"Sehr geehrter, lieber Herr Riethmüller,
lieber Herr Skipis,
lieber Herr Sprang,
lieber Herr Ulmer,
verehrte Anwesende,
lassen Sie mich für die Ehrung und die freundlichen Worte, die Sie mit ihr verknüpfen, ausdrücklich Dank sagen.
Mir bedeutet sie sehr viel. Sie rührt mich, weil mir der Gegenstand ›Buch‹ aus den verschiedensten Gründen, darunter auch politischen, als Autor, als Typograph, als Designer, am Herzen liegt – und ich mich auch immer wieder für das Buch (dem ‚richtigen‘ Buch, dem Buch als Codex) als dem ausgezeichneten Medium konzentrierter Lektüre starkgemacht habe. Konzentrierte Lektüre gegenüber der heute gängigen Abrichtung auf ‚einfachen‘ Informationsabgriff (und was man da so ‚lesen‘ nennt). Daß es heutzutage wieder im Schnittpunkt politischer Interessen liegt und von dort seine Existenzberechtigung in manchen Publikationsbereichen in Frage gestellt wird, ist, entgegen dem ersten Anschein, ein gutes Zeichen, weil gerade das seine außerordentliche Bedeutung, vielleicht sogar Brisanz, unterstreicht. Daß manche (nicht selten mit ‚entrepreneurialen‘ Eigeninteressen) das Buch für verzichtbar erachten, halte ich für einen Ausdruck schwachen Denkens, durch den man sich nicht irre machen lassen sollte. Es touren viele Propheten durch die Lande, die ihre Gesichte auf der schwanken Basis ungedeckter Schecks haben. Und die digitale Blase, die sich über diesem Blabla aufgebläht hat, wird genauso platzen wie 2007 die Immobilienblase geplatzt ist.
1960 sprachen die meisten – und am lautesten natürlich die, die davon profitierten – vom ‚Atomzeitalter‘. Und auch das großindustrielle Versprechen einer rosigen, mit vielen neuen Arbeitsplätzen gesegneten Zukunft wurde uns damals bereits eingehämmert. Genauso besinnungslos wird heute vom ‚digitalen Zeitalter‘ gesprochen. Dem lag 1960 und dem liegt auch heute eine spezielle Buchführung zugrunde, die die wirklichen Kosten, ökonomisch und gesellschaftlich, verschweigt.
Gestatten Sie mir vor diesem Hintergrund, als Ausdruck meines Dankes, einige Sätze der Erinnerung (im Vollsinn dieses Wortes) vorzubringen. Und dann auch ein paar Wünsche zu äußern. Wenn man keine Wünsche ans Leben, an die Gesellschaft, an die Verständigungsverhältnisse mehr hat, braucht man nur noch eine zweite Person, die den Sargdeckel zumacht. So weit bin ich noch nicht.
Die Artikulation meiner Wünsche geschieht freilich in einen eigentümlichen Hallraum hinein. Da ist einmal dieses eigentümliche „nichtaussetzende Brausen“ (so nennt es der Autor Franz Kafka in seinem vom Verleger Kurt Wolff publizierten Text „Auf der Galerie“) „des Orchesters und der Ventilatoren“ (der Windmaschinen) der großen Wissenschaftsorganisationen, der Max Planck-Gesellschaft, der DFG, der Leibniz und Helmholtz Gemeinschaften, der an Global-Player- und universalen Vernetzungs- und Vernutzungsphantasien sich berauschenden Bibliotheken, „begleitet“ – jetzt wieder Kafka – „vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände“ der goldenen, grünen und sonstwie farblich gezeichneten OpenAccess-Bewegten, jener Hände, die – wieder Kafka – „eigentlich Dampfhämmer sind“.
Hier hat sich eine Maschine und auch eine Ökonomie ausgebildet, die die – bei Gründung der Bundesrepublik programmatisch geforderte – Trennung von Wissenschaft und Politik seit geraumer Zeit hinter sich gelassen hat. Die Verantwortlichen zirkulieren in den jeweiligen Posten personal, freuen sich, bei Staatsbesuchen nach China oder sonstwohin mitgenommen zu werden, und haben sich längst schon daran gewöhnt, mehr mit den Ministern, gar der Kanzlerin, zu sprechen als mit den Wissenschaftlern, die sie gegenüber den Ministerien und der Politik eigentlich vertreten sollten. Es fällt in unserer konkreten Problemlage schwer, hier noch von Unabhängigkeit zu sprechen, wo doch die existierenden Geldflüsse ganz eindeutig die Exekution einer politisch gewollten digitalen Agenda (mit nie dagewesenen Steuerungs- und Kontrollmöglichkeiten) belegen. Mit skrupelloser Außerkraftsetzung von Individualrechten.
Bücher stören in diesem Bereich nur, sie geben numerisch-digital und für das allerliebste Kind der Wissenschaftsverwalter, die ‚Evaluation‘ (rein ‚quantitative Bewertung‘ darf man ja nicht sagen, das verstieße wahrscheinlich gegen die Menschenwürde), wenig her. Kurven und Kuchen- und Tortendiagramme und dergleichen statistische Köstlichkeiten hätte man gerne; Genie, Spiritualität aber läßt sich in diese qualitätsfernen Veranschaulichungen hinein nicht abbilden. Die Dominanz der Statistik läßt darauf schließen, daß die Wissenschaft und Kultur organisierenden Planungsstäbe in Deutschland, im Westen überhaupt, vielleicht gar keinen unruhigen Geist und auch keine abwägend-distanzierte Besinnung mehr wollen, sondern vielmehr gleich und ausschließlich ausbeutbares Wissen. Das aber wäre eine politische Bankrotterklärung. Am Ende des Wegs stünde die Schließung eines sterilen Systems.
Argumenten, gar Gegenargumenten ist diese brausende Allianz der Wissen-schaftsorganisationen, die die Besserwisserei als Existenzform kultiviert hat – das haben die letzten zehn Jahre gezeigt – nicht zugänglich. Auf abweichende Meinungen reagiert man, indem man die Finger in die Ohren steckt, alle Türen schließt und selbst noch lauter sein Brausen in die Welt schickt. Wenn Sie das übertrieben finden, lesen Sie nur, was die Max Planck Gesellschaft gegenwärtig als Präsentation auf ihrer Open Access-Roadshow einsetzt, dann wissen Sie, was ich meine.
Was als Abweichung übrig bleibt, wird als querulantisch neutralisiert, als altmodisch oder utopisch oder gleich als beides abqualifiziert, als egoistisch eingetütet und als unförderbar kaltgestellt. So ist es, wenn Wissenschaft – als kultivierte Praxis erkenntnisfördernder Dissidenz – auf den Hund kommt. Die zugrundeliegende Perspektive ist – und hier zitiere ich zum letzten Mal Kafkas Text „Auf der Galerie“ – „die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft“ eines komplett vom Staat finanzierten und d.h. auch kontrollierten Publikationssystems – ohne Buch, mit ganz ganz wenigen zynischen Oligopolverlagen und auch ohne dissidente Köpfe. Ein gremiengesteuertes Futur 4 Punkt irgendwas.
Neben dem erwähnten Dauerbrausen findet sich aber auch ein Schweigen, das, wenn man etwas genauer hinhört, fast noch lauter tönt als jenes Getöse. Wenn in einer historischen Situation, in der über die Produktionsbedingungen zunächst geisteswissenschaftlicher Autoren und deren durch Grundgesetz und Menschenrechtscarta garantierten Rechte durch eine anmaßende Gesetzgebung negativ entschieden werden soll, – wenn also in einer solchen Situation von Institutionen wie der Akademie für Sprache und Dichtung, der Akademie der Künste in Berlin und der in München, dem P.E.N., dem Goethe-Institut, den Literaturarchiven in Weimar, Wolfenbüttel und Marbach nichts, rein gar nichts im Bereich der Öffentlichkeit vernehmbar wird, dann kann man daran gut erkennen, wie sehr die Abhängigkeit vom politischen Apparat und den von ihm zugeleiteten Geldflüssen auch in diesen Institutionen und Verbänden fortgeschritten ist. Nach gefühlten Jahrzehnten großer Koalition und der korporatistischen Manus-manum-lavat-Unkultur, die sich hier, wie überall im Bereich der Wissenschaft und Kultur ausgebildet hat, ist Machtkuscheln offenbar für Intellektuelle zur alles überwölbenden Tugend geworden. Das ist schon fast wie China, wenn geistige Eliten zu rücksichtsvoll und sich selbst zu fein sind, für die Bewahrung ihrer unmittelbaren Produktionsmittel und ihrer verbürgten Rechte zu kämpfen. Und es ist peinigend, diese im Schweigen sich schreiend manifestierende selbstverschuldete Unmündigkeit bei der Einlösung ihrer Konformitätsboni beobachten zu müssen.
Von der wissenschaftsfeindlichen Drittmittelkorruption an den Universitäten will ich jetzt gar nicht anfangen. Dort greifen die Kontroll- und Steuerungsmechanismen der offiziellen Wissenschaftspolitik am effizientesten – ihr approbiertes Mittel ist die rostige Schere im Kopf des prekär Beschäftigten, aber auch des professoralen Beamten, dem die Selbstzensur durch seine lange Akkomodationslaufbahn zur zweiten Natur geworden ist. Ich war positiv überrascht, wie viele jüngere Wissenschaftler und Studenten gleichwohl den Appell zur „Publikationsfreiheit“ unterzeichnet haben – das ist etwas, was man gar nicht hoch genug einschätzen kann. Denn der Hort des Konformismus heutzutage, dessen – um den geforderten und auch geförderten Selbstanpreisungsjargon hier einmal gegen sich selbst zu wenden – eigentliches ‚Kompetenzzentrum‘, ist keineswegs das lokale Postamt oder die Volksbankfiliale um die Ecke, sondern die deutsche Universität.
Fast hätte ich damit, indirekt freilich, schon einen ersten Wunsch artikuliert. Aber das ist hier der falsche Ort, der Börsenverein des deutschen Buchhandels wird da wenig bewirken können. Dennoch würde ich mir wünschen, daß in den Stellenbeschreibungen für Führungspersonal auch der Nachweis von Mut und Zivilcourage als notwendige Bedingung für eine Bewerbung kodifiziert würde und nicht hauptsächlich Geschicklichkeit im Konkurrenzkampf und bei der ‚Einwerbung‘ von Drittmitteln, vulgo: die neue, allgegenwärtige Kampfsportart des akademischen und sonstigen networking. Jeder über sich selbst reflektierende politische Apparat müßte wissen, daß das: die Förderung wahrhaft freier Individuen – und nicht die andauernde Erpressung durch institutionelle und ökonomische Abhängigkeit – die Bedingungen freier Geistigkeit in allen betroffenen Kultur- und Wissenschaftsbereichen merklich verbesserte. Und damit die Aussicht auf ein tatsächlich humanes Fortschreiten.
Damit bin ich dann aber wirklich bei meinem ersten Wunsch, den der Börsenverein vielleicht in näherer Zukunft, mit etwas gutem Willen, erfüllen könnte – und vielleicht nicht nur mir, nicht nur der Branche, sondern sondern auch dem Publikationssektor insgesamt. Ein Teil der aktuellen Problemlage geht nämlich darauf zurück, daß die Politik, die von mir namhaft gemachten, mit den Ministerien kurzgeschlossenen Wissenschaftsorganisationen und der gegenüber dem Publikationssektor unverantwortlich handelnde deutsche Bibliotheksverband die Spannung, die immer schon zwischen Autoren und Verlagen existiert (es handelt sich um Vertragspartner mit partiell unterschiedlichen Interessen), soweit vertieft haben, daß man schon fast von einer Abspaltung sprechen kann.
Es ist putzig, daß hier – um Stimmung zu machen – von verantwortlicher Seite, dem BMJV, immer die Metapher von der gleichen Augenhöhe im Verhältnis Verleger und Autor ins Feld geführt wurde, die herzustellen sich der Justizapparat angeblich so sehr bemüht. Zugleich aber wird in Bezug auf Autorenrechte das rechtliche Verhältnis eines Drittmittelempfängers zu seiner Fördereinrichtung immer mehr – und vom Justizapparat mehr oder weniger ausdrücklich gefördert – auf den Status eines Publikationssklavens heruntergedrückt. Wenn man die Position des BMJV hier heuchlerisch nennt, ist das noch untertrieben. Autorenrechte interessieren dort keinen. Ein Bewußtsein davon, daß es Autoren vielleicht nicht nur um Geld und Abgeltung geht, übersteigt den Horizont der Unverantwortlichen. Der bewußtlose und in manchen Ministeriumsabteilungen von BMBF und BMJV offenbar auch bewußte Zynismus geht so weit, daß – wie im Entwurf zur Novelle des Urheberrechts – die mangelnde ökonomische Ausrichtung von Autoren sogar als Einladung für den Eingriff in ihrer Persönlichkeitsrechte herhält.
Sowohl die Autoren als auch die Verlage müssen sich dem Versuch, einen Keil zwischen sie zu treiben, widersetzen. Unaufmerksamkeit und Desolidarisierung in diesem Feld wäre ein gravierender Fehler. Wir müssen hier nicht diskutieren, was Verlage im Umgang mit Autoren alles falsch gemacht haben und weiterhin machen – und auch nicht, daß Autoren sich im Prinzip immer ungerecht von ihren Verlagen behandelt vorkommen, oder warum Autoren meinen, auch ohne den Schutzraum eines Verlags auszukommen. Hier muß sich auf beiden Seiten etwas ändern und zwar rasch. Aber begriffen werden muß auch, daß man dem Druck, der aus der Politik und den Verbänden in Richtung auf ein verstaatlichtes Publikationswesen nach dem Vorbild des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kommt, nur gemeinsam widerstehen kann. Die Einrichtung eines Beirats von Autoren, der als Kommunikationsraum in Krisenzeiten für die Diskussion anstehender Probleme zur Verfügung steht, scheint mir unabdingbar, um diesen Widerstand zu organisieren. Das ist mein erster Wunsch.
Mein zweiter Wunsch zielt auf die Förderung einer freiwilligen Selbstverpflichtung auf Qualität, wie sie – hervorgegangen aus einer katastrophalen Krise – vergleichbar der deutsche Weinbau mit dem VdP etabliert hat. Sie würde eine Prüfung durch Lektorat sowie menschen- und buchwürdige Verarbeitung in Design und Typographie für das Lesepublikum ausweisen (gleichgültig, ob das als Siegel oder als Teil des Impressums geschieht) und damit die Leistung der Verlage für die Produktion des Buches unterstreichen. Dabei geht es nicht um das Segment der Buchproduktion, das von der bedauerlicherweise unterausgestatteten Stiftung Buchkunst gefördert wird (also dem Buch als Nobelprodukt), sondern um eine Auszeichnung des Standards, zu dem man sich bekennen, auf dessen Plateau man sich begeben sollte, wenn der Buchhandel insgesamt eine Zukunftsperspektive haben will.
Mir ist klar, daß damit Bücher, die Autoren selbst ‚setzen‘ (wenn man das so nennen kann) und die unlektoriert in einer Bibliotheksauflage zu für normale Käufer unerschwinglichen Preisen auf den Markt kommen, unmöglich werden. Aber die werden ohnedies verschwinden wie der Hund von der Autobahn. Verlage, die das als „Geschäftsmodell“ pflegen, haben Autoren und der Branche schon genug geschadet, indem sie den bekennenden Verlagsfeinden bereitwillig Argumente gegen Verlagsarbeit an die Hand gegeben haben. Nur wenn Autor und Verlag gemeinsam ein Produkt auf den Markt bringen, in dem sie ihre gemeinsame Arbeit materialisiert und in genauer Hinsicht auch geehrt finden, kommen wir aus der aktuellen Krise heraus. Dabei dürfen wir nicht in dem, was zu tun ist, unter unseren Möglichkeiten bleiben. Dann gibt es auch wieder eine farbenfrohe, nicht nur eine graue Zukunft.
Meine Damen und Herren, lieber Herr Riethmüller, lieber Herr Skipis, lieber Herr Sprang, lieber Herr Ulmer, verehrte Anwesende, ich danke Ihnen für die Geduld und wünsche mir ganz zum Schluß noch ein Drittes: Nachsicht mit meinen offenen Worten. Wir haben die Qualität, die Personalität und die offene Kommunikation auf unserer Seite – bringen wir sie offensiv zur Geltung.
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Und vollkommen rätselhaft: jemanden zu ehren, der alle Grundregeln des Diskurses missachtet, der sich außerhalb der Regeln der fachlichen Diskussion stellt und der gar nicht den Versuch unternimmt, sich mit seinen Kollegen oder denjenigen, die mehr Sachverstand als er selbst offenbart zu besitzen, offen und ehrlich auseinanderzusetzen. — Rätselhaft, unverständlich und enttäuschend.
Wenn man dort liest, wie Reuß Parlamentarier oder einfach pauschal alle die, die nicht seinen Standpunkt vertreten, beschimpft, und gleichzeitig frei von verlegerischem Fachwissen argumentiert, erübrigt sich jede weitere Stellungnahme zu Sache.
Wir sind es in den letzten Monaten ja gewohnt, dass uns aus der Bibliothekswelt erklärt wird, wie das Verlagswesen funktioniert, was wir falsch machen und wie wir es richtig machen müssten, und warum bestimmte Gesetze für uns ganz toll sind und wir das nur noch nicht gecheckt haben. Ich halte das für respektlos und für eine Selbstüberschätzung. Aber das ist meine Meinung. Und wir sollten immer wieder froh sein, dass es unterschiedliche Meinungen gibt und diese auch geäußert werden können.
Insoweit ist es auch schlecht, wenn man fordert, dass einem unbequemen Denker die Zeitungen kein Podium mehr geben sollen.
Wenn man etwas nicht versteht, dann ist es ratsam, nachzufragen. Schon das kann eine Menge helfen.
Roland Reuß legt den Finger in die Wunde die brennt, das ist an den Reaktionen erkennbar. Ob die Diagnose richtig ist, darüber kann man dann ja streiten. Die größte Zahl der Menschen ist aber schon zu bequem, sich überhaupt darüber Gedanken zu machen.
Ich bin der Meinung, dass die Geschehnisse der letzten Monate durchaus die Lesart zulassen, dass die Macht der Wissenschaftsorganisationen ein für die Gesellschaft bedrohliches Maß angenommen hat.
Ober Herr Mittermaier ein besserer Kandidat für den Ehrentitel "Förderer des Buches" wäre, das wäre in der Tat eine interessante Diskussion.
1. Möglicherweise ist mir einfach nur entgangen, weshalb jemand, der erklärtermaßen genau das kritisiert, bekämpft und bestreitet, was das Kulturgut Buch zukunftsfähig macht, zum "Förderer des Buches" erhoben wird. Ich lasse mich gerne belehren, wenn das auf belegbaren Argumenten beruht.
2. Zu Reuß' Art des Diskurses, der keiner ist, und anscheinend - ganz im Sinne des Stilmittels der Publikumsbeschimpfung - lediglich auf Konfrontration und Aufmerksamkeit abzielt, eine Analyse von Ben Kaden: https://libreas.wordpress.com/2016/09/28/faz-reuss-open-access/
3. Ich kann nicht einschätzen, was die "Bibliothekswelt" Verlagen erklären möchte oder sollte. Oder überhaupt erklären kann. Das könnte mein Vor-Kommentator Herr Mittermaier sicher besser als ich beantworten. Als Forscher, Naturwissenschaftler und Verleger ist allerdings mir vollkommen schleierhaft, was Reuß inhaltlich ausdrücken oder erreichen möchte, sofern er sich nicht dem Verdacht aussetzen möchte, lediglich als Gehilfe für durchsichtige Lobbyarbeit einer Handvoll Verleger aufgefasst zu werden, die nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind.
Ich bin gespannt, was nach dem 01.03.2018 geschieht: Verlegen die Verlage tatsächlich nichts mehr oder geben sie zu, kein Restgramm Grosshirnrinde zu besitzen oder kündigen sie dem "Förderer des Buches" die Freundschaft?
In eigener Sache: Für diesen Preis bin ich sicher kein Kandidat. In meiner Publikationsliste habe ich aber immerhin vier selbstverfasste Bücher, fünf herausgegebene Bücher und vier Sammelwerke, zu denen ich Kapitel beigetragen habe (von der vierstelligen Zahl Büchern aus der Feder anderer in meinem Besitz ganz zu schweigen). Als Bücherfeind qualifiziere ich mich also immerhin auch nicht.
ich möchte an den Fall 'Meilensteine der Psychologie' erinnern. Die Fernuni Hagen nutzte das Buch (25€) für einen Kurs mit 4500 Teilnehmern. Ich schätze jetzt mal, dass ein Drittel das Buch dafür auch gekauft hat, also ein Absatz von 1500 Ex, ein Umsatz von 38.000 Euro, das mal angenommen. Die Uni hat das Buch unter 52a eingescannt und auszugsweise den Studenten verfügbar gemacht. Der Verlag bot dann eine digitale Lizenz zu einem Preis von 10 Cent pro Seite und Student, was bei dem inzwischen auf 70 Seiten reduzierten Umfang 31.500 Euro gewesen wären, immerhin dann für sämtliche Studenten und nicht nur ein Drittel. Das wurde abgelehnt. Der BGH entschied in seinem Urteil, dass ein Betrag von 0,8 Cent pro Seite angemessen sei, das waren dann in der Summe nur noch 3.276 Euro für 4500 Studenten. Aber auch das war der HRK viel zu viel, der Gesetzgeber wurde aufgefordert, das Gesetz wunschgemäß abzuändern und es wurde ordentlich Druck der Straße dazu inszeniert. Der Gesetzgeber war willfährig und was bekommt jetzt der Verlag? Eine angemessene Vergütung. Wie hoch ist die? Etwa 15 Euro, falls der Verlag die Autoren des Buches anschreibt und bittet, die Hälfte der VG-Wort Vergütung an ihn abzutreten. DAS ist der Rechtsstaat, den wir gerade erleben.
Nun zu Ihnen, Herr Mittermaier: "Kein mit nur einem Restgramm Grosshirnrinde gesegneter Verleger wird dann aber noch in die Herstellung einer solchen Mutter aller Kopien investieren." Dieser Satz motiviert Sie zu einer lustig gemeinten Frage, mit der Sie sich über die Äußerung von Roland Reuß mokieren. Ich muss Ihnen leider sagen, dass Sie von der Realität und den Auswirkungen dessen, was die Wissenschaft als ihr Recht durchgesetzt hat Lichtjahre entfernt sind. Jeder Betroffene von diesem Gesetz kann Reuß nachvollziehen.
Und zu Ihnen, Herr Grossmann: Es ist schön, dass Sie eine These für sich haben, was die Zukunft des Buches ausmacht. Aber solange Sie nicht Hellseher sind, ist das nicht mehr als eine These. Und da können Sie noch so pseudowissenschaftlich Ihre Posts hinschwurbeln, Reuß hat halt eine andere These.
Und dann sagen Sie, Sie wissen nicht, was die Bibliothekswelt den Verlagen erklären möchte und wenige Zeilen später kommen Sie mit dieser Aussage rüber: "... lediglich als Gehilfe für durchsichtige Lobbyarbeit einer Handvoll Verleger aufgefasst zu werden, die nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind." Da machen Sie doch genau das Gleiche, Sie meinen sich im Besitz der Allumfassenden Wahrheit und kanzeln jeden andersdenkenden ab und teilen uns Verlagen mit, wie die Welt ist. Dieser Satz ist ja so ziemlich der dämlichste Satz, den man zum Thema ablassen kann. Aber er ist ein Standardsatz in Diskussionsforen. Allerdings lese ich ihn erstmals von einem "Professor für Verlagsmanagement". DAS ist erschütternd. Oder auch nicht, eben nur ein weiterer Mosaikstein im neuen Bild einer Fake-Wissenschaft. Insoweit waren die letzten Monate dann auch wieder ausgesprochen lehrreich.
Übrigens: Der von Ihnen zitierte Ben Kaden ist Ihnen weit überlegen, denn er differenziert wissenschaftliches Publizieren und kennt die Welt der Geisteswissenschaft.