Die Ankündigung für Ihre neue E-Book-Plattform, Sobooks, klingt vollmundig: Sie wollen das E-Book so weiterentwickeln, wie es dem Zeitalter des Internets angemessen ist. Geht es nicht etwas kleiner?
Man braucht ein bisschen Größenwahn. Mit Sobooks werden wir versuchen, den E-Book-Markt neu aufzurollen. Wir wollen das mit Autoren, Verlegern und Agenten tun, vor allem aber nicht gegen die Leser und Nutzer. Das E-Book, wie wir es jetzt kennen, ist das, was die Digitalisierung mit dem Buch gemacht hat. Uns interessiert, was das Internet und die sozialen Medien mit dem Buch tun. Wir versuchen deshalb, eine neue Form von E-Book zu finden, die der digitalen Vernetzung angemessen ist.
Was heißt das konkret?
Konkret bedeutet das: Sobooks findet komplett im Browser statt. Wir glauben nicht an zusätzliche Geräte. Reine E-Book-Reader werden sich eher in einer Nische wiederfinden. Die Zukunft gehört Geräten, mit denen man im Internet rumstromern kann.
Reader haben sich rasant verbreitet.
Die letzten Zahlen aus den USA belegen, dass Reader auf dem absteigenden Ast sind. Ihr größter Nachteil ist, dass sie auf ein ganz und gar geschlossenes Konzept setzen. Amazon kontrolliert von vorn bis hinten, was auf den Kindle kommt und was nicht. Ich glaube, dass offenere Konzepte sinnvoller sind; und damit meine ich explizit nicht, dass man alles herschenken soll. Es gibt intelligente Konzepte, die nicht so durchkontrolliert sind, wie Amazon das praktiziert. Wir haben Sobooks gegründet, um ein offenes, internetaffines Konzept in die Welt zu stemmen.
Wodurch zeichnet sich das von Ihnen propagierte offene System aus?
Sobooks steht für Social Books. Wir glauben, dass das die nächste Entwicklungsstufe darstellt. Und „offenes System" bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem, dass wir versuchen, den Lesern so wenig Zumutungen wie möglich zu bescheren. Social Reading ist ein wichtiger Bestandteil von Sobooks, Leser werden also zum Beispiel Bücher kommentieren können – mehr möchte ich im Moment nicht verraten.
Wird sich das Schreiben verändern?
Das Schreiben wird extrem verändert durch die Art und Weise, wie wir in Zukunft mit E-Books umgehen. Das hat eine ganze Reihe von Gründen. Pointiertere Texte funktionieren im Digitalen einfach besser. Ich glaube deshalb, dass Bücher kürzer werden und Autoren häufiger veröffentlichen; das gleicht sich ein bisschen den schnellen Publikationswellen im Internet an. Ein Sachbuch wird rund 100.000 Zeichen haben, also rund 50 Seiten lang sein. Hinzu kommt: Wenn Autoren, Lektoren und Literaturagenten anonymisierte Daten über den Umgang mit elektronischen Büchern einsehen können, dann kann dies das Schreiben ebenso beeinflussen. Ich glaube nicht, dass der Schriftsteller – erst recht nicht der Sachbuchautor – irgendwo in einem Elfenbeinturm sitzt und nichts von seiner Umgebung wahrnehmen soll. Es ist doch interessant zu wissen: nur ein Drittel der Leute haben das vierte Kapitel überhaupt erreicht oder die Hälfte der Leser haben nach dem Vorwort abgebrochen.
Das Schreiben wird sich also stärker an den Wünschen der Leser orientieren?
Man muss unterscheiden zwischen der Kunstform des Schreibens und dem Schreiben, das einen Nutzwert mitbringt. Wenn man das Sachbuch zu der zweiten Kategorie zählt, dann halte ich ein Schreiben, das sich an den Wünschen der Leser orientiert, für absolut legitim. Im Moment wird der Markt hinsichtlich des Leser stark durch eine Mischung aus Erahnen und Nicht-Wissen bestimmt. Wir wollen das ändern. Wenn man weiß, was der Leser will, kann man immer noch absichtlich dagegen verstoßen. Und es werden nach wie vor die spannendsten Bücher sein, die sich genau um ein solches Leserinteresse nicht kümmern.
Sollen im an Sobooks angeschlossenen Verlag vorrangig auf Zielgruppen zugeschnittene Sachbücher erscheinen?
Es werden Bücher erscheinen, die sich für die Form eignen. Welche das genau sind, versuchen wir im Moment noch herauszufinden. Wir müssen sehr viele Annahmen überhaupt erst einmal abprüfen. Meine Prognose ist aber, dass wir den Sachbuchbereich etwas stärker bedienen werden. Momentan wird der E-Book-Markt von belletristischen Titeln beherrscht – sie machen 85 Prozent aus, nur 15 Prozent sind Sachbücher. Das ist kein Zufall. Das gegenwärtige Format bedient schlicht und einfach nicht die Erwartungen, die Leser an digitale Sachbücher haben.
Sascha Lobo ist am 8. Oktober als Keynote-Speaker bei der Contec in Frankfurt dabei.