Verleger wissenschaftlicher Zeitschriften haben keine leichten Zeiten, es stellt sich ob der Herausforderungen hartnäckige Schlaflosigkeit ein. Und während man vor wenigen Jahren noch mitleidsvolle Blicke erntete, stellte man den Schlachtruf »Content is King« in Frage, ist mittlerweile von den meisten akzeptiert, dass Inhalte immer stärker zulasten von Services ins Hintertreffen geraten. Branchengrößen wie der britische Strategieberater David Worlock konnte beim Publishers’ Forum in Berlin im April unwidersprochen sagen, Inhalte würden mehr und mehr zur »commodity«. Die Musik der Zukunftsinvestitionen spielt längst woanders als im Kauf von Zeitschriften- und Buchinhalten.
Verlegen, wissenschaftliches zumal, war über Jahrzehnte die sehr auskömmliche Verwaltung von kleinen Monopolen. Bibliotheken und Wissenschaftler können und wollen häufig nicht irgendeinen Inhalt irgendwo lesen, sondern kehren zu den Leitmedien ihrer jeweiligen Disziplin zurück – sie vertrauen ihnen als Autoren wie als Leser und Kunden. Diese Treue hat Verlagen, insbesondere den größten unter ihnen, lange Traumrenditen gewährleistet. Und selbst das Aufkommen von Open Access, auch als kostenlose Parallelversionen, tat dem über die letzten zwei Dekaden keinen Abbruch.
Der Grund liegt auf der Hand: Verlage sind auch in der digitalen Welt hervorragend organisiert und stellen sicher, dass ihre Inhalte leicht auffindbar sind. Repositorien für digitale Inhalte von Hochschulen und Bibliotheken hingegen eignen sich hingegen eher als Friedhöfe ungelesener Bücher und Zeitschriftenartikel denn als die große Bühne für Forschungsergebnisse. Und bei allen Fortschritten im Open Access profitierten die Inhalte in mächtigen und gut vertriebenen Verlagsplattformen massiv von der Vertriebsstärke der großen Verlage und Händler.
Damit dürfte es jetzt ein Ende haben. Das Anfang April 2017 gestartete Unternehmen Unpaywall (unpaywall.org) hat sich zum Ziel gesetzt, legale Open Access-Versionen von Bezahlinhalten zu identifizieren. Mittels eines einfach zu installierenden, kostenlosen Plugins prallen Suchen von Wissenschaftlern nicht gegen die Zahlschranke, sondern werden an der Paywall vorbei auf die Open Access-Version umgeleitet. Erforderlich: Lediglich ein Browser der Marken Chrome oder Firefox.
Verschiedene andere Anbieter, beispielsweise DOAI (http://doai.io), leisten einen ähnlichen Service, sind allerdings weniger komfortabel. Hier muss der Nutzer die Benennung des Digital Object Identifiers (DOI) händisch »umleiten«. Die Sprengkraft von Unpaywall hingegen ist offensichtlich. Hoher Komfort für den Benutzer durch nahtlose Integration in den Browser, mächtige Technologie, hohes Einsparpotenzial: Ideale Voraussetzungen für Disruption. Und Forscher können es guten Gewissens, ohne Verstoß gegen das Urheberrecht, nutzen. Es ist leicht vorherzusagen, dass es künftig eine Vielzahl solcher Services geben wird. Die kämpferischen Zeiten des Open Access sind vorbei – was die Situation für Wissenschaftsverlage leider kein bisschen komfortabler macht.
Denn die Konsequenzen sind gravierend: Sind wissenschaftliche Zeitschriften bisher die Garanten hoher Profitmargen im Portfolio der Verlage, ist ihr Stern nun im Sinken begriffen. Selbst einzelne Artikel, die bisher für Bibliotheken kaum erschließbar und für Wissenschaftler erst recht nicht auffindbar waren, erscheinen nun transparent, die Zeitschrift als wirtschaftliche Einheit wird löchrig wie ein Schweizer Käse. Es ist absehbar, was das für die Werthaltigkeit von Zeitschriften insgesamt bedeutet.
Aber auch Bibliotheken geraten durch dieses kleine Plugin unter Legitimationsdruck, zumindest im Bereich der digitalen Inhalte. Die Breite des Angebots und das Maß an Transparenz, das durch Unpaywall geschaffen wird, dürfte weltweit über jeden Bibliothekskatalog hinausgehen. Statt Beklagen und juristischer Klagen sollten die Wissenschaftsverlage verstehen, was gerade passiert, unabhängig davon, ob sie die Entwicklung für wünschenswert halten: Zugang und Services direkt an der Schnittstelle zu Forscherinnen und Forschern gewinnen an Bedeutung und an Wert, Inhalte, die nicht integriert sind und hinter Zahlbarrieren ihr Dasein fristen, verlieren an Relevanz. Was tun? Kooperieren mit Innovatoren – und das eigene Geschäftsmodell vom Wissenschaftler aus neu denken.