Was hat ein Buch mit einem Haartrockner zu tun? "Aus der vollgeregneten Grabbelkiste gerettet und geföhnt", kommentiert Tilman Winterling ein Foto auf seinem Instagram-Account: Ein in jeder Hinsicht mitgenommenes Exemplar von Foucaults "Überwachen und Strafen" ist zu sehen, auf das der warme Luftstrom aus dem dunkelbraunen Rowenta-Elektrogerät gerichtet zu sein scheint. Witzig und intelligent – der 30-jährige Hamburger lässt an seiner Passion zum Buch und zum Lesen gern teilhaben. Seit fast fünf Jahren auf Facebook und Instagram, via Twitter und auf seinem Blog "54books". "Aus einer Laune heraus" habe er damit angefangen, so Winterling. Seine Motivation damals: 54 bislang ungelesene Bücher aus dem heimischen Bücherregal durchzuarbeiten und zu rezensieren. Das Projekt entwickelte eine Eigendynamik. Bis heute sind noch längst nicht alle der 54 Bücher gelesen, dafür aber viele andere. Insgesamt rund 450 Beiträge und Kritiken hat er inzwischen veröffentlicht. "Vor allem Klassiker und anspruchsvolle moderne Literatur", erläutert Winterling seinen "Kompetenz- und Serviceblog", auf dem er auch für Blogger relevante Rechtsthemen erklärt.
Jura statt Germanistik
Im Hauptberuf ist Winterling Anwalt für Verlags-, Urheber- und Medienrecht. "Ursprünglich wollte ich Literaturwissenschaften studieren", verrät er. Aber schon in jungen Jahren war der gebürtige Bad Hersfelder offen für das Argument seiner Eltern – beide Wirtschaftswissenschaftler –, dass dies den zukünftigen Broterwerb erschweren könnte. Und so fiel die Entscheidung zugunsten der Juristerei. Seit August 2016 ist er damit fest in Hamburg verankert. In der Anwaltskanzlei Gutsch & Schlegel vertritt er kreative Köpfe in rechtlichen Fragen, darunter Autoren und Verlage. Wenn er beispielsweise bei der Vertragsgestaltung beraten hat und Monate später das fertige Buch mit der Post kommt, ist das ein kleines bisschen auch sein Baby.
Bekannter Blogger
Mit seinen unabhängigen, kritischen Betrachtungen, Interviews und Debattenbeiträgen auf "54books" hat sich Winterling eine Relevanz erarbeitet und ein Netzwerk aufgebaut. Bis zu 10.000-mal wird die Seite, seit Kurzem um Beiträge der erfahrenen Bloggerin Katharina Herrmann bereichert, monatlich aufgerufen. "Ich bin auch gern auf den Buchmessen, treffe mich mit Leuten und finde es toll, wenn ich Denis Scheck anmaile, ob er Lust auf ein Interview für meinen Blog hätte und er einfach 'Ja, klar!' antwortet", strahlt Winterling. Mit neuem Lesestoff und Inspiration versorgt er sich in seinen drei Hamburger Lieblingsbuchhandlungen: im Stadtzentrum bei Felix Jud, wo er nach wie vor den intensiven literarischen Austausch mit dem im vergangenen Jahr verstorbenen Wilfried Weber vermisst, im Büchereck, das er unter anderem für sein erfolgreiches Engagement an der Peripherie der Stadt bewundert, und im Lesesaal, der Buchhandlung seiner Wahl in seiner Eimsbütteler Nachbarschaft – "demnächst wollen wir mal zusammen Videos machen", verspricht er. Ein Blog-Ableger ist das Kurzgeschichtenportal "54stories", auf dem er seit 2014 gemeinsam mit Schulfreundin und Autorin Saskia Trebing einen literarischen Adventskalender herausgibt. Daraus wiederum sind unter der Regie des Duos Lesungen im Hamburger Nochtspeicher und in der Berliner Lettrétage entstanden, die mit 80 bis 100 Gästen ausverkauft waren. "Ich gefalle mir in der Rolle, Sachen zu verbreiten, die gut sind", erzählt Winterling. Dazu passt es, dass er einer der 15 Literaturblogger war, die aus 252 unveröffentlichten Manuskripten die Titel für die Longlist des 2017 erstmals im Literaturhaus Hamburg vergebenen Blogbuster-Preises auswählten. Winterlings Kandidat gewann – sein Roman wird im Herbst im Tropen Verlag veröffentlicht. Darüber hinaus hat der junge Jurist zum Thema Bloggen auf der Leipziger Buchmesse referiert, Interviews im Deutschlandfunk gegeben; er ist im Team des Buchpreisblogs aktiv und wurde von der Stadt Hamburg in die Jury des Hamburger Literaturförderpreises berufen.
Mit Ring und Gitarre
Sich den Wind um die Nase wehen lassen – das genießt er immer noch tagtäglich. Ganz besonders, wenn er von den Landungsbrücken aus die Hafenfähre an seinen Arbeitsplatz nimmt, natürlich mit Buch oder Smartphone in der Hand. Zur Abwechslung greift Tilman Winterling dann zur Gitarre. Schon als Schüler mit Leistungskurs Musik hat er in Bad Hersfeld in einer Jugendband auf der Kirmes und auf Hochzeiten aufgespielt. Heute bleibt er damit im nicht öffentlichen Bereich.
Auch sonst läuft's privat rund: Vor acht Wochen ist der 1,95 Meter große Vollbartträger den Bund der Ehe mit seiner langjährigen Partnerin eingegangen. Dass bei den Flitterwochen in Dänemark ein ganzer Sack Bücher mit von der Partie war, wird die Neurowissenschaftlerin nicht überrascht haben.
Was sagen Sie zu ...?
... Bart?
"Trage ich. Damit kann man ein Kleiner-Junge-Gesicht erwachsen aussehen lassen."
... Buchpreisbindung?
"Das Kulturgut Buch ist schützenswert. Das muss anerkannt und umgesetzt werden. Gut, dass die Politik die Wirtschaft dazu zwingt."
... Lesezeit?
"In der Mittagspause lege ich mich eine Dreiviertelstunde aufs Sofa unserer Kanzlei und lese."
Der Börsenblatt Young Excellence Award 2017 und die Teilnahmebedingungen
- Zum vierten Mal vergibt das Börsenblatt in Kooperation mit dem Börsenverein, der Frankfurter Buchmesse und dem mediacampus frankfurt einen Preis für herausragende junge Macher und Macherinnen in der Buchbranche. Der Preis zeichnet exzellente Persönlichkeiten bis höchstens 39 Jahren aus, die in der Branche etwas bewegen – sei es als Mitarbeiter in einer Buchhandlung, im Verlag bei einem Dienstleistungsunternehmen oder als Selbstständige.
- Gefragt sind Leute in Verlagen oder Buchhandlungen oder bei Dienstleistern, die mit eigenständigem Denken und Handeln Spuren hinterlassen, aber noch nicht auf der Top-Führungsebene arbeiten.
- Selbstnominierungen und Vorschläge für Kandidaten sind gleichermaßen willkommen: Vorschläge für den Young Excellence Award können jederzeit per E-Mail an k.muehleck@mvb-online.de eingereicht werden. Stichwort: #yeaward
- Aus allen Vorschlägen wählt die Börsenblatt-Redaktion die Nominierten der Shortlist aus. Jeden Monat stellt das Börsenblatt in der ersten Magazin-Ausgabe und auf boersenblatt.net einen Kandidaten vor.
- In einer öffentlichen Wahl ist die gesamte Buchbranche dazu augerufen, auf boersenblatt.net den Preisträger oder die Preisträgerin zu bestimmen. Der Sieger wird im November bekannt gegeben. Die Publikumswahl im Oktober ersetzt das bisherige Jury-Prinzip.
Das gibt es zu gewinnen
- Alle Kandidaten auf der Shortlist erhalten exklusive Tickets für den "Business Club" der Frankfurter Buchmesse.
- Der Gewinner kann mit einem Bildungsgutschein in Höhe von 1.000 Euro Fort- und Weiterbildungen auf dem mediacampus frankfurt besuchen.
- Neben einem E-Paper-Jahresabo des Börsenblatts winkt dem Sieger oder der Siegerin außerdem ein Glaspokal als Trophäe.
Hier gibt es mehr Informationen zum Börsenblatt Young Excellence Award und den bisherigen Peisträgern und Nominierten.