Fragen und Antworten zum Hörbuchmarkt

Statements für den schönen Klang

21. April 2016
Redaktion Börsenblatt
Wird Hörbuchkritik zum Auslaufmodell? Gibt es noch Platz für Newcomer? Wie kommen die Verlage mit der Marktforschungskrise klar? Der Hörbuchmarkt in Fragen und Anworten, gesammelt von Sabine Schwietert. Mit Zusatzfragen zu DVDs und Noten.

Hörbuchmarkt ohne Zahlen – wie kommen die Verlage damit klar, Herr Kissling?
Wir versuchen seit Jahren, die Presse dafür zu gewinnen, über unsere Warengruppe zum einen gelassener und  zum anderen inhaltsorientierter zu berichten. Mir scheint es manchmal so, als müssten wir immer noch dafür büßen, dass das Hörbuch bis vor etwa zehn Jahren als Boom-Medium galt. Seitdem ging es bis heute weiterhin bergauf, natürlich nicht linear, sondern mit Zacken in der Kurve nach oben und nach unten, wie sie in allen anderen Warengruppen auch das Normalste der Welt sind. Leider führt eine vorüber­gehende Absatzdelle im Hörbuch in den Medien umgehend zu besorgten Fragen und Überschriften. Auf mich wirkt das so, als würde man mich fragen, wie lange ich noch lebe, wenn ich mal nicht topfit und ausgeschlafen, sondern etwas zerknittert im Büro erscheine. Vor diesem Hintergrund traf die Krise in der Marktforschung uns Hörbuchverlage besonders empfindlich. Es lag 2015 eine gute Stimmung in der Luft, Händler berichteten von guten bis sehr guten Entwicklungen – und dies schlug sich nicht im Geringsten in der Marktforschung nieder. Wir Hörbuchverlage werden auf unserer Jahrestagung im Mai diskutieren, ob es unter Umständen sogar sinnvoll sein kann, eine eigene Markt­forschung zu organisieren. Wichtiger ist: Keine der oft prophezeiten, düsteren Prognosen hat sich bewahrheitet. Die Qualität hat über die Jahre eher noch zugenommen, statt eines Preisverfalls haben sich attraktive, stabile Preisgruppen etabliert und das Hörbuch ist nach wie vor im Buchhandel eine zuverlässige Größe. Das Schönste aber ist: Wir gewinnen über die digitalen Verbreitungsformen immer noch neue Hörer.

Für opulente Hörspiele sind die Sender zuständig – darf der Verlagspartner bei künstlerischen Fragen mitreden, Herr Stricker?
 Die große Chance in der Koope­ration mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten liegt gerade darin, Produktionen zu veröffentlichen, deren Genese nicht primär von ökonomischen Notwendigkeiten, sondern von einem Höchstmaß an künstlerischer Freiheit bestimmt ist. Und unser Vertrauen in die Redaktion, die Bearbeiter, den Regisseur und alle anderen Beteiligten ist sehr groß. Also: die Frage, in künstlerischen Belangen mitzureden, erübrigt sich. Unsere Aufgabe ist in erster Linie Vertrieb, Marketing und Presse – und genau darin sehen die ARD-Redaktionen auch ihre Chance und den Grund für die Kooperation: eine Öffentlichkeit im Buchhandel und in der Presse zu finden, die über den kleinen Kreis der Radio­hörer weit hinausgeht. Außerdem beteiligen wir uns auch unmittelbar finanziell an der Produktion. Im Fall von "Manhattan Transfer" (SWR / DLF) zum Beispiel oder "Deutsche Geschichte in 100 Objekten" (BR) kommen da auch schon mal fünfstellige Beträge zusammen. Zusätzlich partizipieren die Sender prozentual an den Erlösen.

Wird Hörbuchkritik in den Feuilletons zum Auslaufmodell, Frau Völker-Sieber?
Wortbeiträge im Radio müssen Federn – sprich Minuten – lassen, Zentralredaktionen bedeuten weniger Bandbreite bei den besprochenen Titeln. Magazine werden eingestellt, Ansprechpartner wechseln. Andererseits: Noch nie konnten wir unser Pressekonzert auf einer größeren Klaviatur spielen als heute. Blogger empfehlen ganz nach persönlichen Vorlieben, gern auch Backlist und Reihen. Ein Frauenmagazin wählt schon mal nach Hörbuchcover aus, weil’s perfekt zur Farbwelt der Modeseite passt. Als verwandtes Medium bieten wir dem Rundfunk gefragten Content. Um einen Titel zu "landen" arbeiten wir anders, klein­teiliger, noch serviceorientierter als früher, leisten teilweise Arbeiten, die vormals in den Redaktionen angesiedelt waren. Hintergrundgeschichten, Interviewangebote, Studiobesuche, Making-of-Filmmaterial, O-Töne gehören zum Portfolio. Täglich tauchen neue Zeitschriften, Webangebote, Sendeformate auf, die wir mit auf den "Schirm" nehmen, neue Ansprech­partner, die wir fürs Hören begeistern können. Die Plätze für Kritik verteilen sich stärker, aber sie bleiben.

Audible produziert, Lübbe vertreibt gekürzt auf CD – ist das die Zukunft, Herr Sieper?
Begonnen hat alles 2006 mit "Die Therapie" von Sebastian Fitzek. Noch bevor der Thriller als Buch die Bestsellerlisten erobern konnte, hatte Audible den richtigen Riecher und lizenzierte den Titel bei Droemer Knaur. Selbstverständlich gab es auch Nach­frage aus dem Handel nach einer CD-Verwertung. Wir verständigten uns mit Audible und Droemer Knaur über Konditionen und brachten fortan diese und weitere Titel als CD-Fassung auf den Markt, manche von Lübbe Audio produziert, manche von Audible. Eine ganze Reihe weiterer Titel erschien auf diesem Weg, auch in Mischformen, mal mit Lübbe als Lizenzgeber hauseigener Stoffe, mal mit Lizenzen fremder Häuser. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Risikoverteilung. Verteilt man das finanzielle Risiko auf mehrere Schultern, kann man zusätzlichen Titeln eine Chance geben, die es aus Kostengründen sonst vermutlich nicht geschafft hätten. Somit ist diese Kooperation eine funk­tionierende Erweiterung der Wert­schöpfungskette, die übrigens auch schon länger von anderen Verlagen genutzt wird.

Gibt es noch genug Lizenzen für unabhängige Hörbuchverlage, Frau Swiderski?
Bei den Bestsellern ist der Lizenzmarkt enger geworden. Andererseits gibt es immer noch Überraschungserfolge. Wir werfen in den Lizenzverhandlungen unsere geballten künstlerischen und vertrieblichen Erfahrungen und unsere Marktkenntnis in die Waagschale. Außerdem kennen wir unzählige Schauspieler und Sprecher. Leider reicht es nicht, einen Stoff einmal erobert zu haben: Die Wechsel von "Magisches Baumhaus" und "Rabe Socke" zu Silberfisch waren für uns schmerzlich. Manche Autoren sind auch ungewöhnlich treu, zum Beispiel Klaus-Peter Wolf. Das wissen wir zu schätzen. In kontinuierlicher künstlerischer Zusammenarbeit entstehen Projekte, die in diesem nicht nur entspannenden Geschäftsleben zu Highlights werden. Es gibt sie, die treuen Beziehungen, selbst zwischen Verlagen. It’s people’s business. Da kommen die Taschenrechner und Marketingpläne manchmal nicht mit ...

Warum sollten Buchhandlungen DVDs ins Sortiment nehmen, Herr Trettin?
Ganz einfach: um die Nachfrage zu bedienen. Filme sind eine sinnvolle Sortimentsergänzung – und sie lösen Cross-Selling-Effekte aus. Zudem bringen DVDs zusätzliche Kunden in den Laden. Es ist einfach naheliegend, zum Buch und Hörbuch auch den entsprechenden Film anzubieten. Zwischen 30 und 50 Prozent der DVD-Bestseller basieren auf Literaturvorlagen. Kann ja sein, dass Leser früher keine Filme geschaut haben, aber das ist 100 Jahre her. Hinzu kommt, dass der Buchhandel nach den Floristen der größte Geschenkelieferant ist. Um zu profitieren, muss der Buchhandel sein DVD-Sortiment allerdings auch pflegen. Alt, neu, alle Genres in einem großen Durcheinander – das wird nicht weit führen. Buchhändler, die nur wenig Zeit haben und sich im Filmbereich auch nicht so genau auskennen, sollten einfach die entsprechenden DVD-Charts der Branchenblätter oder der Barsortimente nutzen und diese Produkte entsprechend anbieten. Die DVD beziehungsweise Blu-ray ist noch lange nicht tot – und wird auch im Buchhandel gesucht. "Tribute von Panem", "Spectre", "Fuck you Göhte" oder "Star Wars" – egal wo diese Toptitel stehen, sie werden überall gekauft. Ein, zwei Euro Preisunterschied zu Elektrofachmärkten schadet da überhaupt nicht.

Gibt es noch genug Platz für Newcomer, Frau Hahn?
Ja, der Markt hat Platz für Newcomer. Das ist eine erfreuliche Erfahrung des vergangenen Jahres. Man muss auf jeden Fall ein Profil haben und mit Leidenschaft das machen, was man für richtig hält! Bei uns liegen die Schwerpunkte auf Biografien, Philosophie-Titeln und außergewöhnlichen Lebensgeschich­ten, die zuweilen in ganz andere Welten führen. Dafür sind wir nicht unbedingt auf Buchneuerscheinungen angewiesen. Spannende Persönlichkeiten sind immer aktuell, da findet man Schätze, die schon länger auf dem Markt sind, wie zum Beispiel "Der Klang der Fremde", die berührende Biografie einer geglückten Flucht und Integration. Wir sind 2015 mit dem Anspruch angetreten, hoch­wertige Hörbücher zu produzieren; das heißt, Erscheinungsbild und Haptik müssen ansprechen. Wir lassen uns Zeit mit den passenden Stimmen, neben den bekannten, großen Sprechern wie Gert Heidenreich arbeiten wir gern mit reizvollen neuen Sprechern. Für ­"Hemingway" etwa haben wir eine Stimme gesucht mit kantigem und eigenwilligem Ausdruck – und konnten den Schauspieler Jürgen Tonkel für sein erstes Hörbuch gewinnen. Die Arbeit mit dem Handel ist nicht immer leicht, die Kollegen schätzen aber Qualität.

Braucht die Hörbuchbranche einen eigenen Preis für das Kinderhörbuch, Frau Möllers?
Im Kontext allgemeiner Hörbuchpreise wird die Preiskategorie, die sich jungen Hörern widmet, erfahrungsgemäß nicht ausreichend wahrgenommen. Beim BEO stehen die Fachjury (Erwachsene!) und die Kinderjury, deren Arbeit filmisch dokumentiert wird, gleichberechtigt nebeneinander und garantieren die Unabhängigkeit des Preises. Das gefällt uns sehr. Zudem: Mit dem BEO werden all diejenigen ausgezeichnet, die sich für qualitativ hochwertige Kinderhörbücher einsetzen, und durch den thematisch wechselnden Sonderpreis neben Sprechern und Regisseuren auch mal Komponisten oder Sounddesigner. Auch das ist besonders. Der BEO bietet Orientierung im Mediendschungel. Und bei der BEO-Gala steht die Kinderhörbuch-Branche dann auch einmal im Jahr im Scheinwerferlicht!

Wo spielt die Musik auf dem Notenmarkt, Herr Stroh?
Mit Noten generieren die deutschen Musikverlage etwa zehn Prozent ihrer Einnahmen (58 Millionen Euro pro Jahr) – Tendenz sinkend. Ein großer Teil der Umsätze geht dadurch verloren, dass Musiknoten stark kopieranfällig sind. Die Verlage arbeiten daran, unter Einbeziehung des Handels legale Angebote digitaler Noten im Netz zu entwickeln. Wir gehen davon aus, dass etwa 100 Musikverlage, insbesondere im Bereich der E-Musik, auf dem Notenmarkt aktiv sind. Für den Notenhandel sind Fachkenntnisse erforderlich. Im Regelfall hat ein Buchhändler diese Kenntnisse nicht.

Lohnt sich der Deutsche Hörbuchpreis, Frau Krause?
Wir haben seit 2003 elf Preise gewonnen, und immer waren es Produktionen, die besonders waren: anrührende Lesungen, spannende historische Features mit exklusiven O-Tönen oder aufwendig inszenierte Hörspiele mit Wow-Effekt. Es ist branchenintern gut für das Renommee des Verlags, wenn man den Deutschen Hörbuchpreis gewinnt. Es kommen aber auch besonders interessante Sprecher und Macher auf uns zu, weil sie wissen, dass sie sich in unserem Verlag in attraktiver, preisgekrönter Umgebung befinden. Und natürlich wirkt sich der Gewinn des Preises auf die Verkaufszahlen aus – nicht exorbitant, aber eben doch erfreulich deutlich. Der Preis ist wichtig für uns, weil er die Aufmerksamkeit auf das Medium Hörbuch lenkt und auf all die großartigen Kreativen, die hinter den ausgezeich­neten Produktionen stehen.

Spielt der Buchhandel beim Karrierehörbuch noch mit, Frau Krebs?
Der Absatz der einzelnen Titel ist unserer Erfahrung gemäß insbesondere dann erfolgreich, wenn das Hörbuch in der Fachabteilung und nicht in der allgemeinen Hörbuchabteilung platziert wird. Kunden, die sich für das Thema Karriere interessieren, suchen in aller Regel gezielt und nehmen das Hörbuch so stärker wahr. Wir arbeiten nach wie vor auch beim Hörbuch erfolgreich mit vielen engagierten Buchhändlerinnen und Buchhändlern zusammen. Zum Verhältnis von physischem Hörbuch und MP3-Download können wir aus unseren Erfahrungen heraus sagen, dass sich der Anteil der Downloads am Gesamtumsatz seit einigen Jahren konstant bei rund 50 Prozent einge­pendelt hat. Auch das spricht für eine weiterhin starke Rolle des Buchhandels.

Wie geht es dem Kinderhörbuch, Herr Langer?
Im Jahr 2015 konnte dieses Segment seine Stellung als bedeutendste Warengruppe erneut ausbauen: Während die belletristischen Hörbücher im physischen Markt an Boden verlieren, sind die Kinderhörbücher nun mit klarem Abstand vorn. Allerdings wird der Markt aktuell von wenigen film­getriebenen Stoffen dominiert, worunter die Pflege der Backlisttitel erheblich leidet. Der stationäre Handel verschenkt hier Potenzial, da die Kunden diese Titel sehr wohl nachfragen, nur müssen sie zunehmend auf Onlineangebote ausweichen, da die Titel vor Ort nicht verfügbar sind. Das Format CD ist noch lange nicht tot! Der Jahresbericht des Bundesverbands Musikindustrie belegt: Anders als beispielsweise in den USA werden hierzulande nach wie vor rund 70 Prozent der Umsätze mit physischen Datenträgern erwirtschaftet. Auch was die alltägliche Mediennutzung der Kinder – insbesondere der Vier- bis Neunjährigen – anbelangt, zeigen die Studien keine signifikanten Änderungen im Vergleich zu vergangenen Jahren auf: Hörbuchhören gehört wie das Lesen zum Kindsein einfach dazu!