Genau genommen müsste von Professional Design Book Publishing die Rede sein, weil es um das Publizieren in Buchform geht; dies würde allerdings das Missverständnis nahelegen, dass sich die folgenden Gedanken aus der Buchform ableiteten, was nicht der Fall ist – sie leiten sich aus dem Design Publishing ab, dem Publizieren im Bereich Architektur und verwandter Gebiete. Um jedenfalls die Formulierungen nicht unnötig zu belasten, ist im Folgenden stattdessen einfach vom ‚Publizieren‘ und vom ‚Architekturbuch‘ die Rede.
Das Publizieren muss digital werden, um zum Arbeitsalltag der Leser gehören zu können
Die in erster Linie angesprochenen Leser gehören zu zwei durch den Beruf definierten Idealtypen: Wissenschaftlern (lernend, lehrend und forschend Arbeitenden) und Praktizierenden (ebenfalls lernend und lehrend sowie angewandt Arbeitenden). In allen Teilen dieser beiden idealtypischen Gruppen arbeiten alle Beteiligten in allen Arbeitsbereichen und in aller Regel digital. Nicht-digitale Medien (wie Zeitschriftenhefte, gedruckte Bücher, belichtete Fotos, ausgedruckte Zeichnungen oder materielle Modelle) haben inzwischen den Charakter spezifischer Aggregatzustände angenommen, die aus dem Digitalen gewonnen und ins Digitale zurückgeführt werden; ein anhaltendes Verweilen im nicht-digitalen Zustand (z. B. beim Betrachten von Abbildungen) würde in den Consumer-, nicht in einen funktionierenden professionellen Lebensbereich gezählt werden. Das Publizieren muss deshalb digital werden, um zum Arbeitsalltag der Leser gehören zu können.
Die digitale Technik kann wesentliche Leistungen des Publizieren nicht erfüllen
Das (ästhetisch, historisch, theoretisch oder auf die Praxis orientierte) Architekturbuch enthält als Buchtyp, im Unterschied zu anderen Fach- und Sachbuchtypen, sowohl im Content wie auch in der Darbietungsform eine starke Gestaltungsebene, in der sich vielfältig der Gestaltungsanspruch der Architektur spiegelt. Selbst wenn die Architektur oder das Buch oder beide diese Gestaltungsdimension minimieren oder beiseite lassen wollten, bliebe das Problem für das Architekturbuch als Typ unvermindert bestehen: Das gedruckte Architekturbuch erbringt gut bekannte und beherrschte Leistungen – kontrollierte Farbwiedergabe, Bild-Text-Interaktionen in der graphisch gestalteten Fläche, Aufgreifen haptischer Qualitäten, übersichtliche Benutzung größerer Text- und Bildmengen u.a. –, die im Digitalen entweder als aufwendige Einzelfälle (z.B. Apps) erbracht werden müssten oder aber auf die gegenwärtig in digitalen Ausgaben verzichtet werden muss. Diese Leistungen sind für das Architekturbuch jedoch unverzichtbar. Deshalb kann die gegenwärtige digitale Technik die Ansprüche, die an es gestellt werden, nicht erfüllen.
Der Publikationstyp Buch passt nicht recht in den digitalen Arbeitsalltag
Als Publikationstyp ist das Buch tendenziell von einigen Eigenarten gekennzeichnet – tendenziell bedeutet, dass bei zunehmendem Verzicht auf diese Eigenarten die Wahl des Buchs als Medium den Sinn verliert und an seine Stelle sinnvoll das Publizieren von kurzen Einzelteilen (letztlich Bestandteilen einer Datenbank, welche Form auch immer diese annimmt) treten sollte. Die hier gemeinten Eigenarten des Buchs gehören alle in den Umkreis von Diskursivität, Komplexität, Werkhaftigkeit (Abgeschlossenheit, Ganzheitlichkeit) und um sie sinnvoll nutzen zu können, muss vergleichsweise viel Aufmerksamkeit (Zeit, Vorbereitung, Konzentration) investiert werden – welche man damit der Teilnahme an Interaktion und Verwertung entzieht. Der Werkcharakter des Buchs – unabhängig ob in gedruckter oder digitaler Darbietungsform – steht dem Interesse an Aktualität, Flexibilität, Schnelligkeit und leichter Zugänglichkeit entgegen.
Das Buch kann sich zunehmend auf seine Kernkompetenzen konzentrieren
Als das Buch das Leitmedium für jegliche Publikation größerer Mengen von Inhalt war, musste es alle möglichen Inhalte aufnehmen und allen möglichen Zielen dienen ungeachtet der Frage, ob es dafür besonders geeignet war. Inzwischen können dank immer vielfältigerer alternativer Publikationsformen Inhalte zunehmend auf andere, in der Sache geeignetere Weisen veröffentlicht werden und im Gegenzug braucht das Buch diverse Hilfsdienstleistungen (z.B. generische Beispielfotos, summarische Zusatzinformationen, Übersichten zu gut bekannten Themen) nicht mehr selbst zu erbringen. Das Buch kann sich daher zunehmend auf seine Kernkompetenzen konzentrieren, die am besten mit dem Begriff der Ganzheitlichkeit von Darstellung bezeichnet würde, wenn er nicht so schwach wäre.
Bücher verlegen wird als Geschäftsmodell zunehmend marginaler
Buchverlage versuchen Teile ihrer Leistungen einzusparen, Teile ihrer Verkäufe jenseits des Buchmarkts und Teile ihrer Einnahmen jenseits des Buchverkaufs zu machen. Auf gut erprobten (z. B. Subventionen, Mengenverkäufe, Auftragsproduktionen) oder sich dynamisch entwickelnden Wegen (z. B. Print-on-Demand) erfolgen diese Versuche innerhalb des bestehenden Geschäftsmodells des Bücherverlegens: der Planung, Finanzierung und Realisierung der Produktion von Büchern auf der Grundlage ihrer anschließenden Verbreitung durch Verkauf. Diese Ausweichversuche innerhalb dieses Geschäftsmodells ändern aber offenkundig nichts daran, dass es zunehmend marginaler wird in dem Sinn, dass die Verbreitung der entstehenden Bücher durch Verkauf abnimmt.
Bücher verlegen ist auch ein Kuratierungsmodell
Bücher verlegen ist nicht nur ein Geschäftsmodell, sondern auch eine Art des Wissensmanagements: ein Modell der Kuratierung von Wissensvermittlung (und vielleicht sogar Wissensschöpfung). Es beruht auf den Checks and Balances der Gewaltenteilung zwischen den am Verlegen beteiligten Kompetenzen (Autorenschaft und/oder Herausgeberschaft, Lektorat/Redaktion/Übersetzung, Graphik Design/Layout, Korrektorat/Indexing, Produktion, Marketing usw.) und erreicht im guten Fall die am besten angemessene Umsetzung (vielleicht sogar Optimierung) der Inhalte und Ziele. Wie wichtig und wirksam dieses Modell ist, lässt sich gut an den (zahlreichen) Fällen erkennen, bei denen es nicht ausreichend zur Anwendung gekommen ist. Die Rolle des Verlags in diesem Kuratierungsmodell geht deutlich über seine Rolle im Geschäftsmodell hinaus, sie umfasst auch Know-how, Standing und intuitives Vertrauen. (Dessen ungeachtet wird bislang die Teilnahme der Beteiligten an diesem Kuratierungsmodell in der Regel durch Kopplung ans Geschäftsmodell gesteuert, d.h. durch die Annahme gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen.)
Das Buch macht ein spezifisches kulturelles Angebot
Wie alle kulturellen Formen enthält auch das Buch über seine Funktionalitäten hinaus ein zweckfreies Moment; das hat es mit der Kunst gemeinsam. Das Buch gewinnt sein zweckfreies Moment aus der Komplexität, die entsteht, wenn es seine vielen unterschiedlichen Seiten in sich einbindet. In der Genese des kulturellen, zweckfreien Moments des Buchs aus seiner Komplexität liegt freilich zugleich eine Quelle von Unvorhersehbarkeit seines Wahrgenommenwerdens und Erfolgs; es ist dies die ihm eigene Spielart der Offenheit des Kunstwerks. An diese Art der Offenheit des Buchs können Hoffnungen und Erwartungen aller am Buch Beteiligten in besonders hohem Maß ankoppeln. Als Gegengewicht zu dieser spezifischen Art von Unsicherheit greift die kulturelle Tiefe des Buchs als Publikationstyp an; aus der Reibung zwischen jedem (auch noch so standardisierten oder experimentellen) Einzelfall und der Gegenwärtigkeit des Typus entsteht Stabilität. In dem Wechselspiel zwischen Offenheit durch Komplexität einerseits mit Stabilisierung durch Konvention andererseits besteht das buchspezifische Angebot von kulturellem Überschuss.
In dieser Situation können Buchverlage und –leser auf das gedruckte Buch nicht verzichten
Sie können natürlich das Buchverlegen als Geschäfts- und Kuratierungsmodell verlassen bzw. das Arbeiten mit dem Buch als entfaltetem werkhaftem Publikationstyp reduzieren; ersteres geschieht zum Beispiel im Bereich des Open Access Publishing, letzteres in der täglichen Arbeitspraxis der potenziellen Leser. Jedoch erscheint für Architekturbuchverlage der Wechsel in andere Geschäfts- und Kuratierungsmodelle nicht sinnvoll, bzw. wird von den Autoren und Trägern des Buchs und ebenso vom Zielpublikum die Arbeit mit dem Publikationstyp Buch weiterhin gewünscht. Institutionen, Buchverlage und -leser können auf die Arbeit mit den Leistungen des gedruckten Buchs nicht verzichten. Die Gefahr besteht allerdings darin, dass sie sich zunehmend dazu gedrängt sehen könnten, dies dennoch zu tun.
Ebensowenig können Buchverlage und -leser auf das digitale Buch verzichten
Dies führt auf Seiten der Verlage dazu, dass sie verschiedene Arten von digitalen Ausgaben anbieten, die aber oft an Mängeln an Zugänglichkeit, Benutzbarkeit, Qualität und/oder Preis-Leistungs-Verhältnis leiden. Für die Autoren würde die Beschränkung auf digitale Bücher den Verzicht auf ein überzeugendes Publikationsmodell bedeuten und potenzielle Leser würden sich vor die schlechte Wahl gestellt sehen, entweder digital, aber dann eher nicht mit dem Buch, oder mit dem Buch, aber dann eher nicht digital zu arbeiten.
In dieser Situation braucht es ein Modell des gleichberechtigten Publizierens in Print und Digital
Wir können nicht auf Veränderungen in den Technologien, auf den Buchmärkten oder bei den Verhaltensweisen der Leser warten, die ein Vorwärts zum vollständig digitalen Publizieren (oder ein überzeugendes Verbleiben beim Publizieren als Print) erlauben würden. Ebensowenig kann sinnvoll erwartet werden, dass die real existierenden großen Schwierigkeiten beim Verlegen von Print und von Digital ausgeschaltet werden könnten. Sondern sinnvoll vorstellbar und anzustreben wäre ein Modell, das die Bedürfnisse, Umstände und Intentionen der am Buch Beteiligten möglichst bewusst, möglichst überzeugend und möglichst transparent aufnimmt, miteinander ins Verhältnis setzt – und darin die Schwierigkeiten, im besten Fall, aufhebt. Perspektive eines solchen Modells ist das gleichberechtigte Publizieren in Print und Digital.
Leitlinien des Publizierens in DigitalIn der geschilderten widersprüchlichen Situation gilt es ein neues Modell zu entwickeln. Die Modellhaftigkeit des Vorgehens verlangt und erlaubt es, wesentliche Orientierungsmarken deutlich hervorzuheben:
- Auch in Digital wenden sich die Verlage aus der Position ihrer Unabhängigkeit an die allgemeine Öffentlichkeit und schränken sich nicht auf die für Digital gegenwärtig herrschenden proprietären Vertriebswege ein.
- Die Verlage nehmen auch unter digitalen Bedingungen die Rechte ihrer Autoren wahr und schützen sie durch Digital Rights Management.
- Die Publikation in Digital hat zum obersten Ziel die selbstverständliche Benutzung der Inhalte unter den heutigen Arbeitsbedingungen der Leser.
- Die Publikation in Digital ist weder ein neues Geschäftsfeld noch eine Alternative zu Print, sondern sie ist an der Seite von Print der andere Bestandteil einer jeder Publikation.
Reflowable EPUB für Computer und Tablet/Smartphone als digitales Leitformat
Die digitale Leitausgabe ist im Rahmen des hier angedachten Modells am besten als reflowable EPUB für Computer und Tablet/Smartphone vorstellbar:
- also in dem offenen Ebook-Format, das nicht den Bedingungen der herrschenden Digitalbuchverkäufer unterliegt (Ausgaben in deren Formaten wären nicht ausgeschlossen, hätten aber keine Priorität);
- also mit automatischer Anpassung der Darstellung an die Formate der Wiedergabegeräte, im Sinn einer selbstverständlichen Benutzung;
- also weder als fixed-layout EPUB noch als PDF, weil diese beiden Formate Nischen sind, die nicht den gewöhnlichen elektronischen Benutzungsformen der Leser entsprechen;
- also nicht für Ebook-Reader, aus demselben Grund;
- also nicht in individueller Programmierung (Apps), sondern in einem unaufwendig verwendbaren Standard;
- also nicht in Internet-gestützten Formaten (Webbooks), weil sich diese Verbindungen von Buch und Datenbank noch in einem frühen Entwicklungsstadium befinden;
- also unter bewusstem Inkaufnehmen der engen Grenzen der Darstellungsmöglichkeiten des EPUB-Formats, insbesondere des Verzichts auf Layoutgestaltung – indem diese Beschränkung im Gesamtmodell aufgefangen wird:
Leitgedanken einer Strategie Print und Digital
Normalfall entsprechend diesem Modell wäre die Publikation eines Titels in Print und Digital: zwei zusammengehörige Ausgaben als ein Objekt zu einem Preis – welcher im Prinzip dem bisherigen Preis einer Printausgabe entsprechen sollte.
Je nach Buchtyp und Intention kann der Primat auf der Print- oder der Digitaldarbietung liegen; selbst bei extremer Bevorzugung einer der beiden Ausgaben müsste nicht auf die andere Form verzichtet werden.
Dies wäre so auf der jeweiligen verlagseigenen Plattform zu kaufen; auf anderen Vertriebswegen würde mit der Printausgabe (auf möglichst elegante Weise) ein Zugangscode erworben. (Ob als nachrangiges Angebot die Digitalausgabe auch einzeln käuflich sein sollte, könnte opportunistisch entschieden werden.)
Durch die Verankerung der Digitalausgabe auf der Plattform des jeweiligen Verlags und die damit einhergehende Anbindung der Leser entsteht die Möglichkeit einer direkten Verbindung zwischen Autoren, Lesern und Verlag im Sinn einer Communitybildung – einer der wesentlichen Vorteile digitalen Publizierens.
Durch die hier gedachte Modellhaftigkeit des Vorgehens bleibt Verlagen und Autoren die Option offen, Titel auf konventionelle Weise zu publizieren, und sollte zugleich aber ein Anreiz für die Autoren entstehen, ihr Buch im Rahmen und mit den Möglichkeiten dieses Modells zu publizieren.
Die Graphikerin Miriam Bussmann, der Vertriebsexperte Martin Wichert, der Verleger Sven Fund und der Architekt Eric Zapel haben die Entstehung dieser Überlegungen förderlich und kritisch begleitet.