Rezensionsstreit zwischen "FAZ" und buch.de

"Verlage müssen vorsichtig sein – auch bei der Printwerbung"

3. März 2015
Redaktion Börsenblatt
Vor dem Münchner Landgericht streiten "FAZ" und buch.de über die Verwendung von Zeitungsrezensionen im Online-Buchhandel – mit Folgen für die gesamte Branche. Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang über den Grundsatzcharakter des Rechtsstreits, in dem das Gericht gestern Abend ein Grundurteil verkündet hat.
Das Landgericht München hat gestern Abend seine Entscheidung in dem Rechtsstreit FAZ gegen buch.de verkündet. Die Barsortimente und das VLB haben schon im Vorhinein gehandelt – indem sie Zeitungsrezensionen aus ihren Datenbanken herausgenommen haben. Ist das überhaupt nötig? Ein Grundsatzurteil kann doch auf Landgerichtsebene gar nicht fallen….
Die Lage ist in diesem Fall etwas anders – denn dass bei der Verwendung längerer Auszüge aus Rezensionen ein eigenständiges Urheberrecht greift, wurde und wird von niemandem bestritten. Insofern kommt es nicht überraschend, dass das Münchner Landgericht die Sache dem Grunde nach zugunsten der "FAZ" entschieden hat. Der Kern des Verfahrens ist vielmehr ein anderer: Seit es dieses Recht gibt, hat es niemand in diesem Zusammenhang ausgeübt. Stattdessen gab und gibt es ein symbiotisches Miteinander von Buch- und Presseverlagen bei der Verwendung von Rezensionen, von Buchverlagen bezahlte Abteilungen, die als Dienstleister der  rezensierenden Medien arbeiten. Daraus lässt sich jedoch nach der Auffassung des Gerichts jedenfalls im online-Bereich kein Gewohnheitsrecht ableiten. Den Zeitungsverlagen steht es damit zu, ihre Rechte auch bei derartigen Nutzungen im Internet zu kommerzialisieren. Neu ist also nicht die urheberrechtliche Würdigung des Sachverhalts sondern die Tatsache, dass einige Zeitungsverlage nach Jahrzehnten ihre Usancen ändern. 

Vor Gericht geht es um Rezensionen im Online-Buchhandel. Sind auch Vorschauen und Printprodukte der Verlage von der anstehenden Entscheidung betroffen?
Zur Verwendung von Zitaten auf Buchumschlägen gibt es ein Urteil des Landgerichts Frankfurt von 1991. Damals ging das Gericht von einem Gewohnheitsrecht aus. Aber ob dieses Urteil heute so noch einmal fallen würde, ist schwer zu sagen – zumal keine höchstrichterliche Entscheidung herbeigeführt wurde.

Was bedeutet das für die Verlage? Sollten sie Vorsicht walten lassen?
Ja, ich würde ganz klar auch bei der Printwerbung zur Vorsicht raten, denn eigentlich gibt es in dieser Sache keine großen Unterschiede – bis auf einen: Online genutzte Rezensionen sind leichter zu recherchieren, verbreiten sich tausendfach und erhöhen damit das Abmahnrisiko. Es macht Sinn, nur sehr kurze "Blurbs" – also urheberrechtlich nicht schutzfähige Aussagen wie "Ein überaus brillantes Buch" – in der Werbung zu verwenden oder sich das schriftliche Einverständnis des zitierten Mediums einzuholen. Wichtig ist jedenfalls, dass die Verlage unverzüglich selbst aktiv werden. Sie sollten im VLB und in den Barsortimentskatalogen auch die Freitextfelder für sie selbst rechtssicher machen, indem sie bestehende Katalogmeldungen löschen oder ändern. Dazu müssen sie diese einer Überprüfung unterziehen – und zwar nicht nur bezüglich der FAZ-Zitate. Das gilt übrigens auch für "Blick-ins-Buch"-Dienste.

Der Börsenverein hat versucht, bei dem Verfahren zu vermitteln. Woran sind die bisherigen Vermittlungsversuche gescheitert?
Zum einen am Zeitpunkt. Wir haben von diesem Streit erst erfahren, als die Klage eingereicht war und die Kugel schon auf der abschüssigen Bahn rollte. Zum anderen scheiterte die Vermittlung an den sehr unterschiedlichen Vorstellungen der Parteien zur Höhe angemessener Entgelte für solche Nutzungen. Die Entscheidung darüber hat das Gericht übrigens auch noch nicht in seinem heutigen  Grundurteil getroffen, sondern wird darüber erst später in der zweiten Verfahrensstufe entscheiden. Und wir werden diesbezüglich weiterhin Gespräche führen, um eine außergerichtliche Lösung zu finden.

Die Zeiten sind für Zeitungsverlage nicht gerade rosig. Geht es letztlich vor allem darum, neue Geldquellen zu erschließen?
Kein Pressehaus bietet bislang sinnvolle Lösungen für eine Lizenzierung, weder über eine Verwertungsgesellschaft noch mit Modellen, wie es sie zum Beispiel mit "MVB Rightslink" für Kleinlizenzen im Buchbereich gibt. Eine individuelle Lizenzierung ist unglaublich mühevoll. Da ist der Aufwand definitiv höher als der wirtschaftliche Nutzen, für beide Seiten.

Der Verleger-Ausschuss hat empfohlen, nicht-lizenzierte Inhalte aus den Datenbanken zu löschen. Das legt nahe, dass es bereits lizenzierte Inhalte gibt, oder?
Im Zusammenhang mit dem Verfahren hat es in der Tat drei Verlage gegeben, die Regress-Ansprüche vermeiden wollten und sich deshalb mit der "FAZ" verständigt haben.

Über welche Lizenzforderungen sprechen wir denn hier?
Darüber bin ich nicht im Bilde. Vor Gericht verlangt die "FAZ" von buch.de für 50 Ausschnitte jedenfalls einen Schadenersatz von 28.000 Euro. Wenn man sich vorstellt, dass alle online-Buchhandlungen für die fraglichen FAZ-Schnipsel aus den Metadaten von Barsortimentskatalogen oder VLB in solcher oder ähnlicher Höhe in Anspruch genommen würden, käme man auf eine Lizenzgebühr, die um ein Vieltausendfaches über dem Betrag liegt, den Zeitungsverlage durchschnittlich zahlen, wenn sie über  Dritte vergleichbare Nutzungsrechte für Buchinhalte erwerben. Die Frage der finanziellen Bewertung ist deshalb auch ein entscheidender Grund gewesen, warum es überhaupt zu dem Verfahren vor dem Münchner Landgericht gekommen ist.

Die Rechtsabteilung des Börsenvereins hat Regeln für Rezensionszitate aufgestellt – und empfiehlt, sich diese Vereinbarungen von Journalisten unterzeichnen zu lassen, bevor Leseexemplare verschickt werden. Eine Art Freibrief?
Nein, ganz und gar nicht. Viele Mitgliedsverlage haben uns darum gebeten, solche Regeln aufzustellen, weil es bei diesem Thema ums Geben und Nehmen geht. Denn auch die Feuilletons profitieren letztlich davon, wenn man ihren Rezensionen, ihrer literarischen Einschätzung Bedeutung beimisst. Wir laden alle dazu ein, an diesen Regeln teilzunehmen, die sich auf sehr kleine Ausschnitte von bis zu fünf Sätzen einer Rezension beschränken. Wir möchten auf diesem Weg definieren, wo die Grenzen verlaufen – ohne mit den Regeln in die wirtschaftlichen Interessen der rezensierenden Medien eingreifen zu wollen.

Wie groß ist die Verunsicherung in der Branche? Die Telefone in der Rechtsabteilung stehen vermutlich nicht still, oder?
Es rufen in der Tat sehr viele Verlage und Buchhandlungen an. Dass die Barsortimente und das VLB vorsorglich alle Rezensionen aus ihren Datenbanken entfernt haben, ist eine schmerzliche Konsequenz für den gesamten Buchhandel. Die meisten Online-Plattformen sind derzeit mindestens vorübergehend weitgehend frei von Rezensionsausschnitten. Damit muss der unabhängige Buchhandel einen Wettbewerbsnachteil hinnehmen, was sehr ärgerlich ist. Und in gleichem Maße ist es ein Unglück für die Kultur, mit der bisher in Medien mit dem Buch umgegangen wird. Denn die angestoßenen Entwicklungen können dazu führen, dass das Feuilleton und alle, die für es arbeiten, einen deutlichen Wahrnehmungs- und Bedeutungsverlust hinnehmen müssen.

Gibt es trotzdem keine Alternative?
Für den Moment sehe ich keine. Erst einmal ist es wichtig, dass Buchhändler und Verleger rechtlich auf der sicheren Seite sind. Wir haben zu dieser Thematik zuletzt schon drei Parallelfälle gesehen, in die u.a. der Tagesspiegel, eine kleine Regionalzeitung aus dem Norddeutschen und ein Internetportal involviert waren. Es genügt, dass die von dem Verfahren FAZ ./. buch.de betroffenen Verlage Schadensersatz werden leisten müssen. Jedem anderen Verlag und den Buchhändlern sollte das möglichst erspart bleiben.

Die "FAZ" hat zuletzt erklärt, dass Mitglieder des Börsenvereins weiterhin bis zu 25 zusammenhängende Worte aus ihren Rezensionen kostenlos in der Buchwerbung einsetzen können. Ist man damit nicht schon auf dem Lösungsweg?
Das Signal der "FAZ" ist grundsätzlich zu begrüßen. Aber es kann die Problematik nicht aus der Welt schaffen, weil das gestrige Urteil die ganze Buchbranche und alle rezensierenden Medien betrifft. Wir hoffen nach wie vor, dass die "FAZ" und andere große Medienhäuser die kostenlose Nutzung von Rezensionsausschnitten zur Buchwerbung im Rahmen einheitlicher Parameter akzeptieren, und dass dies von allen anderen Medien mitgetragen wird. Was wir brauchen, sind Usancen, die sich gewohnheitsrechtlich durchsetzen und dann wieder Rechtssicherheit für Buchhandel und Verlage stiften. Es liegt im Interesse aller Beteiligter, dass der jahrzehntelang in diesem Bereich vorhandene Rechtsfrieden wieder hergestellt wird. Erklärungen einzelner Player vermögen das nach dem gestrigen Urteil nicht mehr zu leisten.

Wie geht es in dem Verfahren jetzt konkret weiter?
Zunächst ist das Urteil ja noch so frisch, dass alle es gerade erst ein Mal lesen konnten. Eine vertiefte Prüfung konnte also noch nicht stattfinden und wird nun als Erstes auf der Agenda stehen. Das gilt umso mehr, als das Verfahren auf Beklagtenseite ja nicht nur buch.de, sondern auch Libri, KNV, die MVB und den S. Fischer Verlag als Streitverkündete betrifft. Hier wird man zunächst entscheiden müssen, ob gegen das Grundurteil Berufung eingelegt wird oder nicht. Dabei wird auch von Bedeutung sein, ob die "FAZ" weiter an ihren aus unserer Sicht überzogenen Schadensersatzforderungen festhält oder ob eine kurzfristige Beilegung gelingt.