Im August dieses Jahres bekam Margaret Atwood Besuch: Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller traf sich mit der kanadischen Schriftstellerin zum Vorgespräch in ihrer Heimatstadt Toronto. Dass er sich sein Getränk im Selbstbedienungsrestaurant selbst holen musste, während die bekannte Schriftstellerin, Essayistin und Dichterin ihren Kaffee direkt am Tisch serviert bekam, hat er offenbar gut verkraftet. Atwood schmunzelt und schweigt, als er die Anekdote erzählt.
Nun ist Kanadas wichtigste und erfolgreichste Autorin ihrerseits zu Besuch in Frankfurt, um am Messesonntag in der Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegenzunehmen. Sie zeige in ihren Romanen und Sachbüchern immer wieder ihr politisches Gespür und ihre Hellhörigkeit für gefährliche unterschwellige Entwicklungen und Strömungen, begründet der Stiftungsrat seine Wahl. "Durch Margaret Atwood erfahren wir, wer wir sind, wo wir stehen und was wir uns und einem friedlichen Zusammenleben schuldig sind."
Dass ihre Bücher aktuell besonders relevant und wieder so stark nachgefragt sind, liegt für Atwood an dieser Zeit der Umwälzungen und einem wiedererstarkenden Totalitarismus. Auf die Frage, wie Menschen wie Trump oder Erdogan so mächtig werden können, antwortet sie: "Ich weiß auch nicht alles." Diejenigen, die US-Präsident Trump aktiv unterstützt hätten, stellten jedenfalls nicht die Mehrheit – eine alternative Führungsfigur sei aber noch nicht in Sicht.
In politischen wie religiösen Zusammenhängen weist Atwood darauf hin, dass besonders Frauen in repressiven Strukturen immer wieder unterdrückt würden – aber nicht nur sie. "Wenn man sich die gesellschaftliche Pyramide ansieht, stehen unten auch viele Männer. Sie werden genauso kontrolliert." Das Thema soziale Gerechtigkeit ist ihr deshalb ein wichtiges Anliegen.
Eine nicht ganz kleine Rolle bei den aktuellen politischen Entwicklungen weltweit schreibt sie – im Positiven wie im Negativen – auch den sozialen Medien zu. Jedes menschliche Werkzeug habe drei Seiten: eine gute, eine schlechte und eine dumme. Die letzte sei unberechenbar – und daher immer wieder auch gefährlich. Atwood, die schon früh bei Twitter aktiv war, wenn auch nicht ganz freiwillig ("Meine Assistenten sagten mir, ich bräuchte einen Twitter-Account. Ich sagte: einen was!?") ist heute auch oft genervt vom Internet. Aber da man bei Twitter auch Nutzern den Mund verbieten könne (in dem man sie blockiert), habe sie inzwischen nicht mehr so viele Probleme mit Sexbots, erzählt sie mit einem Zwinkern.
Welche Rolle kann die Literatur heute einnehmen? Man könne Autoren nicht sagen, was sie zu schreiben haben, das habe keinen Sinn und sei auch eine Form von Totalitarismus. Aber Schriftsteller reflektierten immer die Zeit, in der sie leben, so Atwood. "Man kann ihre Werke lesen und sich fragen: Ist das die Welt, in der wir leben wollen?" Das Wörter und Bücher eine Wirkung haben, ist für sie unbestritten. Und so wie Autoren mit ihren Romanen die Welt reflektierten, müssten es auch die Leser tun.
Die Friedenspreisverleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 15. Oktober, um 11 Uhr in der Frankfurter Paulskirche statt und wird live im ZDF übertragen. Die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse hält die Laudatio. Der Friedenspreis wird vom Börsenverein des deutschen Buchhandels seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert.