Preis der Leipziger Buchmesse 2015

Ein Preis für die "Pianistin"

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Mit den Auszeichnungen für Jan Wagner, Philipp Ther und Mirjam Pressler war kaum zu rechnen. Erstmals wird Lyrik mit dem Preis der Leipziger Buchmesse prämiert. Die Jury setzt damit unter anderem ein Zeichen für die Lyrik. Eine Einordnung von Holger Heimann.

„Diese Auszeichnung wirkt hoffentlich wie ein Paukenschlag“, wünschte Jurorin Meike Feßmann in ihrer Laudatio auf den Preisträger Jan Wagner, der in der Sparte Belletristik für seinen Gedichtband „Regentonnenvariationen“  (Hanser Berlin) ausgezeichnet wurde.  Die Jury zog damit Wagners Verse  vier gleichfalls nominierten Prosawerken vor; darunter Norbert Scheuers großartigem Diarium aus Afghanistan „Die Sprache der Vögel“. Die Frage ist indes, und sie wurde von vielen vorher gestellt, ob das überhaupt gut möglich ist, die Lyrik von Jan Wagner mit der Prosa von zum Beispiel Teresa Präauer („Johnny und Jean“) oder eben Norbert Scheuer zu vergleichen. Jan Wagner selbst bekannte, bereits von der Nominierung überrascht gewesen zu sein. Und mag man solche Worte für gewöhnlich  als eingeübtes Understatement abtun, so dürfe es im Fall Wagners wohl ganz und gar zutreffen. Denn zum ersten Mal seit der Verleihung des Preises im Jahr 2005 und der Prämierung jeweils dreier Preisträger wurde in diesem Jahr ein Lyrikband nominiert - und am heutigen Donnerstag nun überdies ausgezeichnet. Dass die Jury damit ein Zeichen setzen wollte, ist offensichtlich. Nun wird es spannend sein zu sehen, welche Auswirkungen die Prämierung hat, ob die Auszeichnung in einem Feld, das nicht gerade für Bestseller bekannt ist, dem Buch entscheidenden Anschub geben kann. Oder ob sie zumindest, wie Jan Wagner in seinem Dank formulierte, „mehr Licht auf den Reichtum der Lyrikszene wirft“.

Als Überraschungen dürfen auch die beiden anderen prämierten Bücher gelten. So setzte sich Philipp Ther mit „Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent“ (Suhrkamp), seinem Buch, das die Verfasstheit Europas 25 Jahre nach dem Mauerfall in einer Mischung aus Reportage und Analyse behandelt,  gegen favorisierte Mitbewerber durch;  Rainer Stach zum Beispiel und dessen dritten Band seiner fulminanten Kafka-Biografie oder  Joseph Vogels geistreicher Essay „Der Souveränitätseffekt“ gingen leer aus.  Das Publikum, das eher zaghaft applaudierte, schien mit der Wahl eher mäßig zufrieden bzw. zumindest davon überrascht zu sein. Das war auch der Ausgezeichnete selbst, der Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien ist: „Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet.“ Ther kündigte an, mit dem Preisgeld von 15.000 Euro Wissenschaftler in die Ukraine zu unterstützen, die sich für Kollegen einsetzen, die aufgrund der Kriegshandlungen im Osten der Ukraine ihre Heimat verlassen mussten. Dafür nun wurde Ther mit großem Applaus verabschiedet.

Mirjam Pressler - und also nicht Klaus Binder für seine Lukrez-Übertragung oder Moshe Kahn für die Übersetzung von Stefano D’Arrigos Monumentalwerk „Horcynus Orca“ – wurde für ihre Übertragung des neuen Romans von Amos Oz, „Judas“ (Suhrkamp), aus dem Hebräischen prämiert – passend zum Israel-Schwerpunkt der diesjährigen Messe. Pressler, die zusammen mit Amos Oz die Auszeichnung entgegennahm, bedankte sich bei  diesem für „ein wunderbares Buch“.  Oz gab das Kompliment zurück: Literarisches Übersetzen sei wie die Übertragung eines Violinkonzertes in ein Klavierkonzert - und Mirjam Pressler eine große, begnadet Pianistin. Die Musik seiner Prosa jedenfalls hat Pressler gekonnt ins Deutsche überführt.