Zum Tod von Yasar Kemal

Ein Anwalt der Menschenrechte tritt ab

2. März 2015
Redaktion Börsenblatt
Der türkische Schriftsteller und Friedenspreisträger Yasar Kemal ist am Samstag gestorben - im Alter von 91 Jahren.

Der Börsenverein zeichnete Kemal 1997 mit dem Friedenspreis aus. "Für Arme, Ausgebeutete und aus politischen oder ethnischen Gründen Verfolgte hat sich dieser Anwalt der Menschenrechte selbstlos und mutig eingesetzt – Gefängnis und Exil nicht scheuend", hieß es damals in der Begründung des Stiftungsrats: "Dadurch wurde Yasar Kemal zum Vorbild für viele Menschen, die sich um das friedliche Zusammenleben von Völkern und Volksgruppen in einer demokratischen Ordnung und um die Meinungsfreiheit mühen."

Kemal wurde im Herbst 1923 als Sohn eines kurdischstämmigen Großgrundbesitzers in dem südanatolischen Dorf Hemite geboren. Als einziges Kind im Dorf lernte er Lesen und Schreiben. Später arbeitete er unter anderem als Tagelöhner auf Baumwollplantagen, als Gehilfe des Dorfschullehrers und als Schreiber für Analphabeten in einer kleinen Stadt.

1942 erschienen seine ersten Gedichte in einer Istanbuler Tageszeitung, 1955 folgte sein Romandebüt "Memed, mein Falke" (deutsch 1962), das in über 40 Sprachen übersetzt wurde und ihn zum meistgelesenen Schriftsteller der Türkei machte. Hauptfigur ist Memed, ein schmächtiger Bauernsohn, der zum mutigen Helden und Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit wird. 1960 bis 1968 veröffentlichte Kemal seine "Anatolische Trilogie". Sie erzählt von den landlosen Bauern der Taurusdörfer, die als Überlebensstrategie Zuflucht zu Mythen und Traumwelten suchen. 

Als er sich für die marxistische "Türkische Arbeiterpartei" engagierte, wurde der Schriftsteller 1971 inhaftiert. Erst nach internationalen Protesten kam er wieder frei. Nach einer Paris-Reise 1978 kehrte Kemal nicht mehr in die Türkei zurück, weil er Mordanschläge rechtsgerichteter Kreise befürchtete. Er blieb längere Zeit in Schweden. 1995 prangerte er im "Spiegel" die Kurdenpolitik Ankaras an. Damit begann eine Serie von Gerichtsverfahren gegen Kemal. Im März 1996 wurde er in der Türkei wegen "Volksverhetzung" zu einer Haftstrafe von 20 Monaten auf Bewährung verurteilt. 2008 wurde er mit dem Türkischen Staatspreis geehrt.

"Demokratie muss für die ganze Menschheit gelten"

"Ist die Türkei ein demokratisches Land, wird es von einer Diktatur gelenkt? Den Durchblick haben nicht einmal die Regierenden selbst", sagte er 1997 in seiner Friedenspreisrede, die durch Appelle wie den Folgenden bis heute aktuell ist: "Die Demokratie ist ein Ganzes. Sie muss für die ganze Menschheit gelten. Und alle echten Demokraten müssen den Menschen, die - wo auch immer - in einer Demokratie leben wollen, die für die Demokratie kämpfen, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften helfen".

Die Laudatio hielt sein Schriftstellerkollege Günter Grass. Durch seine Kritik an der Asylpolitik löste Grass mit der Rede eine breite Debatte aus, neben der politischen Botschaft feierte er damals aber auch Kemals Werk: "Sonst vielgereist, bin ich nie in Anatolien gewesen, und dennoch habe ich mir als Leser von Buch zu Buch Ihr Land angeeignet", so Grass: "Was fremd war, ist mit allen Gerüchen vertraut und bis in die Nöte der landlosen Bauern einsichtig geworden. Wörter können das. Die Literatur hebt Entfernungen auf. Literarische Landnahme bringt uns Menschen nah, die nur auf Papier stehen."

Die französische Zeitung "Le Figaro" brachte Kemals Werk, das auf deutsch im Unionsverlag vorliegt, kürzer auf den Punkt: "Unsere Romanschriftsteller wirken wie Zimmerpflanzen neben diesem Dichter."