Interview mit Albrecht Hauff

"Eine bedenkliche Entwicklung"

12. Oktober 2016
Redaktion Börsenblatt
Den Wissenschaftsverlagen wird in diesen Zeiten nichts geschenkt. Die Urheberrechts­reform der Bundesregierung, die Forcierung der Open-Access-Strategie auf Landes- wie Bundesebene, aber auch die Verhandlungen über Nationallizenzen fordern die Verlagshäuser täglich aufs Neue heraus. Ungeachtet dessen setzen die Verlage ihren Digitalisierungs- und Internationalisierungskurs fort. Boersenblatt.net hat Thieme-Verleger Albrecht Hauff um Einschätzungen gebeten.

Welche Folgen wird die geplante Bildungs- und Wissenschaftsschranke für Wissenschaftsverlage haben?
Die allgemeine Schranke wird die Lage weiter verschlechtern, die bereits durch die derzeitigen Regelungen der Paragrafen 52a und b des Urheberrechtsgesetzes eingetreten ist. Und da die VG Wort derzeit keine Ausschüttungen an Verlage vornimmt, gehen die Verlage leer aus. Ob sie künftig unter einer neuen Schrankenregelung angemessen entschädigt werden, ist mehr als zweifelhaft.

Ist das Geschäftsmodell Lehrbuch, über das in der Bildungspolitik häufig Unkenntnis herrscht, damit erledigt?
Nicht nur das Lehrbuch wäre gefährdet, sondern auch Monografien und Zeitschriften. Aber den Gesprächspartnern im Ministerium ist das offenbar nicht geläufig.

Will die AWV, deren Vorsitzender Sie sind, beim BMBF intervenieren?
Wir haben Frau Wanka vor einigen Wochen geschrieben, ein Gesprächsangebot gemacht und hoffen jetzt auf Antwort.

Wie beurteilen Sie die Verhandlungen über Nationallizenzen, die ein Bibliotheksteam im Auftrag der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) führt?
Das ist insofern eine bedenkliche Entwicklung, als im Rahmen des sogenannten DEAL-Projekts nur mit den größten internationalen Verlagskonzernen gesprochen wird – Thieme gehört jedenfalls nicht dazu.  Paradoxerweise  streben die Bibliotheken jetzt genau mit den Verlagen bevorzugte Partnerschaften an, die sie sonst als übertrieben gewinnorientiert gebrandmarkt haben. Damit  fördern sie die Marktkonzentration mit aller Macht und schaden vor allem den deutschen Wissenschaftsverlagen.

Fühlen Sie sich noch als freier Unternehmer?
Auf das Bibliotheksgeschäft bezogen: Dieser Eindruck ist mir schon seit längerem abhandengekommen. Glücklicherweise gibt es aber auch noch andere Märkte und Gestaltungsräume.

Findet eine Verlagerung vom Lehrbuch auf andere Formate wie Lernportale oder Datenbanken statt?
Die Kunden wollen verstärkt digitale Lösungen, die deutlich mehr sind als die elektronische Wiedergabe von Büchern oder Fachzeitschriften. Immer mehr Inhalte bereiten wir daher eigens für die digitale Nutzung auf. Aber deshalb verschwindet das klassische Lehrbuch nicht. Die Lehrbuchumsätze sind zwar deutlich rückläufig, derzeit aber immer noch ein signifikanter Markt.

Wie entwickeln sich die internationalen Aktivitäten?
In Indien verzeichnen  wir mit unseren Aktivitäten jedes Jahr ein erfreuliches Wachstum. In Brasilien, wo wir vor wenigen Monaten den drittgrößten Medizinverlag des Landes gekauft und mit Thieme Rio verschmolzen haben, entwickelt sich das Geschäft unabhängig von der Gesamtwirtschaft, deren Lage unerfreulich ist, sehr gut. Wir gehen davon aus, dass uns dieser Markt langfristig enorme Chancen bietet.

Ist ein familiengeführter Verlag auf Dauer Konzernverlagen gewachsen?
Ich glaube, es ist nicht so sehr die absolute Größe entscheidend für den Markterfolg, sondern eher die relative Größe, die man in einem Teilmarkt hat sowie eine kritische Mindestgröße, um kontinuierlich zum Beispiel in technologische Entwicklungen investieren zu können. Thiemes Größe ist  insbesondere mit Blick auf die relative Größe sehr gut, und wir sind mit unseren Standbeinen Medizin, Gesundheit und Chemie in der Mehrzahl der Märkte große Player.  Auch als Arbeitgeber sind wir attraktiv, weil wir als Familienunternehmen eine langfristige Ausrichtung bei unseren Aktivitäten haben, verbunden mit einer angenehmen Kultur des Umgangs miteinander.

Mehr zur aktuellen Lage der Naturwissenschaftsverlage lesen Sie im heute erschienenen Börsenblatt 41 / 2016 ab Seite 10.