Online goes Offline

In Amazons Berliner Pop-up-Store

23. November 2018
Redaktion Börsenblatt
Gestern öffnete in Berlin Amazons erstes und vorerst einziges Ladengeschäft – als Pop-up-Store neben Apple in prominenter Lage am Kurfürstendamm. Ein Besuchsbericht.

Facebook hat vor ein paar Tagen in neun Kaufhäusern der amerikanischen Macy’s-Gruppe Pop-up-Shops eröffnet. Der größte europäische Online-Händler Mister Spex betreibt schon zehn stationäre Geschäfte – vier bis fünf sollen im kommenden Jahr gelauncht werden. Amazon verkauft in den USA bereits in einer Reihe stationärer Buchhandlungen und hat im vergangenen Jahr für 13,7 Milliarden Dollar die weltgrößte Biomarktkette Whole Foods übernommen. Und gestern wurde in Berlin am Kurfürstendamm Amazons erster Pop-up-Shop in Deutschland eröffnet. Die "Süddeutsche Zeitung" fragt sich deshalb in ihrer heutigen Ausgabe, ob "gerade eines der spannendsten Experimente des Einzelhandels läuft".

Das Kölner EHI Retail Institute hat ermittelt, dass inzwischen 68 der 100 größten Online-Händler in Deutschland auch offline mit stationären Angeboten am Markt sind. Von denen sind aber nur elf als Online-Händler entstanden. Die anderen haben ihre Wurzeln im stationären Einzelhandel. Insofern ist es vermutlich zu früh, von einem nachhaltigen Trend "Online goes offline" zu reden.

Der Handelsverband Deutschland prognostiziert für 2018 einen Einzelhandelsumsatz von über 525 Milliarden Euro. Der Online-Handel wird nach einer Schätzung des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel Deutschland 2018 einen Umsatz in Höhe von 70 Milliarden Euro erreichen – und damit knapp 12 Prozent vom  Gesamtumsatz des Handels in Deutschland – wenn die vorgenannten Zahlen zutreffen. Tendenz von Jahr zu Jahr steigend. Und auch die Begehrlichkeit der Online-Händler, vom Kuchen des stationären Handels mit eignenen offline-Aktivitäten zu naschen, scheint derzeit Fahrt aufzunehmen.

In Amazons Pop-up-Store

Der Andrang hält sich in Grenzen. Während sich heute früh zur Öffnungszeit um 10:00 Uhr vor dem Apple Store am Kurfürstendamm eine etwa 50 Meter lange Schlange gebildet hatte, warteten direkt daneben vor Amazons Pop-up-Store gerade sieben Neugierige auf Einlass. Noch eine knappe Stunde später befanden sich die MitarbeiterInnen von Amazon klar in der Überzahl.

Im September hatte Amazon einen Pop-up-Store in New York eröffnet, am Mittwoch dieser Woche in Madrid. Weitere Shops in Italien, Frankreich und England wurden zeitgleich mit Berlin eröffnet. Amazons Berliner Shop hat noch bis zum nächsten Dienstag geöffnet. Unter dem Motto #HomeOfChristmas präsentiert der Laden etwa 500 von Amazon-Produktexperten ausgewählte Artikel an – nicht zur Mitnahme, im Geschäft gibt es keine Ladenkasse. Die hier präsentierten Artikel können aber per QR-Code schnell über die Amazon-App bestellt werden und landen dann wie gewohnt per DHL beim Kunden.

Neben Produkten von Samsung, Nespresso, Lego, Bauknecht, Warner Brothers, Hewlett Packard, Osram, Philips und anderen globalen Anbietern finden sich auch solche von eher kleinen Produzenten, die man sonst in einem derartigen Umfeld kaum finden wird.

Bücher sind nicht im Überfluss vorhanden. Auf einem Tisch im Obergeschoss liegen fünf Titel aus den Verlagen Aufbau, Bastei Lübbe, Europa und Lonely Planet, im Erdgeschoss kann man ein Buch von Thorbecke und fünf (!) Titel aus dem Haus Herder aufschlagen.

Garniert wird der Store mit Veranstaltungen – von Backstunden über Beauty-Kurse zu Bastel-Sessions und Nespresso-Events. Auch Musikdarbietungen und Lesungen finden sich im Programm. Instagram-Profis und eine Fitness-Influencerin sind ebenfalls an Bord. Für die meisten Veranstaltungen ist eine Online-Registrierung erforderlich. Heute früh jedenfalls gab es noch freie Plätze.

Gestartet ist der doch recht kleine Pop-up-Store mit einem gewaltigen Medien-Echo. Von der "Berliner Abendschau" im rbb-Fernsehen bis hin zu den "Tagesthemen" reicht die Palette der Berichterstattungen. Da liegt der Gedanke nahe, der Store wäre hauptsächlich eingerichtet, um in der Vorweihnachtszeit relativ preiswert ein Millionenpublikum zu erreichen. Amazon-Sprecherin Christine Maukel widerspricht an dieser Stelle: "Dass das Medieninteresse so groß ist hat uns auch tatsächlich überrascht. Um es klar zu sagen, es ist keine PR-Aktion sondern ein Angebot für den Kunden, eine neue Möglichkeit, wie er sich auf Weihnachten einstimmen und auch schon mal die richtigen Geschenkideen sammeln kann."

Ist der Pop-up-Store ein Testballon für spätere Amazon-Läden in Deutschland und anderen europäischen Staaten – nach amerikanischem Vorbild? "Wir wollen erst einmal schauen wie die Kunden darauf reagieren", sagt Christine Maukel. "Wie sie es annehmen, und vor allem wollen wir, dass die Kunden die Produkte auch mal anfassen können."

Die "Berliner Abendschau" hat Ruth Klinkenberg, die Geschäftsführerin der nahe gelegenen Marga Schoeller Bücherstube, auf ihrem Besuch des Shops begleitet. Anschließend resümmiert sie vor der Kamera: "Ich denke auch, das ist ein Test. Aber wenn Amazon selber Läden in den Städten aufmachen sollte, was ja noch gar nicht sicher ist, dann müssen sie sich natürlich der Konkurrenz der erfahrenen, stationären Läden stellen."