippensynchronisation, virtuelle Hintergrunderweiterung, reimende Chatbots – für mich persönlich noch immer schier unfassbar: Text-to-Video. Die Möglichkeiten scheinen fast grenzenlos zu sein – unmöglich, nicht ins Träumen zu kommen, zu testen, was möglich ist, neue Projekte zu wagen, die vorher nicht machbar waren. Das Chaos zu beherrschen, dass unsere KI-Homunkuli auf unsere Befehle entfesseln, fühlt sich gut an, es befriedigt unseren Spieltrieb und gibt uns das Gefühl, etwas gewonnen zu haben. Wir haben Produkte oder Dienstleistungen erschaffen, die einen Wert haben.

Die Möglichkeiten scheinen fast grenzenlos zu sein – unmöglich, nicht ins Träumen zu kommen, zu testen, was möglich ist, neue Projekte zu wagen, die vorher nicht machbar waren

Wir versinken in der Contentflut

Aber je mehr ich mich mit der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz befasse, desto größer werden meine Bauchschmerzen. Schon heute muss ich LinkedIn öfter frustriert schließen, weil mich viele generische Beiträge nerven – diesen selbsternannten Marketingexperten KI-Tools in die Hand zu geben, ihren Output zu vervielfachen ist wahrlich kein Segen. Overspam – wir versinken im Contentmüll – auch bei einem großen Onlinehändler werden Bücher von KI-generierter Massenware begraben. Vor allem für kleine Verlage, ist es ein Problem, wenn ihre Sichtbarkeit im Netz eingeschränkt wird.

Leider kommt es schlimmer. Es sind nicht nur die erschreckenden Möglichkeiten, die sich auf Feldern der Cyberkriminalität bieten – hat nicht gerade ein chinesischer Industrieller nach einer gefakten Videokonferenz mit seinen Vorgesetzten 23 Millionen Euro an Kriminelle überwiesen? Was KI in den Händen des Militärs oder von Terroristen ausrichten könnte, wollen wir alle uns lieber gar nicht ausmalen. Was mich unmittelbarer umtreibt, ist die Befürchtung, dass KI ganze Berufszweige wie Hörbuchsprecher*innen, Schauspieler*innen, Bühnenbildner*innen, Busfahrer*innen usw. nahezu überflüssig machen wird. Nicht nur die Drehbuchschreiber*innen und Schauspieler*innen in Hollywood haben diese Zukunftsängste in Form von Streiks ausgedrückt, viele Verbände wie der Börsenverein und Übersetzerverbände drängen auf eine Regulierung der KI, auf den Schutz des Urheberrechts und auf eine Beteiligung an Gewinnen, die auch durch ihre oft ungefragt verwendeten „Trainingsdaten“ erwirtschaftet werden.

Auch lästige Arbeiten in Büros werden uns wohl in der Retrospektive weniger lästig erscheinen, wenn die Menschen auf der Straße stehen, deren Jobs wegrationalisiert wurden. Ich gestehe: Als Journalist schwant mir da nicht nur Gutes. Die Gewinne, die durch KI-Anwendungen erwirtschaftet werden, werden vermutlich nicht an die breite Masse ausgeschüttet.

Doch was hilft das Lamentieren? Die KI wird nicht mehr verschwinden. Im Gegensatz zu vielen Unternehmen und Entrepeneur*innen, die im Wettbewerb empfindliche Nachteile haben dürften, wenn es ihre Mitbewerber sind, die innovativere Lösungen, bessere Prozesse, effizienteres Marketing oder niedrigere Preise anbieten – dank KI.

Was hilft das Lamentieren? Die KI wird nicht mehr verschwinden.

„Das Internet wird sich nicht durchsetzen“, hat Hacker-Urgestein Clifford Stoll 1995 prognostiziert. Er hat nicht Recht behalten. Wer wollte heute auf das Internet verzichten oder würde behaupten, die Welt wäre ohne das Internet besser gewesen? Künstliche Intelligenz wird die menschliche Intelligenz nicht überflüssig machen. Wir werden die Künstliche Intelligenz mutmaßlich dazu nutzen, unsere Gesellschaft und unsere Zivilisation weiter zu verändern. Wir dürfen hoffen: zum Besseren. Ein Selbstläufer ist diese Entwicklung nicht. Sie muss reguliert werden.