Rudolf C. Bettschart ist tot. Eine große Wehklage könnte bei dieser Nachricht um jenen anheben, den man freundschaftlich und in helvetischem Genossengeist kurz mit Ruedi angesprochen hat. Das ominöse C. hinter seinem Rufnamen stand für Christoph, denn dort wo er geboren worden ist, in Einsiedeln am 10. Oktober 1930, heisst das halbe Dorf Bettschart und Rudolfe gibt es dort in großer Zahl. Er wollte sich sichtbar machen, deshalb wohl dieses C., jedoch nie so, dass er aus der großen Zahl einem Schiffsbug ähnlich, der durch die Wellen der Meere schneidet und einen Ozeanriesen hinter sich herzieht, einsam vorne weg seinen Kurs fährt.
60 Jahre lang hat er seinem Freund und seinem Verlag gedient, als Kaufmann hat er Daniel Keel, den Verleger, beraten und ebenso lange hat er die Geschicke seines Diogenes Verlags, er war mit 49 Prozent der Verlagsanteile Mitinhaber des Hauses, mitgeprägt. Jeder wusste um die Existenz dieser grauen Eminenz hinter Daniel Keel, und in all den Jahrzehnten der gemeinsamen harten Arbeit hat er sich niemals öffentlich vor seinen Freund und Verleger gestellt. Es verband sie ein nicht alltägliches Schicksal: Beide waren am selben Tag in eben jenem Klosterdorf geboren, sie waren Schul- und Pfadfinderfreunde. Am selben Tag zu sterben hingegen, wie Ruedi Bettschart sich einmal belustigend geäußert hat, war ihnen nicht vergönnt. Vier Jahre nach dem Tod von Daniel Keel, 2011, ist nun Ruedi Bettschart gegangen.
Begonnen hat er seine berufliche Laufbahn mit einer kaufmännischen Lehre, danach war er Assistent der Geschäftsführung in einer bekannten Baustahlfirma. Eine solide Karriere stand ihm bevor, als er 1954 seinem Freund, der zwei Jahre zuvor seinen Diogenes Verlag gegründet hatte, in der drohenden Überforderung fachmännisch unter die Arme gegriffen hat. Vorerst in seiner freien Zeit ordnete er für Keel die buchhalterischen und finanziellen Belange, um sich 1961 vollamtlich für die Geschäftsführung des jungen aufstrebenden Unternehmens zu kümmern. Ab 1966 wurde er geschäftlicher Partner von Daniel Keel und damit Mitinhaber des Diogenes Verlags, zuständig für die gesamte kaufmännische Leitung des Verlags und, was nicht unwichtig ist, für den 'inneren Dienst' von der Heizung bis zum Personal. Während Keel sich um die programmatisch-künstlerischen Belange und das Gesicht kümmerte, sorgte Bettschart für das Klima innerhalb des Hauses, und es gibt keine Handvoll Mitarbeiter, die sich von ihrem Chef schlecht behandelt gefühlt haben. Bettschart galt für alle Mitarbeitenden als warmer, offener und hilfsbereiter Patron.
Auch Kollegen gegenüber war er stets offen, bot seine Hilfe und, wenn man ihn darum bat, seinen Rat an. Das war für die Branche eher unüblich und darin zeigte sich der großzügige noble Charakter von Ruedi Bettschart und auch sein Stolz auf das von ihm Erreichte.
Kaufmännischer Rat versus verlegerische Ästhetik
Nun denke man nicht, es hätte stets nur eitel Freude und wunderbares Einvernehmen an der Sprecherstrasse geherrscht. Es gab, so hat Ruedi Bettschart selbst erzählt, viel Streit und Auseinandersetzungen zwischen den beiden Freunden, wobei es stets um die Sache des Verlags ging, dem mehrmals das Wasser bis zum Halse stand. Und wenn sich der kluge Rat des Kaufmann-Verlegers schon mal gegen die verspielte Ästhetik des Programm-Verlegers durchsetzte, dann konnte es passieren – wie auch geschehen, dafür steht nur das reich illustrierte Liederbuch des Tomi Ungerer – , dass dem Verlag einige wundersam florierende wirtschaftliche Spitzenjahre geschenkt worden sind. Streit wurde zum Teamwork, und dieses Team, Keel-Bettschart, dürfte in der Geschichte der deutschsprachigen Verlegerei wohl einmalig sein. Wir andern alle haben Diogenes um dieses Kapital bewundert und beneidet. Dass die beiden Freunde mit der Friedrich-Perthes-Medaille des Deutschen Buchhandels 2011 ausgezeichnet worden sind, spricht für die Preisjury wie für die Preisträger.
Wo es in der Familie auch Auseinandersetzungen gibt, da steht die Freude am gemeinsamen Festefeiern stets ante portas. Diogenes feierte großzügig, mit den besten Bratwürsten Zürichs, laut Ruedi Bettschart, mit Wein aus seiner Toskana, der zu Weihnachten zahlreiche Sortimenter beglückte, mit ihren Autoren in der Kronenhalle, der legendärsten Brasserie Zürichs. Diogenes von Keel-Bettschart stand für Lebensfreude, und so ist der Werbespruch, den Reich-Ranicki als genial verbuchte, nämlich: Diogenes Bücher sind weniger langweilig, für eine literarische Haltung, die fast alles umfassen konnte, was sich auf den rationalisierten Umschlägen von Diogenes-Büchern in Rahmen bringen liess, übrigens, auch eine Erfindung von Bettschart. Die Bücher aus der Sprecherstrasse sollten mit einem Blick erkennbar sein, unverwechselbar, und das sind sie bis heute.
Klarer Blick auf den Markt und seine Notwendigkeiten
Ruedi Bettschart war die für ein so fragiles Unternehmen, wie Verlage es nun einmal sind, notwendige Persönlichkeit mit den Zahlen, ja, er war aber auch derjenige mit dem großen und leidenschaftlichen Herzen für Menschen und seine Verlagsarbeit, mit dem Durchblick für den Klarblick, was den Markt und die Bedürfnisse, die Notwendigkeiten des Marktes anging, um darin von Zürich aus an vorderster Front weltweit bestehen zu können.
60 Jahre hat er Diogenes gedient, er hat sein Haus bestellt, und so werden die Nachfolger Philipp und Jakob Keel, die beiden Söhne von Daniel Keel, auf solider Grundlage weiterarbeiten können. An dieser Grundlage hat Rudolf C. Bettschart bis zuletzt tätig mitgestaltet und mitgewirkt. Ich ziehe tief den Hut vor seiner Lebensleistung, vor diesem bedeutenden Kollegen. Vale.