Interview mit Christian Blümelhuber

"Ideen müssen zugelassen, gesammelt und durchprobiert werden"

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Unter dem Motto "Cultural Change – neu denken und handeln" beginnt am 20. Mai der diesjährige Kongress der Deutschen Fachpresse. Auf dem Podium dabei: der Wissenschaftler und Marketingexperte Christian Blümelhuber zum Thema "Future Management".

Sie garnieren Ihre Vorträge gern mal mit Schlagern. Wegen Ihnen habe ich mir „Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben“ von Jürgen Marcus wieder angehört. Was sagt uns der Song von damals heute?
Die Welt erneuert sich kontinuierlich, alles ist flüchtig und ständig neu. Der Philosoph Zygmunt Bauman hat dafür den Begriff „liquid times“ geprägt. Jürgen Marcus bringt das in diesem Lied auch gut auf den Punkt.

„Was gestern noch war, ist schon morgen vorbei“, geht es bei Jürgen Marcus weiter. Ganz schön hart, oder?
In einer Zeit, in der sich alles rasant verändert, ist es schwer, auf Vergangenes Rücksicht zu nehmen, oder zu versuchen, das Gewesene in das Morgen zu extrapolieren. Von der Vergangenheit in die Zukunft denken - das macht der Mensch automatisch. Aber wenn es starke Brüche gibt, wie in unserer Zeit, ist eine solche Extrapolation schwer.

„Future Management“ – Ihr Thema und das Thema des Fachpresse-Kongresses – ist allgegenwärtig. Die Zukunft musste aber ja schon immer handelnd gemanagt werden. Was ist heute anders?
Richtig. Jede Entscheidung, die wir treffen, oder die ein Unternehmen trifft, ist eine Entscheidung für die Zukunft. Das Problem ist: Die Entscheidungen für die Zukunft bauen auf unserem Wissen über die Vergangenheit auf. Und die Verbindung zwischen dem Gestern und dem Morgen funktioniert eben immer weniger. Das heißt, wir treffen zwar Entscheidungen für die Zukunft, ohne die Zukunft kennen zu können.

Und wie kommen wir aus dem Dilemma?
Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Zum einen gibt es die Trendforscher, die zu wissen glauben, wie die Zukunft aussieht: mehr Single-Haushalte, das Digitale wird immer dramatischer usw. Wenn sie mit ihren Einschätzungen richtig liegen, sind die Ergebnisse banal, alles andere ist sehr unsicher. Was Trendforscher liefern, sind im Grunde keine Prognosen, sondern Erzählungen. Mein Ansatz ist ein anderer: Ich rate Unternehmen Entscheidungen zu treffen, beziehungsweise sich so vorzubereiten, dass sie handlungsfähig sind, egal was die Zukunft bereithält. Zukunftsmanagement bedeutet für mich, eine strategische Entscheidung zu treffen, im Kontext der Unsicherheit. Mir geht es nicht darum, Unsicherheit abzubauen, sondern Unternehmen zu befähigen, schneller strategische Entscheidungen zu treffen, schneller reagieren zu können, mehr Glück zu haben. Das ist wichtiger, als sich die Welt auszumalen.

Mehr Glück haben - gute Idee. Kann man das planen?
Das Glück müssen Unternehmen sich hart erarbeiten. Zum Beispiel, indem sie sich möglichst viele Optionen offenhalten, die Fähigkeit entwickeln, schnell auf verschiedene Ereignisse der Zukunft aufzuspringen. Unternehmen müssen heute unendlich agil sein.

Hört sich noch sehr allgemein an. Haben Sie einen Trick, ein Werkzeug, das Sie empfehlen können?
Man muss einfach mehr ausprobieren. Viele Unternehmen agieren gemäß einer langfristigen Strategie. Ich glaube, heute braucht man eine andere Kultur im Unternehmen, eine Kultur, die Ideen sammelt, sie als Experiment versteht und ausprobiert – und dann entscheidet, was weitergeführt und was beendet wird.

Das kostet Geld, bindet Arbeitskräfte und bringt meistens nichts ein. Was entgegnen Sie den Einwänden?
Dieses Konzept ist billiger als die alte Strategie, die uns fest mit einem Plan verbindet. Wenn der Plan nicht mehr einlösbar ist, weil sich die Welt zu schnell und zu unberechenbar verändert, ist alles weg. Durchprobieren und Erfahrungen sammeln muss die Devise heute heißen. Auch wenn man scheitert, wird man flexibler, baut Ressourcen auf.

Stichwort Kodak - warum halten Unternehmen bis zum Ruin am Alten fest?
Auf der einen Seite verstehen wir, dass sich die Welt immer schneller dreht, andererseits wollen wir etwas, an dem wir uns festhalten können. Eine Unternehmensstruktur gibt uns Sicherheit. Ein Unternehmen ist  nichts anderes als ein System und jeder Systemtheoretiker würde sagen, Systeme wollen nichts anderes, als sich selbst reproduzieren. Systeme wollen sich halten und reproduzieren sich dehalb in ihren Mustern - dort Veränderung hineinzubringen ist ersteinmal für alle Seiten gefährlich und unbequem. Ich rate deshalb, klein anzufangen, einzelne Projekte zu starten, nicht gleich das Unternehmen, sondern erstmal eine Abteilung umzustrukturieren.

Brauchen Unternehmen dafür Hilfe von außen?
Wenn das Scheitern von Ideen akzeptiert wird, schaffen Unternehmen ihr Zukunftsmanagement gut allein. Wenn man es schafft, die Kultur eines Unternehmens auf das Scheitern aufzubauen, funktioniert der Rest von allein. Um einen solchen Prozess zu starten, ist Hilfe vielleicht nicht schlecht. Ideen müssen zugelassen, eingesammelt und durchprobiert werden, das ist schon das ganze Geheimnis. Wenn man die furchtbaren Meetings streicht, die es in Unternehmen gibt, und dafür Experimentalmeetings einführt, in denen Experimente in einem spielerischen Ansatz durchgespielt werden, hat jeder wieder mehr Spaß bei der Arbeit und zugleich werden Ideen entwickelt, die ausprobiert und umgesetzt werden können.

Lässt sich die eine oder andere Zukunftswelle vielleicht auch aussitzen?
Natürlich ist Aussitzen eine Strategie, die funktionieren kann. Das Problem ist, wir wissen nicht, bei welcher Welle, die über uns hinweg schwappt, das Aussitzen die bessere Strategie ist, und bei welcher wir mitmachen müssen. Ich würde nie sagen, dass man jede Welle mitschwimmen muss, aber man muss seine Möglichkeiten durchspielen. Das Durchspielen schafft Hinweise darauf, welche Ressourcen wir vielleicht aufbauen müssen. Wenn man sich nur vor der Welle wegduckt, lernt man nichts.

Ist die Buchbranche besonders verliebt in ihre alten Strukturen?
Die Rolle des Verlags wird gerade neu definiert, das ist unbequem. Als Autor kenne ich die Binnensicht. Was in der Branche meiner Meinung nach fehlt, ist das Verständnis rund um das Businessmodel Buch. Zum Beispiel könnten Bücher verschenkt werden, um mit den Nachfolgeprozess, zum Beispiel Vorträge, Geld zu verdienen. Das Wertschöpfungsgeflecht rund um die Inhalte ist längst noch nicht ausgeschöpft. Wäre ich Verleger, würde ich über diese Dinge nachdenken.

Sie sind auch als Berater und Coach in Unternehmen unterwegs. Was ist das Hauptproblem?
Es gelingt den Unternehmen nicht, gute Ideen in die gesamte Organisation hineinzutreiben. Man erkennt, es gibt gute Ideen, mal kommen sie von den Vorständen, mal von Mitarbeitern. Wie schafft man es, dass die Organisation von den Vorschlägen lernt, sie aufnimmt und diskutiert? Dafür gibt es in den Unternehmen keinen Plan.

Ihre Lösung?
Wir haben ein Format gefunden, das Spiel. Wir spielen mit Unternehmern, bauen ihnen ein Brettspiel, wie Monopoly, und das spielen wir mit den Mitarbeitern genauso wie mit den Vorständen. Die Spiele sind immer individuell und branchenbezogen, sie beziehen die Wettbewerber mit ein und vor allem die Ressourcen der Unternehmen.

Christian Blümelhuber (http://bluemelhuber.de/) ist Professor für Strategische Organisationskommunikation an der Universität der Künste in Berlin (Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation). Er gründete und führt das European Marketing and Sales Lab. Seine Forschungsarbeiten umfassen Markenmanagement, Kommunikation und Glücksstrategien im Management.

Programm Fachpresse Kongress 2015: http://kongress.deutsche-fachpresse.de/kongress/