Neue Kolumne von Hermann Eckel

Standards fördern Innovation – klingt komisch, ist aber so!

13. März 2025
Hermann Eckel

Innovationen und Standards schließen sich aus? Keineswegs - meint Hermann Eckel in seiner neuen Kolumne. Standardisierte Prozesse erleichtern den Alltag und schaffen Raum für Kreativität. Der Börsenverein hilft mit der Taskforce IT-Standards.

Beim Stichwort "Innovation" denken die meisten Menschen sicher an völlig neuartige Produkte, die bis dahin ungeahnte Nutzererfahrungen und Geschäftsmodelle ermöglichen: das iPhone, den Thermomix, ChatGPT u.v.a.m. Der Begriff "Standards" wiederum scheint das genaue Gegenteil hiervon zu repräsentieren, nämlich die alte Welt des Gewohnten und Normierten.

Und doch sind wir gerade in unserer hochtechnisierten Welt, die in den letzten Jahrzehnten in immer schnellerer Folge eine Innovation nach der anderen hervorgebracht hat, von Standards und Normen umgeben, die geradezu Voraussetzung sind für innovative Entwicklungen. Dies trifft besonders auf den digitalen Raum zu: Man denke nur an drahtlosen Musikkonsum via iTunes oder Spotify, der ohne mp3 und Bluetooth nicht denkbar wäre. Ebenso wenig gäbe es etwa E- und Audiobooks oder Online-Datenbanken ohne diverse Standardformate wie ONIX und XML sowie zahllose Netzwerkprotokolle. Ganz abgesehen von Webshops und digitalen Plattformen für Online-Lese-Communities wie #booktok, Lovelybooks oder Mädels, die lesen.

Standards ermöglichen Planungssicherheit

Standards definieren eine gemeinsame Sprache, Schnittstellen und Qualitätsanforderungen, die eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren ermöglichen. Dies reduziert Unsicherheiten und schafft Vertrauen in neue Technologien. Sie ermöglichen Planungssicherheit und Skalierbarkeit, ohne die sich die (meist sehr hohen) Investitionen in innovative Produkte oder Services gar nicht lohnen würden. Wie nervig und teuer dagegen die Änderung von Standards ist, merken auch wir als Endkunden spätestens dann, wenn wir aufgrund eines neuen USB-Standards mal wieder etliche Kabel und Peripheriegeräte austauschen müssen. Standardisierung hilft also auch, dass neue Produkte mit bestehenden Systemen kompatibel sind.

 

Stadards schaffen Raum für Kreativität

Doch Standards spielen noch in einem anderen Sinne eine entscheidende Rolle für die Innovationsentwicklung: Sie schaffen nämlich erst den dafür nötigen Bewegungsspielraum. Denn nur wenn das Kerngeschäft eines Unternehmens mit so wenig Aufwand wie möglich umgesetzt werden kann, bleibt überhaupt Zeit für die kreative Arbeit an Neuem. Routine-Aufgaben sollten daher höchst effizient und das heißt: möglichst standardisiert und automatisiert, abgewickelt werden.

Denn wie sollen Mitarbeitende Zeit finden, kreativ zu werden oder gar in interdisziplinären Projektteams nach allen Regeln der Design-Thinking-Kunst ein neuartiges Produkt zu entwickeln (siehe meine Kolumne zum Thema "Innovation hat Methode") wenn sie schon alle Hände damit zu tun haben, irgendwie ihr Tagesgeschäft zu bewältigen? Weil Kunden- oder Titeldaten immer wieder neu in unterschiedliche Systeme eingegeben werden müssen? Weil mühsam herausgefunden werden muss, wer mit einer bestimmten Autorin zuletzt Kontakt hatte? Weil PR- und Marketing-Materialien immer wieder ad hoc entworfen und individuell per E-Mail verschickt werden? All das aber ist bei vielen Branchenunternehmen leider noch immer die Regel.

Taskforce IT-Standards im Börsenverein

Daher möchte ich an dieser Stelle nachdrücklich Werbung für die Ergebnisse der von Carsten Schwab initiierten Taskforce IT-Standards des Börsenvereins machen: In verschiedenen Arbeitsgruppen haben Expert:innen von Verlagen und Branchendienstleistern ehrenamtlich (!) Standardprozesse für alle Verlagsbereiche definiert – vom Lektorat bis zum Vertrieb. Damit muss künftig nicht mehr für jeden einzelnen Verlag aufs Neue geklärt werden, wie die Prozesse aussehen, die in einer bestimmten Software abgebildet werden müssen. Stattdessen können Software-Dienstleister entlang der Standardprozesse viel schneller und günstiger passende Lösungen für viele Verlage auf einmal entwickeln. Die üblichen hohen Projektkosten für die Implementierung neuer IT-Systeme werden so auf ein Minimum reduziert. (Dieser Ansatz ließe sich übrigens auch auf den Buchhandel übertragen, wenn sich hier ebenfalls eine Gruppe Ehrenamtlicher zusammenschlösse.)

Das kommt vor allem kleineren und mittelständischen Verlagen zugute, die weder die finanziellen noch die personellen Ressourcen für IT-Großprojekte besitzen: Wenn sie die Herausforderungen bei der Einführung dringend benötigter IT-Systeme nicht allein bewältigen müssen, werden sie wirtschaftlich wieder handlungsfähig und erhalten endlich eine realistische Chance, technologisch wenigstens etwas gegenüber großen Verlagen aufzuholen und kreative Geschäftsmodelle zu entwickeln. Große Verlage wiederum können ebenfalls von den Ergebnissen der Taskforce profitieren, indem sie systematisch Teilprozesse innerhalb ihrer Gesamtorganisation entlang der Standardprozesse verbessern.

Einen Wermutstropfen gibt es bei alldem allerdings: Standardisierung bedeutet eben auch, sich von manch liebgewonnenen Gewohnheiten und "Sonderlocken", etwa für bestimmte Autor:innen oder Kund:innen, zu verabschieden. Im Gegenzug lassen sich aber vielfältige Verlagsprozesse – von der Programmplanung und Titelkonzeption bis zur Kalkulation und Honorarabrechnung, von der Marketing- und Vertriebsplanung bis hin zur Lagerhaltung und Personalverwaltung – locker um den Faktor 10 bis 20 beschleunigen, wenn man sie richtig digitalisiert.

Was das gerade für ein kleinere Unternehmen bedeuten kann, lässt sich schön am jungen Eifeler Kraterleuchten-Verlag ablesen: Sven Nieder, dessen Gründer und Verleger und einer der Sprecher der Taskforce IT-Standards, geht regelmäßig mit seinen Autor:innen im Wald wandern, um neue Ideen zu entwickeln. Diese Zeit kann er aber nur investieren, weil er die Prozesse in seinem (noch) kleinen Verlag weitgehend standardisiert und automatisiert hat. Auch sonst macht er vieles anders als andere: So hat er sehr früh verschiedene Imprints mit klaren Profilen für unterschiedliche Programmschwerpunkte und Zielgruppen gegründet und vermarktet etwa unter dem Label Calderan neben Phantastik-Büchern auch Brettspiele – und hat damit ein zweites Standbein im Spielwarenhandel aufgebaut. Clever!

Hermann Eckel

Foto Herrmann Eckel

Hermann Eckel

Nach dem Lehramtsstudium der Germanistik und Geschichte durchlief Hermann Eckel verschiedene Vertriebs­stationen beim Bärenreiter-Verlag und bei Oxford University Press und war von 2010 bis 2016 Managing Director beim Musikverlag Peters. Im Dezember 2017 übernahm er die Geschäfts­leitung bei tolino media und war dort v.a. für den Ausbau der Selfpublishing-Plattform verantwortlich. Seit September 2024 ist Hermann Eckel Chief Digital Officer bei ArchiTangle, einem unabhängigem Buchverlag mit angeschlossenem Tech-Startup. Als Partner des Beraternetzwerks Heinold & Friends begleitet er Unternehmen der Buch- und Druckbranche bei den vielfältigen Aspekten der digitalen, organisatorischen und kulturellen Transformation. Daneben engagiert er sich seit 2019 als Sprecher der IG Digital im Börsenverein.