"Nicht die Revolutionäre schaffen die Revolution – bestenfalls sind sie daran beteiligt, die Legitimität des bestehenden Regimes zu untergraben, indem sie die Vorstellung lancieren, eine bessere Welt sei möglich": Steven A. Smith betrachtet aus dem hilfreichen Abstand von 100 Jahren die "Revolution in Russland. Das Zarenreich in der Krise 1890 – 1928" (Philipp von Zabern, 496 S., 39,95 Euro). Seit 1991 ist sehr viel Quellenmaterial verfügbar, und der Oxford-Professor hat gegraben. Er berichtet von Trotzki als brillantem Militärführer, von den ökonomischen und sozialen Widersprüchen während der Phase der Neuen Ökonomischen Politik in den 1920er Jahren, aber auch von Analphabetismus und davon, dass 1922 mindestens sieben Millionen Kinder von ihren Eltern verlassen worden seien: "Sie bildeten mit ihren Banden, Hierarchien, Revieren, Codes, Ritualen und ihrem Slang eine eigene Subkultur."
Smiths Buch gibt Einsichten in das Wesen von Macht, indem es zeigt, wie die Entschlossenheit des letzten Zaren und anderer, ihre Herrschaft wie gewohnt weiterzuführen, zum Zusammenbruch einer Gesellschaftsordnung führen kann. "Oder wie diejenigen, die eine bessere Gesellschaft schaffen wollen, durch ihren Willen, um jeden Preis an der Macht zu bleiben, korrumpiert werden."
Letztlich, so die Erkenntnisse Smiths, Martin Austs und anderer Historiker, sind die Februar- und Oktoberrevolution 1917 die Folge voriger Aufstände, beginnend mit dem Blutsonntag im Januar 1905. Wie in einem Zeitraffer gibt Aust, Professor für osteuropäische Geschichte in Bonn, in "Die Russische Revolution. Vom Zarenreich zum Sowjetimperium" (C. H. Beck, 274 S., 14,95 Euro) kompakt Einblick in die Hintergründe der umwälzenden Ereignisse. Mithilfe von Dokumenten und Zeugenberichten führt Aust den Leser so dicht in die Vergangenheit, dass er meint, dabei gewesen zu sein.
Der von Jan Claas Behrends, Nikolaus Katzer und Thomas Lindenberger herausgegebene Band "100 Jahre Roter Oktober. Zur Weltgeschichte der Russischen Revolution" (Christoph Links Verlag, 352 S., 25 Euro) nimmt den Mythos des Sturms auf das Winterpalais und der Ereignisse in der Nacht vom 24. zum 25. Oktober 1917 unter die Lupe. In elf Beiträgen untersuchen Historiker, wie die von der Oktoberrevolution ausgehende radikale neue Politik in verschiedenen Teilen der Erde sowohl ihr Erscheinungsbild als auch Inhalte verändert hat. Der neue Mensch, der die Grenzen zwischen Individuum und Gesellschaft aufheben sollte, blieb ebenso Ziel wie Russland als Ausgangspunkt für eine Weltrevolution.
Die Bolschewiki seien dabei sowohl Utopisten als auch Realpolitiker gewesen, so die Herausgeber, die immer wieder überspannte Ziele den veränderten Gegebenheiten anzupassen vermocht hätten. Als in den 70er Jahren im Westen bei kommunistischen Parteien Zweifel am sowjetischen Modell laut wurden, kam auch der Rest ins Wanken: "Der Eurokommunismus hatte nicht unerheblichen Anteil an der Zerstörung des Mythos der Russischen Revolution", so die Herausgeber.
Die Auseinandersetzung mit dem Eurokommunismus wird auch in "100 Jahre Oktoberrevolution" (Nomos, 286 S., 54 Euro) beleuchtet: In 16 Aufsätzen spannen Historiker den Bogen von 1917 in die Gegenwart. So hebt Leonid Luks zunächst die Revolution von 1905 hervor, die "die herrschende Autokratie zu einem Kompromiss mit den rebellischen Untertanen" gezwungen und die Voraussetzungen für eine "allmähliche Befreiung der Gesellschaft von der staatlichen Bevormundung" geschaffen habe. Jan Claas Behrends untersucht in seiner historischen Betrachtung, was vom Kommunismus bleibt und, ein besonders spannendes Kapitel, Ekaterina Makhotina referiert über das kommunikative Gedächtnis. Danach wird derzeit in Russland die Reformzeit Gorbatschows und Jelzins negativ gedeutet, während die totalitären Jahre davor glorifiziert werden. Makhotina zufolge zeigen aktuelle soziologische Studien, dass alte Revolutionsziele wie Gleichheit und soziale Gerechtigkeit heute als "vorgekünstelt und aufgezwungen erinnert werden". Die Botschaft der Gedenkaktion zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution werde in Russland derzeit klar formuliert: "Die Revolution von 1917 darf sich nicht wiederholen."
Was am späten Abend des 2. Juni 1967 in einem Berliner Hinterhof geschah, war ein Wendepunkt in der Geschichte des außerparlamentarischen Protests: Bei einem Handgemenge erschoss Karl-Heinz Kurras, Beamter der politischen Polizei, den 26-jährigen Studenten Benno Ohnesorg, angeblich in Notwehr. Ohnesorg hatte zuvor mit mehr als 1.000 jungen Leuten vor der Deutschen Oper gegen den Besuch des persischen Schahs Reza Pahlavi demonstriert. Umstände und Ursache der Tat werden vertuscht, Kurras (der 2009 als Stasi-Spitzel enttarnt wird) nur wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Der Sozialarbeiter und Journalist Uwe Soukup rekonstruiert anhand zahlreicher Zeugenaussagen und Archivbefunde in seinem bei Transit erschienenen Buch "Der 2. Juni 1967. Ein Schuss, der die Republik veränderte" (192 S., 20 Euro) Hintergrund und Hergang der Tat. Soukups These: Die Tötung Benno Ohnesorgs radikalisierte die studentische Protestbewegung und bewog einige ihrer Protagonisten, in den "bewaffneten Kampf" einzutreten.
Ebenfalls mit dem Fall Ohnesorg, in stärkerem Maße jedoch mit den außenpolitischen Implikationen des Staatsbesuchs befasst sich Eckhard Michels in seiner Darstellung "Schahbesuch 1967. Fanal für die Studentenbewegung" (Ch. Links Verlag, 360 S., 25 Euro). Der in London lehrende Zeithistoriker analysiert darin die deutsch-iranischen Beziehungen in den 60er Jahren, die vor dem Schahbesuch 1967 von der Furcht bestimmt waren, der Iran könne mit der DDR anbandeln. Michels' Buch beginnt mit einem Zitat Gudrun Ensslins, das den Fall Ohnesorg klar als Ausgangspunkt für den Schritt in die Illegalität benennt: "Wodurch? Schah – Kurras – Ohnesorg, das ist jedenfalls die kürzeste Erklärung, die ich geben kann, und zum Erklären sind sie allerdings geeignet."
Die Biografie der Frau, die an der Spitze der ersten RAF-Generation stand und ihrem Leben am 18. Oktober in Stuttgart-Stammheim ein Ende setzte, hat Ingeborg Gleichauf geschrieben: "Poesie und Gewalt. Das Leben der Gudrun Ensslin" (Klett-Cotta, 350 S., 22 Euro). Sie schildert sie als literarisch hochgebildete, vielschichtige Persönlichkeit, beschreibt ihren Weg in die Radikalität und in den Terror – und räumt mit den Legenden und Zuschreibungen auf, die Gudrun Ensslin unkenntlich gemacht haben. "Eine gewisse Angst vor der Analyse, vor einem vorurteilsfreien Denken scheint in der Welt der RAF-Literatur und in der filmischen Auseinandersetzung vorzuherrschen", schreibt Gleichauf im Vorwort. "So hat die Person Gudrun Ensslin keine Chance, etwas von sich preiszugeben."
Ein besonderes Kapitel in der Geschichte der Studentenrevolte ist das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) in Heidelberg. Es formierte sich, nachdem der Studentenarzt Wolfgang Huber, der für seine antikapitalistisch fundierte Gruppentherapie bekannt war, 1970 vom Verwaltungsdirektor der Poliklinik entlassen wurde. Die Gruppierung ging von dem Axiom aus, dass psychische Erkrankungen das Produkt der kapitalistischen Gesellschaftsordnung seien und der Patient zum "revolutionären Subjekt" werden müsse. Der Arzt, Psychotherapeut und Medizinhistoriker Christian Pross hat die Geschichte des Kollektivs, aus dessen Reihen die RAF neue Mitglieder rekrutierte, aus eigener Anschauung und aufgrund zahlreicher Gespräche mit Zeitzeugen geschrieben ("Wir wollten ins Verderben rennen. Die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs Heidelberg", Psychiatrie Verlag, 502 S., 39,95 Euro). Entstanden ist ein spannend geschriebener, wissenschaftlich beeindruckender Report, der Maßstäbe für die zeitgeschichtliche Aufarbeitung der Medizin setzt. Zahlreiche Chroniken, Personensteckbriefe und Register runden den Band ab.
Neben Berlin und Heidelberg war Frankfurt Schauplatz der Studentenrevolte. Dort warf auch der Terror der RAF seinen Schatten voraus – mit den Kaufhaus-Brandstiftungen vom 2. April 1968, an denen Gudrun Ensslin und Andreas Baader beteiligt waren. Claus-Jürgen Göpfert und Bernd Messinger haben für ihr Buch "Das Jahr der Revolte. Frankfurt 1968" (Schöffling, September, ca. 250 S., 20 Euro) Erinnerungen von Protagonisten dieser bewegten Zeit gesammelt – so etwa von Daniel Cohn-Bendit.