Neuer Trend im Self Publishing?

Amazon geht Indie-Autoren ans Geld – Chance für Tolino?

20. August 2017
Redaktion Börsenblatt
Amazon und Self Publisher, das war viele Jahre lang eine beidseitige Liebesgeschichte. Doch wie so häufig zieht Amazon nun auch an dieser Front die Daumenschrauben an und nimmt den Indie-Autoren Schritt für Schritt ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage. Inzwischen wird vielfach laut über eine Abwanderung nachgedacht. Profitieren könnten die Tolino-Allianz und ihre Kunden – wenn die Rahmenbedingungen für die Top-Autoren stimmen.

Günstige Indie-Titel großes Plus im Kindle-Kosmos

Die Kindle-Plattform ist bei Digital-Lesern auch darum so beliebt, weil es nirgendwo ein vergleichbares Angebot an günstigen Self-Publisher-Titeln gibt, die sich in der Spitze qualitativ keinesfalls hinter Verlagstiteln zu verstecken haben. Fast alle große Namen im Indie-Bereich publizieren zumindest ihre Neuerscheinungen ausschließlich bei Amazon – weil es schlichtweg am Lukrativsten ist. Für Indie-Autoren gibt es viele gute Gründe, ihre Romane beim KDP-Select-Programm einzuschreiben und damit exklusiv bei Amazon zu verkaufen. Neben Bonus-Ausschüttungen für besonders viel gelesene KDP-Autoren ist das vor allem die Teilnahme an der eBook Flatrate Kindle Unlimited, die eine Teilnahme an KDP Select erfordert. Ausleihen bescheren Indie-Autoren einen zusätzlichen Geldsegen und vor allem den Titeln verbesserte Rankings auf Amazon.de, wo eine Ausleihe wie ein Verkauf gewertet wird. Diese erhöhte Sichtbarkeit hat massiv indirekte Verkäufe zur Folge. In der Konsequenz dominieren Kindle-Unlimited-Titel die Kindle Charts; der bestplatzierte Roman, der nicht Teil der eBook Flatrate ist, ist in diesem Moment der aktuell preisreduzierte Fitzek-Thriller Noah – auf Platz 35 der Kindle Charts.

Kindle-Exklusivität für Top-Autoren wirtschaftlich alternativlos - bis jetzt

Für Indie-Autoren war eine exklusive Bindung an Amazon darum lange Zeit wirtschaftlich alternativlos. Über andere Händler erzielte Umsätze glichen bislang in den seltensten Fällen die Umsatz-Verluste aus, die sich aus einer nicht-exklusiven Listung bei Amazon ergaben. Bis jetzt. Denn Schritt für Schritt beschneidet Amazon die Umsätze »seiner« Indie-Autoren.

  • die hauseigene Verlagssparte Amazon Publishing wird sukzessive ausgebaut, im Februar dieses Jahres kam mit Tinte & Feder das inzwischen fünfte Imprint hinzu. Amazon pusht die eigenen Verlagstitel massiv auf der eigenen Plattform, etwa mit großflächig beworbenen Aktionsangeboten – preisreduzierte eBooks stellen auch für Indie-Autoren seit jeher ein wichtiges Marketing-Instrument dar. Die Amazon-Titel konkurrieren hier preislich und bei der Zielgruppe direkt mit Indie-Autoren, denen Sichtbarkeit, Chart-Positionen und in der Konsequenz Umsätze genommen werden.
  • seit Ende Juni haben die rund 12 Millionen deutschen Amazon Prime Kunden mehrere Hundert rotierende eBooks in ihrem Abonnement inklusive. »Prime Reading« wirbelte die Kindle Charts zum Start massiv durcheinander, zeitweise bestand die komplette Top 10 aus Amazon-Prime-Inklusivtiteln. Die Prime-Reading-Titel sind eine Mischung aus Amazon-Verlagstiteln, Publikationen anderer Romane sowie von Indie-Autoren, die pro Titel pauschal entlohnt wurden. Während einzelne Autoren mit Prime Reading also durchaus zusätzliche Umsätze erzielen – solange es sich um ältere Bücher handelt, die sich zuletzt ohnehin nicht mehr verkauft haben –, spürte das Gros der Autoren einen Rückgang sowohl der Verkäufe als auch der Ausleihen.
  • die Einnahmen von Indie-Autoren aus Kindle Unlimited sind seit Jahren rückläufig und haben im Juli 2017 einen neuen Tiefstwert erreicht. Wie das Fachblog Self Publisher Bibel errechnete, wurde eine im Rahmen der Flatrate gelesene Seite im Vormonat in Deutschland mit nur noch 0,275 Cent vergütet. Ein komplett gelesener 200 Seiten starker Roman brachte somit gerade einmal 0,55 Euro ein. Zum Vergleich: Zum Start von Kindle Unlimited im September 2014 waren es ziemlich genau dreimal so viel (1,62 Euro).

Die Kombination dieser Entwicklungen führt dazu, dass inzwischen auch prominente Indie-Autoren in persönlichen Gesprächen und Facebook-Autorengruppen offen mit einer Abwanderung kokettieren. Die Self Publisher Bibel hat in dieser Woche sogar einen Rechner bereitgestellt, mit dem sich Autoren ihre Umsatzverluste durch einen Verzicht auf Kindle-Exklusivität ausrechnen können und der auch Ranking-Verluste durch eine Kindle-Unlimited-Abstinenz beinhaltet.

Tolino muss Wechsel attraktiv machen

Ob es tatsächlich dazu kommt, dass Neuerscheinungen von Top-Indie-Autoren künftig auch bei Thalia, Weltbild & Co zu haben sind, hängt allein von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Denn gerade die besonders erfolgreichen Self Publisher, die von ihrer Schreibarbeit schon leben können oder auf dem Weg dorthin sind, werden sehr genau kalkulieren, ob sich eine Abkehr von der Kindle-Exklusivität für sie lohnt. Das wird vor allem dann der Fall sein, wenn beliebte Self-Publisher-Titel endlich auch bei den großen epub-Händlern prominent und gleichberechtigt mit vielversprechenden Verlagstiteln gelistet sind. Eine eBook Flatrate im Tolino-Ökosystem, egal ob ein »Tolino Unlimited« oder als Kooperation mit Skoobe, sowie Top-Autoren-Fördertöpfe analog zu Amazon (AllStar-Boni) wären ebenfalls starke wirtschaftliche Argumente für Indie-Autoren, eine Öffnung in Betracht zu ziehen. Lesefreunde mit Tolino, die die neuen Romane von Poppy J. Anderson & Co. aktuell nur über Umwege (Kindle-App, Konvertierung, Print-Kauf) schmökern können, würden es den Händlern danken.