Toniebox-Erfinder Patric Faßbender im Interview

“Wir sind total überrannt worden”

6. Februar 2018
Redaktion Börsenblatt

Unsere Tonieboxen sind leider ausverkauft: Im Weihnachtsgeschäft mussten viele Händler ihre Kunden vertrösten, die auf der Suche nach einem Hörwürfel waren. Toniebox-Erfinder Patric Faßbender spricht im Interview über den Engpass und über künftige Pläne.

Ausgerechnet im Weihnachtsgeschäft gab es einen Engpass mit Tonieboxen und einige lange Gesichter bei Kunden und Händlern. Auch bei meiner kleinen Nichte. Wie konnte das passieren?

Dazu muss ich weiter ausholen: Anfang 2017 bis in den Sommer haben wir mit permanenter Planung verbracht und uns permanent mit der Frage beschäftigt: Wie viele Boxen können wir verkaufen? In Gesprächen mit unseren Key Accountern haben wir diese Zahl immer wieder nach oben angepasst. 70.000 empfanden wir am Anfang des Jahres als eher optimistische Planung. Man darf nicht vergessen: Vor allem bei neuen, innovativen Produkten wie unserem besteht ein hohes unternehmerisches Risiko: Man muss im Mai ordern, ohne zu wissen, was man am Ende verkaufen wird und alles vorfinanzieren. Wir sind stark ins Risiko gegangen, da wir natürlich an unser Produkt glauben, aber es gibt selbstverständlich auch einen Grenzbereich! Wahrscheinlich waren nicht nur wir, sondern auch alle Händler, davon überrascht, wie extrem nachgefragt die Toniebox im Weihnachtsgeschäft war. Das ist toll, konnte man aber in dieser Form wirklich nicht antizipieren.

Konnten Sie trotzdem ein paar Tage ausspannen?
Weihnachten war im Übrigen in der Tat relativ entspannt ... wenngleich es natürlich nicht leicht fällt, einmal komplett abzuschalten. Dafür ist unsere Entwicklung im Moment viel zu dynamisch. Sicherlich wäre es ganz gut, ein paar Tage Abstand zu finden, aber irgendwie möchte man das auch gar nicht, weil die Tonies einfach viel zu viel Spaß machen. Einen großartigen Job hat über Weihnachten unser Customer-Care-Team gemacht, die rund um die Uhr Anfragen unserer Kunden beantwortet haben ... großartig!

Wie genau konnte es zum Engpass kommen?
Nach einem sehr erfolgreichen Ostergeschäft haben wir die Zahlen noch einmal deutlich nach oben angepasst. Ab Anfang Oktober ist die Nachfrage dann plötzlich explodiert Da wir aber für die Tonieboxen eine Vorlaufzeit von ca. 16 Wochen haben, gibt es ab einem gewissen Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr die Produktionszahlen stark nach oben anzupassen. Wir haben alles Mögliche getan, um die Situation wenigstens noch ein wenig zu verbessern. Zum einen haben wir zeitkritische Komponenten auf dem „Spotmarket“ teuer eingekauft, um höhere Stückzahlen herzustellen. Zum anderen haben wir zugunsten des Handels über unseren eigenen Online-Shop bereits vier Wochen vor Weihnachten keine Tonieboxen mehr verkauft, als auch unseren eigenen Amazon-Marketplace leerm laufen lassen. Ebenfalls haben wir so viel wie möglich via Luftfracht transportiert, um die Lieferzeiten deutlich zu verkürzen. Aber wie gesagt, es gibt Grenzen des Machbaren. Ein Buchhändler berichtete uns, dass dessen Telefon nicht mehr stillstand, nachdem auf Facebook die Runde machte, dass er noch über eine hellblaue Toniebox verfügt. Das veranschaulicht ganz schön, wie nachgefragt unser Produkt im Moment ist. Bereits im Weihnachtsgeschäft haben wir reagiert und die Planungen für 2018 noch einmal angepasst, in einigen Wochen haben wir den Rückstand endlich aufgeholt.

Wo produzieren Sie die Boxen?
Den Stoff wird für uns in Weißbach maßgefertigt und als Meterware nach Tunesien verschifft und dort genäht. Von dort geht es weiter nach China, wo unser Produktionspartner die Elektronik fertigt und die Toniebox komplett montiert. Als fertig verpacktes Starterset wird sie dann nach Deutschland in unser Lager versandt.

Wie viele Hörwürfel hätten Sie mehr verkaufen können?
Wir haben vergangenes Jahr 148.000 Tonieboxen verkauft und hätten locker 30.000 mehr verkaufen können. Nicht nur dem Handel, auch uns ist so natürlich einiger Umsatz verloren gegangen. Bei allem Ärger zum Thema Warenverfügbarkeit ist es für uns natürlich trotzdem ein Riesenerfolg. Wir haben nahezu jede Toniebox durchverkauft ... einfach unglaublich! Von den Tonies haben wir 1,2 Millionen verkaufen können, auch das eine unfassbare Zahl in unserem ersten Jahr am Markt!

Seit unserem Besuch im Frühjahr 2016 ist auch personell viel passiert. Wie schnell können Sie wachsen?
Ja, in der Tat ist unglaublich viel passiert. Genau vor einem Jahr haben wir größere Räume bezogen. Zum Glück haben wir die alten Räume nicht wegbekommen, denn nun sitzen dort schon wieder zwölf Mitarbeiter. Allein im Back Office arbeiten inzwischen fünf Mitarbeiter, um die Anfragen von Händlern und Aufträge zu bearbeiten. Aktuell zählt unser Team 50 Mitarbeiter,  dieses Jahr werden wir wohl um 20 weitere Mitarbeiter wachsen. Dabei legen wir großen Wert darauf, den Spirit und die Leidenschaft der Tonies beizubehalten. Wir haben ein phantastisches Team, welches wir mit Bedacht um weitere Mitarbeiter ergänzen und ausbauen wollen und müssen. Wir haben ja noch viel vor! Und ein weiterer Umzug scheint unumgänglich.

Haben Sie schon einmal einen Umzug nach Berlin oder München erwogen?
Nein! Wir wollen in Düsseldorf bleiben. Hier sind wir schließlich verwurzelt, unsere Kinder gehen hier zur Schule und wir fühlen uns wohl hier. Mit so vielen Mitarbeitern kann man nicht einfach sein Unternehmen verpflanzen, das hätte fatale Folgen. Gleichzeitig ist Düsseldorf durchaus ein attraktiver Standort, wie wir auch im Recruiting merken. Wir fahren gerne weiterhin von Düsseldorf nach Berlin, München oder Hamburg, um dort unsere tollen Lizenzpartner zu treffen, aber unser „Zuhause“ ist Düsseldorf. 

Welche Signale und Wünsche aus dem Handel fließen in Produktentwicklung ein?
Viele, nicht nur was Ideen für neue Tonies angeht! Gerade für die Präsentation gibt es viele Ideen, die wir gerne aufnehmen. Wir haben z.B. Möbel von Werkhaus, welche wir auf das Feedback vom Handel hin angepasst haben. Aber hier arbeiten wir natürlich permanent an weiteren Lösungen. Gerade das PoS-Thema wird in 2018 ein sehr wichtiges für uns sein. Grundsätzlich ist das Feedback aus dem Handel sehr positiv, am meisten freut uns zu hören, dass wir für zusätzlichen Umsatz gesorgt haben, weil die Tonies ganz neue Kunden in die Buchhandlung gebracht haben, die dann nicht nur Tonies kauften.

 

Was kommt in diesem Jahr?
Wir oben beschrieben haben wir uns das Thema POS auf die Agenda geschrieben: Wie können wir besser kategorisieren? Zum Beispiel nach Altersgruppen oder nach Themenschwerpunkten, z.B. der Bereich Musik, der am Anfang gar nicht im Fokus stand, läuft wahnsinnig gut, auch der Bereich Wissen entwickelt sich stark. Unser Sortiment wird immer breiter, darum machen wir uns zunehmend auch kanalspezifisch Gedanken: Lösungen für den Buchhandel müssen vielleicht anders aussehen als für den Spielwarenhandel, weil dort auch andere Tonies gefragt werden. Darüber hinaus müssen wir unsere internen Prozesse und Strukturen dem extremen Wachstum anpassen. Daran arbeiten wir bereits seit einigen Monaten sehr intensiv und es fängt deutlich an Früchte zu tragen.  Auch auf Produktebene haben wir einiges vor, aber es ist zu früh um darüber zu sprechen.

Welche neuen Tonies sind in der Mache?
70 – 90 Tonies kommen dieses Jahr in den Handel, auch von den Buchhändlern gab es einige Wünsche, die wir erfüllen konnten: Im Frühjahr wird es weitere Preußler-Titel geben, z.B. “Der Kleine Wassermann”, es kommt “Der kleine Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat”, “Leo Lausemaus” und zwei Märchensammlungen mit jeweils fünf Märchen auf einem Tonie. Es werden viele neue Themen auf die Toniebox kommen, was dafür sorgt, dass unsere Kunden immer wieder tolle Tonies sehen werden, die sie begeistern werden!

Dafür, dass Sie nicht an den Großhandel ausliefern, sondern mit dem Einzelhandel arbeiten, gibt es von Händlerseite großes Lob. Trotzdem gibt es auf Amazon Fake-Accounts, die derzeit die Boxen für viel Geld verscherbeln …
Als die Verknappung einsetzte, haben auch die Preise dieser dubiosen Shops angezogen. Noch ärgerlicher finden wir, wenn unsere Produkte dort verramscht werden. In unserem eigenen Onlineshop sind wir natürlich preisstabil und verkaufen zum UVP. Nicht nur dem Händler tut diese Ramscherei im Netz weh, uns ebenso! Wir sitzen schließlich im selben Boot. Wir kennen das Problem, auf dass uns auch die Händler aufmerksam machen, leider sind uns in den meisten Fällen die Hände gebunden, wir können schließlich keine Preise bestimmen …

Ist das Thema Erwachsenenbox noch ein Thema?
Ja, und ein spannendes! Gerade für pflegebedürftige Menschen oder Menschen mit Handicap sehen wir Vorteile. Das bekommen wir auch immer wieder gespiegelt. Wir haben natürlich viele Überlegungen uns Konzepte zu diesem Thema, aber es ist noch nichts wirklich spruchreif. Daher bitte ich hier um ein wenig Geduld. 

Die Tonies in Zahlen

2017 hat das Unternehmen Boxine mehr als 1,2 Millionen Tonies und rund 148 000 Tonieboxen verkauft – vor allem über den Buch- und Spielwarenhandel. 2018 sollen bis zu 90 neue Hörfiguren in den Handel kommen. Neben klassischen Kinderhörbuch-Tonies gibt es auch Wissens-Tonies (»Was ist Was«), Musik-Tonies und Kreativ-Tonies für eigene Inhalte.