Interview mit Resilienzforscher Robert Nitsch

"Wir wollen die Seele stärken"

16. Juli 2015
von Sabine Schmidt
Immer mehr Ratgeber beschäftigen sich mit dem Thema Resilienz: So nennt die Wissenschaft die Widerstandskraft der Psyche, die vor Burnout und Depressionen schützen kann. An der Mainzer Universitätsklinik ist vor kurzem das Deutsche Resilienz-Zentrum gegründet worden, europaweit das erste seiner Art. Ein Interview mit Sprecher Professor Robert Nitsch - über Anspannung und Entspannung, über Prävention und Stress am Arbeitsplatz.

Es werden heute deutlich mehr Menschen wegen psychischer Erkrankungen behandelt als noch vor wenigen Jahren. Wie kommt es, dass wir so viel anfälliger sind als die Generationen vor uns? 

Nitsch: Es ist die Frage, ob wir tatsächlich anfälliger sind. Oder ob wir nur genauer hinschauen, sensibler und offener für psychische Erkrankungen geworden sind: wenn ein Arzt etwa einen Patienten nicht wegen seiner Rückenbeschwerden krankschreibt, sondern wegen der Depression, die hinter den physischen Problemen steht. Wir können diese Frage nicht wirklich beantworten, weil wir keine Vergleichsstudien haben. Unbestritten ist aber, dass Resilienz-Probleme zugenommen haben, insofern es um Stress geht, um Arbeitsverdichtung oder Großraumbüros.

Es gibt bereits Strategien und Behandlungsformen gegen Stress, Depression, Burnout, seien es Psychotherapien oder Yoga. Was ist neu am Deutschen Resilienz-Zentrum? 

Nitsch: Vieles hat sich bereits bewährt, ist aber in seinen Strukturen und Mechanismen nicht wissenschaftlich erforscht, und das wollen wir jetzt leisten. Wir wollen klären, warum der eine Mensch widerstandsfähiger ist als der andere. Was genau im Gehirn in Stresssituationen passiert, und was, wenn Strategien zur Stressreduktion angewendet werden. Was tatsächlich wirksam ist und was nicht. Wenn wir genau wissen, was funktioniert und wie es wirkt, können wir Behandlungsmethoden und Prävention verbessern. Darum geht es uns: die Seele zu stärken und psychische Erkrankungen möglichst zu verhindern.

Was kann man tun, um die Seele zu stärken? 

Nitsch: Eine sehr wichtige Voraussetzung ist, sich klarzumachen, dass Resilienz kein Persönlichkeitsmerkmal ist: Niemand ist ein für alle Mal stark oder schwach. Die Erfahrung zeigt vielmehr, dass auch starke Persönlichkeiten zusammenbrechen und schwache über sich hinauswachsen können. Man kann Resilienz verlieren, man kann sie aber auch erwerben und trainieren. Das ist die gute Nachricht: Gehirne, neuronale Verbindungen können umprogrammiert werden. Welche Präventions- und Behandlungsstrategien wie genau funktionieren, müssen wir noch untersuchen. Zurzeit muss und kann man sich an dem orientieren, was sich bereits bewährt hat. Das tun auch wir und bieten Trainings an, vor allem für Firmen. Zudem denken wir etwa über Apps zur Stärkung der seelischen Resilienz nach.

Wie muss man sich das vorstellen? 

Nitsch: Dabei wird es nicht um die Behandlung von Erkrankungen, sondern um Prävention gehen. Es wird ähnlich funktionieren wie Angebote, die es bereits für das Lauftraining gibt. Puls und Herzschlag etwa werden registriert, und wenn das in einen kritischen Bereich kommt, macht die App Vorschläge, was man tun kann, um den Stress zu reduzieren.

Es liegt nicht nur an individuellen Faktoren, wenn jemand ausgebrannt und depressiv wird. Auch Strukturen können offensichtlich krank machen. Müsste zu Ihrer Arbeit deshalb nicht auch eine gesellschaftliche Debatte zum Thema Stress gehören?

Nitsch: Unbedingt! Das wollen und können wir hier auch leisten. Wir wollen die Anlaufstelle sein, die man befragt, wenn es darum geht, welche Regeln sinnvoll für den Arbeitsplatz sind und welche nicht. Was heißt Stress am Arbeitsplatz? Wie wollen wir ihn beschreiben? Das alles werden wir untersuchen und so rationale, wissenschaftlich fundierte Grundlagen für Debatten und politische Entscheidungen schaffen. Zum Beispiel wenn es um die Frage geht, ob Mitarbeiter dauerhaft erreichbar sein dürfen oder Unternehmen die E-Mail-Kommunikation über das Wochenende blockieren sollten.

Mehr zum Thema Achtsamkeit und Resilienz lesen Sie in der Printausgabe des Börsenblatts, Heft 50 - in unserem Spezial Gesundheit, Wellness, Fitness. Vier Kollegen aus dem Buchhandel geben dabei auch Tipps, wie sie tiefenentspannt durch das Weihnachtsgeschäft steuern.