Frankfurter Buchmesse und Gastland Indonesien

Gestatten, wir sind das neue Gastland

16. Juli 2015
von Nicola Bardola
Ein lebhaftes Podiumsgespräch gewährte Einblicke in die Planungen für den Auftritt Indonesiens, das sich bei der Frankfurter Buchmesse 2015 als Gastland vorstellen wird. 

„Warum Indonesien?“, fragte zu Beginn der Pressekonferenz der Moderator Gunnar Stange, Ethnologe kolonialer und postkolonialer Ordnungen an der Universität Frankfurt. Jürgen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, wunderte sich über die Frage, denn: „Indonesien ist eines der größten und der bevölkerungsreichsten Länder der Erde. Mehr als fünfzig Prozent der Indonesier sind sehr jung. Indonesien ist ein Land mit einer unglaublichen kulturellen Vielfalt, das innerhalb weniger Jahre von einem totalitären System in ein demokratisches System gewechselt ist“. Viele junge Autoren beschäftigten sich mit diesem Thema, so Boos, und meint: „Das allein sind schon viele Gründe, auf das Gastland Indonesien neugierig zu sein!“ 

Sprachliche Besonderheiten
Die Gäste auf dem Podium und bei der Diskussion im Publikum nahmen den Ball auf und unterhielten sich über die sprachlichen Besonderheiten Indonesiens. Sapardi Djoko Damono, emeritierter Professor für Literatur in Djakarta und in seiner Heimat ein berühmter Lyriker, erklärte, warum die Einführung der Lingua Franka 1928 in Indonesien notwendig war: „Die Staatssprache Indonesisch wurde dem Volk nicht aufgezwungen, man hat sich freiwillig geeinigt.“ Der Literaturkritiker Nirwan Dewanto bereicherte die Ausführungen des Professors mit erstaunlichen Geschichten: „Nehmen Sie nur das Wort ‚Relax‘. Wir können das ‚X‘ schlecht aussprechen, deshalb haben wir nach einer Alternative gesucht.“ Man entschied sich für ein altes javanisches Wort für Sonne. „Wir arbeiten viel mit lokalen Lehnwörtern. Sprache ändert sich täglich in Indonesien“, betonte auch Goenawan Mohamad, Leiter des  Ehrengastkomitees 2015.  Er betonte, dass die indonesische Literatur in Deutschland noch sehr wenig bekannt sei, umgekehrt auch die deutsche in Indonesien. Das werde sich im Verlauf des Jahres hoffentlich ändern. 

Die zeitgenössische indonesische Literatur
Was die zeitgenössische indonesische Literatur ausmache, wollte Stange wissen. „Das lässt sich schwer in einem Satz beantworten. Eigentlich müsste man bis mindestens ins neunte Jahrhundert zurückblicken, als die ersten Grundsteine der indonesischen Literatur gelegt wurden. Zudem müsste man ausführlich auf die Entstehungsgeschichte der indonesischen Sprache mit ihren vielen regionalen Besonderheiten eingehen. Und natürlich auf den Einfluss der wechselvollen politischen Geschichte auf die Schriftsteller“, erklärte Damono. „Wir haben mehr Lyriker als Romanschriftsteller, vielleicht zu viele Poeten. Aber unsere Poesie ist  machtvoll, baut auf große Traditionen auf und erneuert sich doch immer wieder. Poesie ist auch in Tageszeitungen sehr präsent. Etwas Vergleichbares gibt es in Deutschland nicht.“

Der Gastlandauftritt
Zur Buchmesse wird es ein großes begleitendes Kulturprogramm geben, wie  Mohamad erläuterte: „Wir werden das Publikum mit Veranstaltungen rund um das Buch überraschen. Dabei werden auch die Architektur und die Fotokunst, Tänze und kulinarische Besonderheiten eine Rolle spielen. Wundern Sie sich also nicht, wenn es unter den 70 geladenen Schriftstellern auch Kochbuchautoren und Reiseschriftsteller geben wird“, so Mohamad.  

Literatur und Politik
Sorgen, das Gastland Indonesien könnte deshalb den Schwerpunkt zu stark auf touristische Leichtigkeit setzen, sind nicht angebracht, im Gegenteil: Der riesige Archipel, der sich auf über 17.000 Inseln verteilt und mit rund 252 Millionen Einwohnern das viertgrößte Land der Welt ist, hat viele Ereignisse in seiner wechselvollen Geschichte noch nicht aufgearbeitet. 2015 jährt sich zum 50. Mal die brutale Niederschlagung eines Putschversuchs linker Kräfte , bei dem zwischen 500.000 und fast einer Million Menschen das Leben verloren haben. „Viele Jugendliche heute wissen nicht mehr, wie schwierig das Leben in einer Diktatur war“, sagte die Autorin Laksmi Pamuntjak, deren Roman „Alle Farben Rot“ in diesem Frühjahr bei Ullstein erscheinen wird. Sie thematisiert darin den hierzulande wenig bekannten Massenmord 1965/66 von Antikommunisten in Indonesien an der chinesischen Minderheit. Pamuntjak ist mit ihren zahlreichen Publikationen eine herausragende, internationale bekannte Vertreterin der weiblich geprägten Literaturszene Indonesiens. Wie es möglich sei, dass in einem Land, in dem zwar religiöser Pluralismus herrsche, jedoch Muslime die Mehrheit bilden, die Frauen die Literatur dominieren, wollte Stange wissen. „Ich könnte es mir einfach machen, und sagen, dass Frauen fleißiger sind“, scherzte Pamuntjak. Es sei richtig, das Indonesien das Land sei, in dem die meisten Muslime der Welt leben. Sie wies jedoch auch darauf hin, dass es sich in Indonesien um eine sehr gemäßigte und tolerante Form des Islam handle. „Indonesische Autorinnen brechen Tabus. Sie beschäftigen sich intensiv mit Fragen der Sexualität, der Moral und vor allem auch mit politischen Fragen aus weiblicher Sicht.“ Das seien Aspekte, die in der Literatur bisher zu kurz gekommen waren, so Pamuntjak. Vor allem auch bei den historisch-politischen und religiösen Themen bestehe Nachholbedarf:„Es ist wichtig, dass wir die Geschichte unseres Landes besser kennen lernen, auch mit literarischen Mitteln.“