Buchtage Berlin 2018

"Schaffen Sie Mehrwert – und keine technische Spielerei!"

12. Juni 2018
Redaktion Börsenblatt
Die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz auf den Arbeitsalltag und das Freizeitverhalten scheinen schier grenzenlos: Welche Chancen sich dem (Buch)Handel bieten können, erläuterte heute Nachmittag auf den Buchtagen Strategieberaterin Heike Scholz.

So ganz geheuer war den meisten Anwesenden die Vorstellung einer »entfesselten« künstlichen Intelligenz nicht: Die Sorge, dass eine KI so eigendynamisch werden könnte, dass sie am Ende unbeherrschbar sein könnte, führte noch während des Vortrags von Heike Scholz zu entsprechendem Zwischengeflüster. Scholz, Beraterin in Handelsfragen und Gründerin des Magazins »mobile zeitgeist«, beschäftigt sich schon lange mit jenem Themengebiet und referierte im vollbesetzten Saal des Ellington Hotels über »Der antizipierbare Kunde: Künstliche Intelligenz im Handel«. KI, so hob Scholz hervor, sei nach Robert Sternberg »keine feststehende Eigenschaft, sondern der Prozess, wie wir Informationen verarbeiten« – letztlich ein Algorithmus, der eine bestimmte Aufgabe auf der Basis von verschiedenen Daten löst und dabei eigenständig »weiterdenkt«.

Wer sich vor Scholz’ Vortrag noch der Illusion hingab, dass all das in weiter Ferne liege, dem zeigte sie auf, wo KI bereits zum Einsatz kommt: in autonomen Autosystemen, dem Sprachassistenten Alexa, Lernsystemen, beim Erkennen von Gesichtern, in der Logistik, in der Medizin und und und. Äußerungen in Social-Media-Kanälen könne man heute so analysieren, »dass man daraus Rückschlüsse auf unsere Persönlichkeitsstruktur ziehen kann«. Woran viele im Online-Alltag ebenfalls nicht denken: 75% akzeptieren hierzulande schon KI-basierte Reiseempfehlungen.

KI als Jobkiller

Scholz benannte klar die Risiken: KI könne Arbeitsplätze ersetzen und ein Jobkiller sein, es werde Reibungsverluste geben, es könne zu Diskriminierungen führen, und ja, es gebe eine Angst vor KI in falschen Händen. Aber KI, die Scholz als Anfang der vierten industriellen Revolution sieht, »ist schlicht eine Software, die Menschen programmieren, und sie kann Fehleinschätzungen haben. Deshalb müssen wir die ethischen Fahrbahnen festlegen, in denen KI laufen soll – wir müssen dafür sorgen , dass KI keine zerstörerischen Kräfte entwickelt.«

 

Roboter beantwortet im Laden Kundenfragen

Im Handel kann sich Scholz den Einsatz von KI durchaus als sinnvoll vorstellen, etwa bei der Optimierung von Logistik- und Auslieferungskapazitäten, bei der besseren Verzahnung der Touchpoints, beim Festhalten von Gefühlen, bei der automatischen Generierung von Verkaufstexten und Produktbeschreibungen usw. Service-Roboter am Point of Sale gebe es schon heute, »im Concept-Shop des Hosenlabels Alberto etwa beantwortet ein Roboter Kundenfragen«. Und es wird weitergehen: Im Jahr 2020 sollen laut einer Prognose 85 % aller Kundeninteraktionen über KI-Bots ausgelöst werden. Anhand von Werbetrailern zeigte Scholz zudem, wie Kundenanfragen schnell mit KI-Chatbots beantwortet werden können, etwa die niederländische Fluggesellschaft KLM, die so erklärt, wie bei einem Flug eine Sitzplatzänderung zu bewerkstelligen ist. Weiter werde damit gerechnet, dass in diesem Jahr 2o Millionen Geräte mit Amazon-Echo verkauft werden; es gibt aktuell mehr als 56 Millionen verkaufte Smart-Speaker weltweit. Nicht immer geht es darum, mit digitalen Möglichkeiten Menschen zu ersetzen: »Wenn Sie bei Starbucks von zu Hause aus mit Alexa Kaffee vorbestellen, dann ist das Ziel, die Warteschlangen zu reduzieren.«

 

Automatisches Aussortieren von Manuskripten

Welche Möglichkeiten bietet nun KI in der Buchbranche? Auch darüber hatte sich Scholz Gedanken gemacht. KI könnte im Verlag Manuskripte vor- und aussortieren, im Laden könnten Buchhändler schnellere Empfehlungen für seine Kunden aussprechen (was bedeutet, dass man eine verlagsübergreifende Datenbasis bräuchte). »Wenn die KI analysiert, welche Erfahrung der Leser in den vergangenen Stunden mit einem Buch hatte, könnte man ihn sehr passgenau ein Buch empfehlen, was ihm als nächstes gefallen würde.« Scholz riet jedoch, bei allem »könnte man« als Händler Aufwand und Nutzen zu überprüfen: »Schaffen Sie Mehrwert – und keine technische Spielerei!«, warnte sie. Letztlich, das wurde in der anschließenden Fragerunde deutlich, ist hier die gesamte Buchbranche gefragt: »Es ist alles andere als trivial, entsprechende Datenbanksysteme aufzubauen – das kann einer allein gar nicht, da müssen viele in der Branche zusammenarbeiten«, stellte Scholz klar.

 

Das Gehirn arbeitet komplexer als KI

Beruhigend auch zwei weitere Einschätzungen der Hamburger Expertin in der Diskussion: Scholz glaubt nicht, dass Maschinen Groschenromane schreiben werden und: »Unser Gehirn funktioniert komplett anders als ein Computer, es erfasst sehr komplex eine Gesamtsituation«. Die aktuellen Veränderungen im Umgang mit Daten führten schließlich bei den Zuhörern zur Frage, ob die Politik nicht auch mit Instrumenten wie EU-Datenschutzgrundverordnung dem technisch Machbaren einen Riegel vorschieben? »Ich wünsche mir sehr, dass wir hier in einen Diskurs treten«, meinte Scholz, »er ist längst fällig.«