Börsenverein

„Ein bisschen Meinungsfreiheit gibt es nicht!“

16. März 2015
von Nils Kahlefendt
Dass die Freiheit des Wortes die Basis demokratischer Gesellschaften  ist, gilt unter Intellektuellen beinahe schon als Allgemeinplatz. Ein prominent besetztes Börsenvereins-Podium auf der Messe wirkte als Weckruf: Der Einsatz für Presse- und Meinungsfreiheit ist keine Schönwetter-Aufgabe.

"Einen Voltaire verhaftet man nicht“, erklärte der französische Staatspräsident de Gaulle kategorisch, als das Innenministerium 1960 auf der Verhaftung Jean-Paul Sartres bestand. Der Parade-Intellektuelle hatte französische Soldaten dazu aufgerufen, sich dem Kampf gegen die algerische Freiheitsbewegung zu verweigern. Und heute? Dass die Freiheit des Wortes die Basis der demokratischen Gesellschaft – und damit auch der freien verlegerischen und buchhändlerischen Tätigkeit – ist, gilt unter Intellektuellen als unstrittig. Die Anschläge auf das Satiremagazin Charlie Hebdo haben indes gezeigt, dass der Einsatz für Presse- und Meinungsfreiheit keine Schönwetter-Aufgabe ist.

Ist das Eintreten für das Wort und die Freiheit tatsächlich festes Fundament der Branche – oder angesagte Attitüde? Und: Wie sehen Autorinnen und Autoren ihre Rolle, mit welchen Schwierigkeiten haben sie zu kämpfen? Dies waren nur einige Fragen, denen ein vom Börsenverein organisiertes, international besetztes Panel zur Buchmesse nachging. Moderiert von Maike Albath (Deutschlandradio Kultur) diskutierten Viktor Jerofejew (Russland), Laksmi Pamuntjak (Indonesien), René Strien (Vorsitzende der AG Publikumsverlage), die Literaturagentin Elisabeth Ruge und Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins. 

Mitten in den Messetrubel platzte die Nachricht, dass die Printausgabe der Kreml-kritischen Nowaja Gaseta vor dem Aus steht. Die Zeitung (Druckauflage: 250.000 Exemplare) gilt als eine der wichtigsten unabhängigen Stimmen in einer weitgehend staatlich gelenkten Presselandschaft; seit ihrer Gründung mussten zahlreiche Mitarbeiter ihre Recherchen mit dem Leben bezahlen, darunter die 2006 in Moskau erschossene Reporterin Anna Politkowskaja. „Die Situation ist besser als sie denken, aber schlimmer, als ich wollte“, meinte Viktor Jerofejew. „Man kann in Russland heute über alles Mögliche publizieren, bis hin zu den sexuellen Vorlieben Putins. Wenn ich jedoch über den tschetschenischen Führer Ramsan Kadyrow schriebe, wäre das Selbstmord.

Jerofejew verwies auf die wichtige Rolle systemkritischer Internet-Portale wie snob, wo er als Kolumnist zuletzt einen viel beachteten Beitrag über den Mord an Boris Nemzow veröffentlicht hat (auf Deutsch nachzulesen in der F.A.Z). Jerofejews Analysen werden im Westen geschätzt – aber nicht überall gleichermaßen: Während die europäische Ausgabe der New York Times seine Artikel unverändert druckt, erscheinen sie in den USA schon mal dezent zensiert. „Als mein Roman „Die Moskauer Schönheit“ 1990 auf Deutsch erschien, hatte ich den Eindruck, im letzten Waggon eines großen kulturellen Zuges zu sitzen. 25 Jahre später bin ich mir nicht mehr sicher, ob es diesen Zug noch gibt."

Die indonesische Autorin Laksmi Pamuntjak hat breite Zustimmung für ihren im Ullstein-Blog Resonanzboden erschienen Beitrag erhalten, in dem sie sich aus der Sicht einer Muslima über die Anschläge auf Charlie Hebdo zu Wort meldete. Ein Meinungsbeitrag gegen die Todesstrafe im australischen Guardian brachte ihr hingegen anonyme Todesdrohungen ein. In ihrer Heimat scheinen sich die Dinge zum Besseren zu wenden: 2010 hat das Verfassungsgericht in Indonesien beschlossen, dass Bücher nicht mehr willkürlich auf den Index gesetzt werden können. Auch Pamuntjaks Debütroman „Alle Farben Rot“, der im September bei Ullstein auf Deutsch erscheinen wird, kam problemlos in den Handel – obwohl sich das Buch kritisch mit dem Massaker des rechtsgerichteten Generals Suharto beschäftigt, der nach seiner Machtergreifung 1965 rund eine Million seiner Gegner beseitigen ließ.

Für eine „neue Sensibilität“ in Sachen Meinungsfreiheit plädierte Alexander Skipis. Während die Protestnoten bei massiven Verstößen rasch bei der Hand seien, gerieten leisere, weniger offensichtliche Verstöße allzu schnell aus dem Blick: Skipis verwies in diesem Zusammenhang etwa auf die für kommenden Mittwoch geplante Eröffnung des EZB-Neubaus in Frankfurt, die – bis auf handverlesene Ausnahmen – unter Ausschluss der Medienöffentlichkeit stattfinden wird. „Das ist grotesk – die EZB ist eine Institution aller Europäer.“ Wenn offenes Eintreten für die Freiheit des Wortes in der Politik reflexhaft mit dem Verweis auf vermeintliche „wirtschaftliche Zwänge“ ausgekontert wird, ist dies für Skipis ebenfalls nicht hinnehmbar. 

Beispiel Katar: Wegen eines im Internet veröffentlichten Gedichts, das in wenigen Zeilen Kritik an der Herrscherfamilie übt, wurde der Poet Mohammed al-Adschami 2012 von einem Gericht des Golfstaats zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Fall machte weltweit Schlagzeilen – geschehen ist bislang nichts: „Wenn unser Wirtschaftsminister dort zum Kniefall hinfährt, dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen. Die Freiheit des Wortes ist nicht verhandelbar – es gibt nicht ‚ein bisschen’ Meinungsfreiheit!

Das gilt nicht nur mit Blick auf jene, die die Welt gern politisch kontrollieren wollen. Dass die Freiheit des Wortes auch mit Vielfalt zusammenhängt, ist Elisabeth Ruge wichtig. Als Literaturagentin beklagt sie Einschnitte in den Lektoraten, mithin an den Orten, wo Verlage ihre „Leidenschaft und Beseeltheit“ entwickeln sollten – ein Prozess, der Hand in Hand mit der Ausdünnung von Kultur-Redaktionen und „Sendeplatz“ in den Medien gehe. Nicht nur im digitalen Bereich, der eigentlich ein Füllhorn ungeahnter Möglichkeiten darstelle, hat Ruge das Gefühl, dass wir „mit angezogener Handbremse unterwegs sind“.

Auch dieser von wirtschaftlichen „Pseudo-Zwängen“ (René Strien) getriebenen schleichenden Selbstzensur gilt es gegenzusteuern, wenn wir nicht in einer Welt leben wollen, gegen die schon Karl Kraus ätzte: „Die Gedankenfreiheit haben wir – jetzt fehlen uns nur noch die Gedanken.

Twitter: #lbm15freiheit