Rück- und Ausblick von Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis

"Wir tragen große gesellschaftliche Verantwortung"

7. Juni 2017
Redaktion Börsenblatt
Der Börsenverein hat am Mittwoch den Jahresbericht über das Verbandsjahr 2016/17 veröffentlicht. Enthalten sind u.a. Auszüge aus dem Finanzbericht, alle Interessengruppen im Überblick und ein Interview mit Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis, das boersenblatt.net in Auszügen veröffentlicht.

Sie sind Segler. Wenn Sie auf das letzte Jahr zurückblicken, wie war der Seegang auf dem Buchmarkt?
Wir sind im vergangenen Jahr durchaus in schwere See geraten – eine Situation, die sich auch im aktuellen Jahr zunächst nicht ändern wird. Die Branche und ihre Rahmenbedingungen sind 2016 gehörig unter Druck geraten. Die Auswirkungen des VG-Wort-Urteils, die Gesetzesinitiative zur Bildungs- und Wissenschaftsschranke, die schwierige Situation nach dem BGH-Urteil zu Affiliate-Programmen oder auch die Auseinandersetzungen um die Leihe digitaler Bücher in Bibliotheken sind Themen, die Verlage und Buchhandlungen im täglichen Geschäft stark beschäftigen. Und: In der jüngeren Vergangenheit war unsere Aufmerksamkeit sehr stark auf die Digitalisierung gerichtet. Unnötig zu erwähnen, dass dieses Thema nicht beendet ist, sondern erst am Anfang steht. Unsere Aufmerksamkeit dafür, was den Wert und was die Bedeutung unserer Branche ausmacht, geriet dabei aus dem Fokus. Wir tragen eine große gesellschaftliche Verantwortung und leisten einen unabdingbaren Beitrag zum Gelingen einer freien demokratischen Gesellschaft. Das ist der Kern unseres Wesens und vor allen Dingen auch der Grund für unsere hohe Anerkennung in Gesellschaft und Politik. Diesen Anspruch müssen wir auch in Zukunft verwirklichen, das heißt wir müssen ihn in die Zukunft transformieren.

Das Urheberrecht steht unter Beschuss wie lange nicht mehr. Welche Entwicklungen haben Ihnen am meisten Sorgen bereitet?

Dass die Digitalisierung als Vehikel zur Einschränkung oder gar Abschaffung des Urheberrechtes dient. Nahezu alle Diskussionen, die wir zum Urheberrecht führen, alle Maßnahmen, die unserer Branche zugemutet werden, werden mit angeblichen Notwendigkeiten der Digitalisierung begründet. In Wirklichkeit geht es darum, an der Leistung Dritter mehr oder weniger kostenlos zu partizipieren. Sollten diese Pläne aufgehen, werden wir die Chancen von Digitalisierung und Internet nicht nutzen können, sondern verspielen – mit erheblichem gesellschaftlichem und kulturpolitischem Schaden.

Gab es denn auch Lichtblicke?
Es ist uns im vergangenen Jahr in etlichen Punkten gelungen, unsere Interessen erfolgreich zu vertreten und ich bin sicher, dass uns das auch in den nächsten Jahren gelingen wird. In sehr schwierigen Zeiten haben wir erreicht, dass die Politik bei der Frage der Verlegerbeteiligung die Sicht der Verlage grundsätzlich unterstützt, und zwar national wie europäisch. Der reduzierte Mehrwertsteuersatz für E-Books ist in greifbarer Nähe. Die Weichen auf europäischer Ebene sind gestellt. Und auch bei der Wissenschaftsschranke haben wir die große Unterstützung der Politik. Ob es auch mehrheitlich ist, wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Es steht Spitz auf Knopf, trotz der massiven Intervention von Hochschulen, Wissenschaftsinstitutionen und Forschungsgesellschaften sowie Bibliotheken, die vehement quasi die Abschaffung des Urheberrechts fordern.

Die Situation der Meinungsfreiheit weltweit hat sich im Vergleich zum letzten Jahr kaum entspannt. Wo sehen Sie derzeit die größten Bedrohungen?
Die Situation der Meinungsfreiheit ist nur in ganz wenigen Staaten unkritisch. Die Lage in Ländern wie der Türkei oder China hat sich in den letzten zwei Jahren sogar noch verschlechtert. Das frei gesprochene Wort ist die conditio sine qua non des Bestehens unserer Branche. Es ist unsere Verantwortung, uns für die Freiheit des Wortes einzusetzen. Mit unseren Aktionen, wie etwa der Petition #FreeWordsTurkey, fordern wir, dass politische Entscheider in Deutschland und Europa stärker für unsere freiheitlichen und demokratischen Werte eintreten und diese nicht zum Verhandlungsgegenstand machen.

Was kann eine Buchhandlung, ein Verlag tun, um sich für Meinungsfreiheit einzusetzen?
Menschen aus Verlagen, Buchhandlungen und Zwischenbuchhandel können sich jeder an ihrer Stelle beteiligen und eine Plattform für die Meinungsfreiheit schaffen – sei es im Gespräch mit Kunden, bei Veranstaltungen oder über ihre Öffentlichkeitsarbeit, oder natürlich mit ihrem Buch-Programm. Darüber hinaus können sie sich auch an unseren übergreifenden Aktionen beteiligen und Solidarität mit den Menschen in der Türkei, aber auch in allen anderen Ländern, zeigen.

Kommen wir zur wirtschaftlichen Lage der Branche. Das Umsatzplus im letzten Jahr verdanken wir vor allem dem Online-Handel. Ein gutes oder schlechtes Zeichen?
Durchaus ein gutes, denn in diesen Zahlen sind ja auch die Online-Umsätze der Sortimentsbuchhändler enthalten. Das ist für mich ein Zeichen, dass wir den digitalen Wandel in der ersten Etappe beherrschen. Der Handel hat die digitalen Möglichkeiten etwa durch erfolgreiches Cross-Channeling aufgegriffen und für sich genutzt.

Blicken wir in den Verband: Hat sich die Strukturreform bisher bewährt?
Ein ganz klares Ja. Es ist geradezu ein Aufatmen durch die Mitgliedschaft hindurch zu spüren, dass jetzt bei den gemeinsamen Fachausschusssitzungen oder auch bei den Interessengruppen genau die Protagonisten an einem Tisch sitzen, die miteinander sprechen müssen.

Die Mitgliederzahl ist weiter rückläufig. Was tun Sie dagegen?
Der Mitgliederrückgang ist das Spiegelbild der Konsolidierung in der Branche, insbesondere, wenn es bei den Austritten um Buchhandlungen geht. Trotzdem müssen wir natürlich sehen, wie wir Mitglieder an uns binden und neue Mitglieder gewinnen können. Mit der Schnuppermitgliedschaft haben wir schon ein Angebot geschaffen, das erfolgreich potenzielle Mitglieder anspricht. Über die Partnermitgliedschaft und den startup club führen wir erfahrene und neue Akteure an die Branche heran, deren Ideen uns bereichern. Innovationen sind der Treibstoff für unseren Verband, diese müssen wir aktivieren und uns noch stärker im Bereich der Innovationsförderung agieren.

Hier geht es zum Jahresbericht des Börsenvereins mit dem kompletten Interview!