Offener Brief an die Buchmesse und den italienischen Verlegerverband

"Der 'Störfall Saviano auf der Buchmesse' ist kein isoliertes Vorkommnis"

26. June 2024
von Börsenblatt

Prominente italienische Autor:innen wenden sich in einem offenen Brief an Buchmesse-Direktor Juergen Boos und AIE-Präsident Innocenzo Cipolletta. Sie sehen eine "beunruhigende Einmischung der Politik in die Freiräume der Kultur" und bitten um Möglichkeiten des öffentlichen Austauschs mit deutschen und internationalen Schriftstellern.

Roberto Saviano 

Vor vier Wochen wurde durch die Pressekonferenz zum Gastlandauftritt Italiens auf der Frankfurter Buchmesse bekannt, dass der Schriftsteller Roberto Saviano, der als Mafia-Experte und scharfer Kritiker der Regierung Melonis gilt, nicht auf der offiziellen Gästeliste für Italiens Ehrengastauftritt steht. Für viele italienische Schriftsteller:innen nur ein kleiner Vorfall in einer "Serie unterschiedlich gravierender Fälle von Machtmissbrauch", die man in den letzten zwei Jahren erlebt habe. Die Beziehung zwischen dem italienischen Kulturbetrieb und Italiens Politik wird zunehmend schwieriger.

Jetzt richten sich über 40 Schriftsteller:innen, unter anderem Nicola Lagioia, Dacia Maraini, Melania Mazzucco, Antonio Scurati, Paolo Rumiz und Roberto Saviano, davon einige auch Teil der offiziellen Buchmessedelegation Italiens, an Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, und Innocenzo Cipolletta, Präsident des italienischen Verlegerverbands AIE.

Zunächst betonen die Schriftsteller:innen die große Ehre und die einmalige Chance, die sich durch den Ehrengastauftritt auf der Buchmesse ergibt. Allerdings sieht das italienische Programm nur Dialoge zwischen italienischen Autor:innen vor. "Wir hätten uns gewünscht, mit den Protagonistinnen und Protagonisten der deutschen Verlagswelt zu interagieren, mit Schriftstellerkollegen und -kolleginnen der europäischen und internationalen Szene: gerade in einem Augenblick, indem wir das Bedürfnis haben, uns einer gemeinsamen Kultur zugehörig zu fühlen." So werde sich Italien auf der Messe präsentieren, "als handele es sich um eine Insel", kritisieren sie im offenen Brief.  “Dieser Ansatz stellt nicht nur eine Ausnahme in der Geschichte der jeweils nominierten Gastländer dar, sondern weist auch auf einen gravierenden Mangel einer kulturellen und verlagsorientierten Strategie seitens der von Italien beauftragten 'außerordentlichen Kommission' hin. Nur die Initiative einzelner Autoren, bzw. ihrer deutschen Verleger, wird dieser Selbstbezogenheit zumindest teilweise entgegenwirken.“

Wir hätten uns gewünscht, mit den Protagonistinnen und Protagonisten der deutschen Verlagswelt zu interagieren, mit Schriftstellerkollegen und -kolleginnen der europäischen und internationalen Szene: gerade in einem Augenblick, indem wir das Bedürfnis haben, uns einer gemeinsamen Kultur zugehörig zu fühlen.

Ausschluss Roberto Saviano: ein tiefer Bruch

Kritisiert wird in dem Brief aber vor allem der Ausschluss von Regierungskritiker Roberto Saviano von der offiziellen Delegation. "Ein viel zu auffälliger Ausschluss, als dass er nicht bewusst und vorsätzlich erscheinen musste. Kommissar Mazzas Antwort hierzu hat viele von uns entrüstet und einige der eingeladenen Autoren dazu veranlasst, ihre Teilnahme an der Delegation abzusagen. Noch mehr deprimiert hat uns der linkische Versuch, diese Ausladung mit bürokratischen Gründen zu erklären. Auch wenn die Buchmesse umgehend reagiert und Saviano selbst eingeladen hat, stellte das für viele einen tiefen Bruch dar, der noch lange nachwirken wird."

Ab diesem Zeitpunkt habe man begonnen, sich unter den eingeladenen Autor:innen auszutauschen und den offenen Brief zu verfassen.

Auch wenn die Buchmesse umgehend reagiert und Saviano selbst eingeladen hat, stellte das für viele einen tiefen Bruch dar, der noch lange nachwirken wird

"Zunehmende Einmischung der Politik in die Freiräume der Kultur"

Es liege ihnen viel daran zu betonen, "dass in Italien der 'Störfall Saviano auf der Buchmesse' kein isoliertes Vorkommnis ist. Er gehört zu einer ganzen Serie unterschiedlich gravierender Fälle von Machtmissbrauch, die wir in den letzten zwei Jahren nicht nur miterlebt haben, sondern die sich häufig auch gegen einen von uns gerichtet haben. Insgesamt betrachtet, bezeugen diese Vorfälle die immer stärker zunehmende und beunruhigende Einmischung der Politik in die Freiräume der Kultur. Dieses Eingreifen äußert sich nicht nur in der systematischen Besetzung aller Schlüsselpositionen nach Kriterien der politischen Zugehörigkeit, sondern auch in mehr oder weniger expliziten Formen der Zensur, in persönlichen Angriffen mit dem Ziel der Diskreditierung, und in der Regelmäßigkeit, mit der politische Machthaber über Verleumdungsklagen gegen Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle vorgehen. Wir sind überzeugt, dass das innerhalb Europas inakzeptabel ist und mit einer gesunden Demokratie absolut nicht zu vereinbaren.“

Man sei darüber hinaus besorgt, dass sich die Situation der Kultur in Italien zukünftig auch in anderen Ländern entwickeln könnte.

Die Autor:innen schließen mit der Bitte für italienische Autor:innen Möglichkeiten des öffentlichen Austauschs mit deutschen und internationalen Schriftstellern zu ermöglichen, um diese Themen zu diskutieren "und zwar außerhalb der von der italienischen Kommission für uns vorgesehenen, engen Gesprächsräume.“

Die Frankfurter Buchmesse teilt auf Anfrage mit, dass Juergen Boos und der AIE-Präsident Innocenzo Cipolletta am Dienstag per Mail an die Autorengemeinschaft eine persönliche, sehr wertschätzende Antwort geschrieben haben, bewusst nicht als öffentlichen Brief.